Das Summen der Erinnerung

Einige hoffentlich nicht zu späte Anmerkungen zum Werk des endlich in Deutschland entdeckten Schriftstellers Charles Simmons

Zwar ist der blitzgescheite Buchhalter Denis Scheck in der ARD entschieden der „Kütt vun Herzen“-Trutsche Elke Heidenreich vorzuziehen, doch kurz vor Weihnachten geschah es in ihrer Häkelsendung „Lesen!“, dass ein dort an sich deplatziertes Buch belobigt wurde. Keine Herzschmerz-Schwarte, kein irischer Gemütsschwurbel, keine russische Seelenpoesie wie sonst, sondern ein schmaler Band, geschrieben von einem alten Mann: „Beiles Lettres“, die kaum 180seitige Satire auf den Betrieb bei einer New Yorker Literaturzeitschrift. Der Autor Charles Simmons, geboren 1924, war 1999 erstmals mit seiner lakonischen, zartbitteren Novelle „Salzwasser“ in Deutschland auffällig geworden, ein ebenso schlimmer Fall von Versäumnis wie bei dem erstaunlichen James Salter. „Salzwasser“ wird – wie Simmons‘ andere schmale Bücher (alle bei C. H. Beck) – als „Roman“ bezeichnet, ist eine Variante von Turgenjews Erzählung „Erste Liebe“ und schon ein Spätwerk des Autors, der seine Jahrzehnte bei der „New York Times Book Review“ abgesessen hat 1964 erhielt er für sein Debüt „Egg Powder“ den Faulkner-Preis, wie immer im Klappentext nachzulesen ist, doch seine schlichte, unsentimentale Sprache erinnert eher an die Erzählungen von J. D. Salinger.

Die Liebe, die der jugendliche Erzähler in „Salzwasser“ mit dem Tod des Vaters bezahlt, ist eine sommerliche Romanze mit einem Mädchen namens Zina, das – nicht ganz überraschend – dem gut aussehenden, schweigsamen Papa verfallt, während der Junge sehr langsam begreift und außerdem mit einer anderen Frau schläft. Der Sommer auf dem Eiland, zu Beginn der Sechziger, vergeht, und in der Rückschau bekommen diese Tage der Verwirrung auch nichts Idyllisches.

„Beiles Lettres“ nun ist eine noch luftigere, scheinbar kunstlose Angelegenheit, und bei Berichten aus dem Zeitungsmilieu ist nie viel zu erwarten, da die Autoren meistens noch Insassen sind. Simmons aber rekapituliert mitleidslos die absurden Vorgänge bei dem Literaturblatt: die Inkompetenz der wechselnden Chefredakteure, die Schrullen der lebenslänglichen Mitarbeiter, die Geldgier und Eitelkeit der schriftstellernden Zuträger; die Volten und Wirren der Verleger. Ein Bürobote schleust jahrelang Rezensionsexemplare aus dem Haus, eine Sekretärin erpresst den Chef und will selbst Rezensionen schreiben, woraufhin ein Profi ihren Kram umformuliert und sie einen Redakteursposten bei der Konkurrenz bekommt, ein Chefredakteur wird als „Kolumnist“ vom Sessel weggelobt. Also all die üblichen Intrigen, Täuschungen, Tricks und Grotesken. Als Rettung aus einer allfälligen Krise erscheint den Geschäftsführern die Idee, mal die „25 besten Schriftsteller Amerikas“ zu küren – „Nominierungen können schriftlich oder telefonisch abgegeben werden“. Ein Coup, mit sofortiger Gehaltserhöhung verbunden!

Die dringlichste Empfehlung gilt allerdings „Lebensfalten“, Simmons‘ erschütternder Lebensbeichte von 1978 in Form präziser, detailscharfer Erinnerungen bis in die früheste Kindheit „Wrinkles“ erzählt in nicht chronologischen Momenten der Vergegenwärtigung vom Geschick, Ungenügen und Unglück des Menschen – Traurigeres, Wahrhaftigeres wird man nicht finden. „Das Venus-Spiel“ (2002) ist übrigens eine zotige, säftelnde Altherren-Phantasie um einen wendigen Penis.

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