Der Soldat James Ryan

ab 8. Oktober im Kino

Sie haben keine Chance. Als sich die Bugklappen der Landungsboote öflhen, werden die ersten Reihen sofort niedergemäht In diesen offenen Sardinenbüchsen sind die zusammengepferchten GI’s ideale Zielobjekte für die deutschen MG-Nester in den Bunkern auf der Anhöhe. Immer mehr Leiber stapeln sich vor den Männern, die mit panischen Blicken im hinteren Teil der Transporter kauern und von Offizieren mit hektischen Befehlen zum Vorrücken angetrieben werden. Sie klettern über die Seitenwände, plumpsen ins Wasser, werden von der Brandung mit ihrer schweren Ausrüstung in die Tiefe gezogen. Viele erreichen den Strand nicht. Andere gelangen zu den mit Stacheldraht verhauenen Panzersperren, zu Kreuzen verschweißte Stahlträger, mit denen die gesamte Küste bedeckt ist. Schutz bieten sie nicht, aber eine Atempause wie an einem Etappenpunkt. Manche Kameraden der erschöpften Soldaten, die sie kurz zuvor noch angesehen haben, sind schon im nächsten Moment tot. Der Angriff, ohnehin ein Chaos, stockt. Bei dem Lärm, einer Kakophonie aus Pfeifern, Schreien und Explosionen, können die Offiziere nur mit Mühe ihre stark dezimierten Einheiten sammeln und zum Sturm auf die Hügel bewegen. Nahezu ohnmächtig torkehl die Männer über das schmale Uferstück, jeder Schritt erscheint wie ein endloser Marsch durch ein Minenfeld. Mörser pflügen den Strand um, Geschossgarben säen tödliche Linien in den Sand. Als Scharfschützen den ersten deutschen Soldaten treffen und dieser die Dünen herabpurzelt, feuern mehrere Amerikaner solange auf den leblosen Körper, bis ein Offizier ihnen Einhalt gebietet. Meter für Meter robben sie an die Stellungen heran. Dann werden die Bunker mit Handgranaten und Flammenwerfern ausgeräuchert, Gefangene vorerst nicht gemacht LEINWAND NEU IM KINO

So geschah es am 6. Juni 1944, dem D-Day, der Invasion der Alliierten in einer Omaha Beach getauften Bucht der Normandie. Jedenfalls in Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“, so der Originaltitel, ein physisches Porträt von der unmittelbaren Gewalt des Krieges an Leib und Seele. So war es, sagen nun Veteranen, die damals dabei waren. Und die Enkel sagen, nun verstünden sie ihre Großväter, von denen manche nach der Hälfte des Films das Kino verließen, da sie die Erinnerung übermannt hat Katharsis durch Schock – und eine Ehrerbietung mit verständnisvoller Glorifizierung.

Stars andstripes. Nach der Aufblende knattert über der ganzen Leinwand die US-Flagge milde im Wind. Trompetentöne wehen herüber. Fast fühlt man sich genötigt, salutieren zu müssen. Durch die Baumwipfel senkt sich die Kamera huldvoll auf eine Familie. Großmutter, ihre Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder. Kurz vor ihnen humpelt ein Greis, immer schneller und mit sehnsüchtigem Blick. Die Allee endet auf einem Soldatenfriedhof. Erregt hetzt er durch die Reihen der weißen Kreuze. Vor einem bricht er zusammen. Jemand legt die Hand auf seine Schulter. Als er sich aufrichtet, zoomt die Kamera auf seine in die Ferne gerichteten Augen. Ein Brodeln hebt an, bis die wässrigen Pupillen des Mannes übergehen in Brandungswellen. Omaha Beach. Man sieht die Soldaten in ihren Amphibienfahrzeugen. Manche kotzen, andere beten. Schnitt auf die Augen von Tom Hanks. Reglos. Einzig seine rechte Hand zittert. In diesem Film, das ist sofort zu spüren, sollen die Bilder bluten.

Die Kamera wackelt, ruckelt, kippt, kreist, schwankt. Die Laute wechseln mit jedem Schnitt und schmerzen wie ein Schrapnell. Als Soldaten ins Wasser springen, taucht die Kamera hinterher und zeigt die strampelnden Beine. Nur ein Gurgeln ist zu hören. Kugeln peitschen durchs Wasser und hinterlassen Luftblasen, bis sie einen der Körper treffen und Blut hervorquillt. Am Strand starrt ein Mann auf seinen abgerissenen linken Arm. Dann wird er von einer MG-Salve durchsiebt. Ein anderer versucht schreiend, seine Gedärme in seine zerfetzte Bauchdecke zurückstopfen. Jemand will einen getroffenen Kameraden aus der Schußlinie ziehen, als neben ihm eine Granate einschlägt – und er nur noch dessen Oberkörper in den Händen hält. Ein Militärpfaffe irrt zwischen Leichen und um ihr Leben rennenden Soldaten umhen Sanitäter hocken vor einem Verletzten, in den immer weitere Kugel einschlagen, bis sie auch die Helfer treffen. Mit einer Explosion bricht der Ton ab, starrt Hanks minutenlang benommen auf das Schreckenszenario, in dem es Spielberg gelingt, das Grauen immer wieder zu überbieten.

Einmal spritzen Tropfen gegen das Objektiv, regnet es Sandbrocken. Das Bild wird schief, als stünde man selbst im Kugelhagel. Im Detail ist nichts zu sehen, das man aus vielen Filmen verschiedener Genres nicht schon kennt. In der Montage jedoch bündeln sich diese Eindrücke, selbst wenn man sie nicht einzelnd erfaßt, zur beispiellosen Drastik. Ein optisches Sperrfeuer, das die bedingungslose Mechanik eines Gefechtes kenntlich macht Zumal der Golfkrieg virtuell in unsere Wohnstube flimmerte. Es wundert nicht, daß mit Spielberg ein Virtuose der Illusion evident der Vorstellung von Realität nahe kommt.

Als nach fast 30 Minuten alles vorüber ist, tastet die Kamera den Strand ab. Stille. Das Wasser ist rot vom Blut Tote Fische liegen zwischen den Gefallenen. Es kann nichts mehr folgen. Da hält die Kamera über einer Leiche. Gesicht im Sand, auf dem Rücken ein Tornister mit dem Namen: Ryan S.

Ein Melodram statt Mahnmal.

Captain Miller (Hanks) soll mit sieben Männern im Feindesland den jungen Gefreiten James Ryan (Matt Dämon) suchen. Er ist der einzige Überlebende von vier Brüdern und soll zur gramen Mutter nach Hause. Es ist der klassische Plot vom platoon, einem beliebigen Haufen oder dreckigen Dutzend in brenzligen Situationen wie bei „Steiner“ „The Big Red One“, „Füll Metal Jacket“. Zwar sind es ergreifende Momente, wenn einer von ihnen an einem Bauchschuß verreckt oder ein deutscher Gefangener, den sie liquidieren wollen, um sein Leben fleht Aber es wird plump personifiziert (der Angeber, der Angstliche, der Jude…), wo zuvor das anonyme, wahllose Massensterben entsetzte. Als sie in einer Kirche nächtigen und von sich erzählen, der Horizont vom Flakfeuer erleuchtet, wird der Landserfilm gewahr. Und dann ist dieser Ryan natürlich ein wahrer Held, der seine Kameraden nicht im Stich lassen wilL Also bringt Spielberg nochmal alles, was einen Kriegsfilm ausmacht. Panzer, Häuserkämpfe, Flugzeuge, Schutt und Asche. Das sind die Motive und Mythen, die demnächst von Willis und Schwarzenegger in weiteren Kriegsfilmen zu erwarten sind. Ein Genre, das im Vietnamkonflikt kapituliert hat und fortan Antikriegsfilm hieß – oder schlicht Action. Hanks ist kein John Wayne wie im D-Day-Epos „Der längste Tag“, eher ein James Stewart, der im Zweiten Weltkrieg Pilot war. Heute ziehen die baby boomer und einstigen Pazifisten in den Krieg. Spielberg zeigt Unfaßbares. Es ist aber durchaus heroisch, wie sich die jungen Kerle unheldenhaft massakrieren lassen fürs Vaterland und Gute.

Auch wenn Hanks am Ende stirbt, wird alles gut. Der Greis ist Ryan, auf dem Kreuz steht der Name John Miller. Das „Titanic“-Syndrom. Flagge. Abblende. Spielberg hat seine Pflicht erfüllt.

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