Das Richtige in Flaschen

Der schmuddelige Störer, dem SPD-Oberst Beck öffentlich Körperpflege verordnet hatte, wusste die Gunst der Stunde zu nutzen. Während die Berufszyniker mit großen Lettern und bewährt-beschränktem Wortschatz noch volksnah in Empörung machten, wusch und kämmte er sich notdürftig, trat vor die Kameras und sagte kein Wort. Das Sprechen überließ er gewieft einer „Managerin“. Die das erforderliche Sozialpalaver draufhatte und damit auf Tour ging, durch Talk-Shows tingelnd, Verständnis für ihren Klienten heischend. Bei dem es sich nämlich nicht um irgendeine ordinär-verkrachte Existenz handele, nicht um einen vom Schicksal betrogenen Randständigen. Nein, der arbeitsscheue Suffkopp gehöre dem Prekariat aus Prinzip an, denn er sei Punk.

Na dann. Eine Lebensphilosophie. Nihilismus oder so. Können ja schon mal lästig werden, wenn sie massiert auftreten, an U-Bahn-Eingängen etwa, immer mit Hund und „Hastemalneuro“. Sind aber an sich putzige, pittoreske Gestalten, die etwas Farbe ins Stadtbild bringen. Solange sie jung sind. Der ältliche Typ am U-Bahnhof Mehringdamm, der immer noch „Hastemalnemark“ bellt und lautstark flucht, wenn ihm der Fusel ausgeht, ist nun wirklich keine Zierde mehr. Bei aller Toleranz. Die in Berlin sprichwörtlich ist, gerade gegenüber Punks. Mehr noch: „Berlin ist Punk“.

So überschrieb das zottelige Stadtmagazin „Zitty“ seinen Report über „30 Jahre Punk“. Und trat auch gleich den Beweis an: „Googelt man den Begriff ‚Punk‘ mit deutschen Städtenamen, verweist Berlin mit 10 Millionen Treffern Städte wie Hamburg oder Düsseldorf (und das trotz der Toten Hosen!) locker auf die Plätze.“ Die Erklärung für den haushohen Vorsprung der Hauptstadt in Sachen Punk-Potenz wird gleich mitgeliefert: „Punk war immer anders und auch Berlin war immer anders.“ Das leuchtet nicht nur ein, sondern ist auch schwerlich zu widerlegen.

Freilich lässt sich die Provinz nicht lumpen. Was derzeit landesweit aufgeboten wird, um das 30jährige Punk-Jubiläum leicht verspätet zu begehen, spottet mancher Vorstellung. Punk-Party-Treiben allenthalben, mit Punk-Rock-Karaoke, einem Punktauglichkeitstest namens Punk-O-Meter, Miss-Punk-Wahlen und Nostalgie-Discount. So offeriert man in Frankfurt zur „Geburtstagsfeier mit 4 hessischen Punk Bands“ zur Happy Hour „ganz im 77er Style ein 0,5 Liter Binding Bier für 2 Euro“. Das sind, ganz in 77er Währung, 4 Mark. Kann man nicht meckern, da kostet der Vollrausch nur’n Appel un’n Woi, umgerechnet zwei Stunden Schnorren. Nicht so in Berlin natürlich. Dort verdient das ein Punk in Minuten, wenn er sich von der Model-Agentur „Autseider“ an die werbetreibende Wirtschaft vermitteln lässt. Was ja wohl fraglos besser sei, so die Agentur-Sprecherin nicht ohne Stolz, als betteln zu gehen. Ganz im Sinne von Kurt Beck sowieso, aber bitte mit Mindestlohn. Der Markt regelt den Rest, auch für kretinöse Schluckspechte, die buchstäblich auf den Hund gekommen sind.

Punk in deutschen Landen, das war schon immer eigen. Zuerst zu spät, dann schnell verengt auf prolliges Gegröl. Wie wollte man die Ballermann-Hölle von der Bommerlunder-ldiotie unterscheiden? Noch Oi, schon Ötzi. Inzwischen gibt Campino souverän den Bono, gemäßigt gesellschaftskritisch und gesund. Während die Utopie der Adepten noch immer die Destillerie ist. „Hasserfüllt hallt’s durch die Stille: was ist unser letzter Wille?“ fragte die Punk-Kapelle Rauschangriff bereits 1997, zur 20-Jahr-Feier ihres kretinösen Katechismus. Und blieb die Antwort nicht schuldig: „Punk, Porno und Promille“.

Andere Länder, andere Sitten. In Amerika, außerhalb New Yorks erst in den Achtzigern mit Punk in Berührung gekommen, ist die Szene primär politisch bewegt und militant auf Anarcho-Kurs. Im Juni feiert man auf einem Freigelände in Illinois das Festival „30 Years Of Punk“, bei dem „4 generations of punk rock bands“ aufspielen werden, darunter die U.S.Bombs und Destroy Everything. Ein Veteranentreffen im britischen Yeovil läuft unter demselben Titel. Verdiente Pioniere treten auf mit unverändert kruder Spielweise, das Punk-Credo aktualisiert, wider Marketing, Mediengesten und MySpace: never mind the iPods.

„Pretty ancient“ nennt die BBC ihren Rückblick ironisch, Clinton Heylin legt einen 700-Seiten-Wälzer vor, der den kulturellen Niedergang schon im Buchtitel auf den Punkt bringt: „From Punk To Grunge“. Stil und Attitüde, so der Autor, hätten den Punk aufregend gemacht, doch habe Punk auch eine konstitutive Ethik, einen Imperativ, ohne den das deviante, delinquente Gebaren sinnfrei sei: be honest in a dishonest world. Das Richtige im Falschen. Joe Strummer hätte emphatisch zugestimmt, John Lydon dürfte hohnlachen, Rauschangriff würden rülpsen. Punk ist tot, schon lange.

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