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Die 100 besten Songs von Bob Dylan – Platz 33-1
Wir fragten die größten Dylan-Experten nach ihren Favoriten - von 'Just Like A Woman' bis 'John Wesley Harding'. Mit Würdigungen von Bono, Mick Jagger, Jim James, Lucinda Williams und anderen.
33. Idiot Wind - BLOOD ON THE TRACKS (1975). Die ursprüngliche Version war eine reumütige Ballade, doch nachdem Dylan die Hälfte von „Blood On The Tracks“ in letzter Minute neu aufgenommen hatte, erwies sich die bearbeitete Version von „Idiot Wind“ als einer seiner bösesten Songs – eine vernichtende Abrechnung mit seiner Frau im Besonderen und der Dummheit im Allgemeinen. „You’re an idiot, babe/ It’s a wonder that you still know how to breathe“, heißt es im Refrain – und das ist noch nicht mal der Gipfel des Affronts. Zumindest stellt Dylan sicher, dass er sich in das Urteil miteinbezieht:
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Frank Driggs Collection/Getty Images.
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33. Idiot Wind – BLOOD ON THE TRACKS (1975). Die ursprüngliche Version war eine reumütige Ballade, doch nachdem Dylan die Hälfte von „Blood On The Tracks“ in letzter Minute neu aufgenommen hatte, erwies sich die bearbeitete Version von „Idiot Wind“ als einer seiner bösesten Songs – eine vernichtende Abrechnung mit seiner Frau im Besonderen und der Dummheit im Allgemeinen. „You’re an idiot, babe/ It’s a wonder that you still know how to breathe“, heißt es im Refrain – und das ist noch nicht mal der Gipfel des Affronts. Zumindest stellt Dylan sicher, dass er sich in das Urteil miteinbezieht:
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„It’s a wonder we can even feed ourselves“, singt er in der letzten Zeile. Bei der Live-Version auf „Hard Rain“ (mit seiner künftigen Ex-Frau im Publikum) legte Dylan sogar noch nach und steigerte sich in eine wütende Tirade. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass er zu persönlich war“, sagte Dylan von seinem Song, „aber als Außenstehender mochte man womöglich diesen Eindruck gewinnen. Was unterm Strich vielleicht dasselbe ist.“
32. Chimes Of Freedom – ANOTHER SIDE OF BOB DYLAN (1964). Der ambitionierteste Song, den Dylan bis dahin geschrieben hatte – ein Gewitter symbolisiert das Leuchtfeuer, das die Outlaws, Künstler und „every hung-up person in the whole wide universe“ vereint – entwickelte sich angeblich aus einem kurzen Gedicht, das er Ende 1983 nach John F. Kennedys Ermordung schrieb. Dylans Talent für sublime Vers-Rhythmik kam hier ebenfalls zum Tragen wie seine Liebe für frappierende Wortschöpfungen:
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„starry-eyed an’ laughing“, „midnight’s broken toll“, „chained an’ cheated by pursuit“. Er nahm ihn im Juni 1964 für „Another Side Of Bob Dylan“ auf (und brauchte sieben Anläufe, um die zwölf Strophen fehlerfrei einzusingen), verbannte ihn aber umgehend (bis 1987) aus seinem Repertoire. Andere Musiker griffen dafür umso dankbarer zu: Die Byrds spielten ihn 1965 für ihr Debütalbum ein – und Bruce Springsteen verwandte ihn 1988 als Titeltrack einer EP.
31. Can You Please Crawl Out Your Window – SINGLE (1965). Es ist Teil der Dylan-Legende, dass der Meister den Folkie Phil Ochs aus dem Auto warf, nachdem der sich abschätzig über „Can You Please Crawl Out Your Window“ geäußert hatte. Sinnigerweise ist es einer von Dylans bisswütigsten Songs – und in diesem Punkt eine Fortsetzung von „Like A Rolling Stone“ …
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Dort während er dort dem Schwall seiner Invektiven freien Lauf ließ, komprimiert er sie hier auf dreieinhalb Minuten konziser Gehässigkeit. Die druckvolle, ungekünstelte Begleitung stammte von Levon and the Hawks, die nach ein paar gemeinsamen Gigs erstmals mit ihm im Studio waren. Doch der plattenkaufenden Öffentlichkeit ging es genauso wie Phil Ochs: „Can You Please Crawl Out Your Window“ schaffte es in den Billboard-Charts nur bis auf Platz 58.
30. Girl From The North Country – THE FREEWHEELIN‘ BOB DYLAN (1963). Von KEITH RICHARDS: Als die „British Invasion“ Richtung Amerika rollte, war er der Mann, der die amerikanische Perspektive wieder zurück in den Fokus rückte. Gleichzeitig ließ er sich aber auch von anglo-keltischen Folkliedern inspirieren – was auf „Girl From The North Country“ mit Sicherheit zutrifft. Der Song hat all die Elemente, die ein wundervoller Folksong braucht, ohne deswegen gestelzt und hüftsteif zu wirken. Die Bissigkeit, die Bob in späteren Jahren auszeichnete, fehlt hier noch völlig – im Text wie in der Musik. Kein Groll, keine Bitterkeit. Er nahm den Song später noch einmal mit Johnny Cash auf, doch in meinen Augen ist er für ein Duett nicht geeignet. In der ursprünglichen Version traf Bon den Nagel auf den Punkt. Ich habe „Girl From A North Country“, „Boots Of Spanish Leather“ und „To Ramona“ immer als Trilogie verstanden. Ist Ramona vielleicht das Girl aus dem North Country? Ist sie das gleiche Mädchen, das die Boots mit dem Spanish Leather schickt? …
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Irgendwie gibt es jedenfalls eine Verbindung – selbst die Gitarren-Licks in „Boots Of Spanish Leather“ und „Girl From The North Country“ sind fast identisch. Sie klingen wie Variationen ein und desselben Songs.
Bevor er sich die E-Gitarre umschnallte und der Disziplin einer Rhythmussektion unterwerfen musste, hatten Bobs Songs diesen wunderbaren Flow, den man eigentlich nur mit der nackten Stimme und einer Gitarre erreichen kann. Er konnte Takteinheiten abschleifen oder bestimmte Töne dehnen – alles war erlaubt, weil’s nun mal songdienlich war. Er ist der produktivste Songschreiber, den man sich vorstellen kann, und hat vermutlich mehr Songs geschrieben, als ich ein warmes Abendessen hatte. Also Bob, lass sie weiter rollen! Er ist für uns alle eine Inspiration, weil er stets auf der Suche nach Orten ist, wo er noch nie war. Ich liebe den Mann – auch weil er im Herzen ein Rock’n’Roller ist.
29. You Ain’t Going Nowhere – BOB DYLAN’S GREATEST HITS VOL. 2 (1971). Wie verbrachte Dylan den „Summer of Love“? Indem er sich in einen Keller in upstate New York verkroch, mit seinen Freunden von The Band seltsame Demos einspielte und vor der ungewissen Zukunft warnte: „Strap yourself to the tree with roots/ You ain’t goin‘ nowhere.“ Außenstehende hörten den Song zum ersten Mal in der orthodoxen Country-Version, die die Byrds 1968 für „Sweetheart Of The Rodeo“ einspielten. Als Dylan ihn 1971 (als einen der neuen Tracks) auf seinen „Greatest Hits Vol.2“ veröffentlichte, transformierte er ihn in einen jovialen Banjo-Shuffle und baute noch einen Wink an Roger McGuinn von den Byrds mit ein:
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„Gonna see a movie called ,Gunga Din‘/ Pack up your money, and pull up your tent, McGuinn.“ Die später veröffentlichte „Basement Tapes“-Version ist geheimnisvoll, abgründig und doch feierlich. In einem Outtake macht Dylan daraus ein bekifftes Wiegenlied, mit dem er sich offenbar an seine Hausgenossen wendet: „Look here, dear soup, you’d best feed the cats/ The cats need feeding and you’re the one to do it.“ In späteren Versionen nahm er die Katze wieder heraus, beließ es aber beim locker-verspielten Ambiente des Songs.
28. The Times They Are A-Changin‘ – THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN‘ (1964). Als man ihn noch die „Stimme seiner Generation“ nannte, dachte man unwillkürlich an den Mann von „The Times They Are A-Changin‘“. Auch wenn Dylan diese Beschreibung später energisch zurückwies, so forderte er sie mit dieser leidenschaftlichen Hymne doch geradezu heraus. Es ist ein Meisterwerk des politischen Songs, auch wenn Dylan auf Feindbilder und konkrete Aktionen verzichtet, sondern eine chaotische, gewalttätige Welt nur beschreibt …
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(Dass John F. Kennedy wenige Monate zuvor erschossen worden war, gab dem Song sicher zusätzlichen Nachdruck.) Dylan singt mit der Stimme eines Propheten und wählt Formulierungen, die sich biblischer Assoziationen bedienen – oder, wie er es selbst formulierte: „kurze, prägnante Verse, die sich zu einem hypnotischen Ganzen zusammenfügten“.
27. Sad-Eyed Lady Of The Lowlands – BLONDE ON BLONDE (1966). In seinem autobiografischen Song „Sara“ erklärte Dylan selbst, dass er „Sad-Eyed Lady“ tatsächlich für die Frau geschrieben habe, die er kurz vor den Aufnahmen zu „Blonde On Blonde“ heimlich geheiratete hatte. „Staying up for days in the Chelsea Hotel“, singt er dort, „writing ,Sad-Eyed Lady Of The Lowlands‘ for you.“ Wie so viele Details aus Dylans Privatleben, ist die „Sara“-Anekdote zwar faszinierend, aber leider nicht zutreffend. Er schrieb den Song für Sara Dylan, tat dies aber bei einer nächtlichen Session in Nashville …
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Während die Sessionmusiker Karten spielten, zog sich Dylan zurück, um die zärtlich-surrealen Verse zu Papier zu bringen. „Es war anfangs keine große Sache“, erklärte er 1969, „aber plötzlich konnte ich nicht mehr aufhören.“ Nach acht Sunden Arbeit trommelte Dylan die Musiker um vier Uhr morgens zusammen und gab ihnen nur minimale Vorgaben. Sie hatten keine Ahnung, dass der Song elf Minuten lang dauern würde – und waren nicht minder erstaunt, als ihnen Dylan sagte, dass sie bereits mit dem ersten Take den Nagel auf den Kopf getroffen hatten.
26. Masters Of War – THE FREEWHEELIN‘ BOB DYLAN (1963). Es ist Dylans grimmigster Protestsong. Der Ausgangspunkt scheint die Angst vor einem atomaren Holocaust zu sein, doch Dylan wäre nicht Dylan, wenn er dem damals populären Thema nicht einen unerwarteten Dreh geben würde. Stellten Anti-Kriegs-Lieder gewöhnlich Politiker oder Generäle an den Pranger, so nahm Dylan die ganze Militärindustrie aufs Korn: Schlichte Gier sei die Motivation der „masters of war“, nicht ihre Ideologie.
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„Is your money that good?“, spuckt Dylan ihnen entgegen, nachdem er ein globales Massaker beschreibt, „will it buy you forgiveness?“ Zum Song-Ende wünscht er den Bombenbauern selbst den Tod und schwört, an ihren Gräbern auszuharren, „till I‘m sure that you dead“. „Normalerweise singe ich ja keine Lieder, in denen man anderen Menschen den Tod wünscht“, sagte er damals, „aber in diesem Fall musste ich einfach eine Ausnahme machen.“
25. Knockin‘ On Heavens Door – PAT GARRETT & BILLY THE KID (1973). Dylan – immer ein Fan von Western und anderen Outlaw-Epen – schrieb eine Handvoll Songs für Sam Peckinpahs Film „Pat Garrett & Billy The Kid“. Der Filmkomponist Jerry Fielding wurde konsultiert, um Dylan unter die Arme zu greifen. Fielding, vom Entwurf dieser ergreifenden Ballade über einen sterbenden Sheriff wenig begeistert, beschrieb seine Reaktion später so: „Es war einfach Scheiße …
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Ich stieg umgehend aus dem Projekt wieder aus.“ Er blieb mit seiner Meinung ziemlich allein: „Knockin‘ On Heaven’s Door“ erreichte Platz 12 in den US-Pop-Charts und wurde einer von Dylans meist gecoverten Songs. Er ist musikalisch auch einer seiner einfachsten: Wer sich vier Akkorde und sieben Textzeilen merken kann, ist im Spiel. Was vermutlich auch der Grund ist, dass dieser Song gerne gewählt wird, wenn Dylan zum Ende eines Auftritts einen Gast-Star auf die Bühne holt.
24. Lay, Lady, Lay – NASHVILLE SKYLINE (1969). Von LENNY KRAVITZ: Zum ersten Mal hörte ich den Song, als ich sechs oder sieben Jahre alt war. Ich saß hinten im alten VW-Käfer meiner Eltern, die gerade durch New York kurvten und WABC eingeschaltet hatten. Es war die erste Dylan-Nummer, in die ich mich spontan verliebte. Als ich später andere Songs hörte, fragte ich mich: „Wo ist denn diese tiefe, sonore Stimme geblieben?“ Auf „Lay, Lady, Lay“ klang seine Stimme jedenfalls ganz anders – und ich war davon ausgegangen, dass dieser Typ immer so singen würde …
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Es ist eigentlich ein „schwarzer“ Song – sehr beseelt und sinnlich. „Lay across my big brass bed“ könnte eine Zeile sein, wie sie auch ein Isaac Hayes schreibt. Das Wundervolle an Dylan ist nun mal die Tatsache, dass er dieses unglaubliche Chamäleon ist: Er vereint so viele unterschiedliche Charaktere in sich – wie ein Maler, dem eine unbegrenzte Auswahl an Farben zur Verfügung steht. Ich liebe den Gesang, ich liebe die absteigende Akkordfolgen, ich liebe die kleinen Schlenker des Schlagzeugs. Es ist einfach ein schlichter, wunderschöner Lovesong, an dem einfach alles stimmt.
23. Forever Young – PLANET WAVES (1974). Dylan nahm dieses volksnahe Stoßgebet mit der Band gleich zweimal auf: als gefühlvolle Ballade, mit der die erste LP-Seite beendet wird – und als krachenden Country-Rocker, der Seite 2 eröffnet. Lyrics wie „May you have a strong foundation/ When the wind of changes shift“ sind so positiv und verbindlich, wie sie Dylan nur selten schrieb …
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Sie waren vielleicht auch ein ermutigender Appell an eine Generation, die nach den Sixties mit einem dicken Kultur-Kater aufgewacht war. Dylan erwähnte, dass er den Song für seinen Sohn Jesse geschrieben habe; andere sehen in ihm eine Referenz an Neil Young, der 1972 mit „Heart Of Gold“ einen überraschenden Nummer-eins-Hit gelandet hatte.
22. Don’t Think Twice, It’s All Right – THE FREEWHEELIN‘ BOB DYLAN (1963). Dylan leckte seine Wunden, als ihn Suze Rotolo, seine erste ernsthafte Freundin, 1962 verließ und zu einem zeitlich unbegrenzten Trip nach Italien aufbrach. In dieser Situation entstand eine klassische Trennungs-Ballade, in der er zwischen Enttäuschung und bitteren Vorwürfen („You just wasted my precious time“) hin- und hertaumelt. „Es ist kein Lovesong“, schrieb er in den Liner-Notes zu „The Freewheelin‘ Bob Dylan“, „sondern nur eine Aussage, die man vielleicht macht, um sich nachher besser zu fühlen. Es ist so, als würde man mit sich selbst sprechen.“ …
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Dylan borgte sich die Melodie von dem Folksänger Paul Clayton (der sie selbst aus einem Lied namens „Scarlett Ribbons For Her Hair“ übernommen hatte) und stimmte einem außergerichtlichen Vergleich zu, als ihn Clayton verklagen wollte. Ein Geflügel-Großhändler in der Nähe von Dylans Apartment lieferte hingegen kostenlos die Kulisse des Songs: „When your rooster crows in the break of dawn/ Look out your window, and I’ll be gone.“ Wie sich Rotolo in ihren Memoiren von 2008 erinnerte, „blieben Bob und ich die ganze Nacht auf … Wenn der Morgen kam, konnten wir das Krähen der Hähne hören.“
21. Mississippi – LOVE AND THEFT (2001). Von SHERYL CROW: Ich veröffentlichte „Mississippi“ noch vor Bob Dylan auf meinem Album „The Globe Sessions“ – und es veränderte das komplette Album. Es gibt kein Gramm Fett in diesem Song, jede Zeile erfüllt ihre Funktion. Er sagte einmal, dass er die Vorstellung liebe, mit jeder Zeile einen neuen Song anfangen zu können. Auf „Mississippi“ trifft das definitiv zu. Es ist ein philosophischer Song über das Altern, über die Erlösung und die Wege, die einem Menschen offenstehen – und die Worte klingen fast so, als stammten sie aus der Bibel:
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„Well, my ship’s been split to splinters and it’s sinkin‘ fast/ I’m drownin‘ in the poison, got no future, got no past/ But my heart is not weary, it’s light and it’s free.“ Es ist der Dylan, der auch ein Short Story-Schreiber wie John Steinbeck oder Mark Twain sein könnte: Er reißt eine Geschichte an, macht aber gleichzeitig auch diese zeitlosen, fundamentalen Statements. „Missisippi“ ist unsere Einführung in den Dylan, der seiner Sterblichkeit mit Gelassenheit entgegensieht. Er mag vor einigen Jahren seinen 70. Geburtstag gefeiert haben, aber für mich scheint er einfach nicht mehr zu altern. Aber das ist eine Eigenschaft, die mythologische Gestalten nun einmal haben.
20. Blowin‘ In The Wind – THE FREEWHEELIN‘ BOB DYLAN (1963). Der Song, der seinen Ruf als „Prophet“ begründete, stellt neun Fragen – und gibt keine Antworten. Dylan behauptet, er habe nur 20 Minuten gebraucht, um diese Meditation über die menschliche Unmenschlichkeit herauszuhauen – basierend auf dem Spiritual „No More Auction Block“, in dem die instituierte Sklaverei angeprangert wurde …
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Die Version, die zunächst im Radio gespielt wurde, war aber das Cover von Peter, Paul & Mary, das 1963 immerhin Platz 2 der amerikanischen Pop-Charts belegte. Egal, welche Version es war – die Worte waren so simpel, als seien sie ihm auf einer Steintafel aus dem Himmel gereicht worden. „Es sind absolut wundervolle Worte“, sagte Merle Haggard. „Sie waren damals zeitlos – und sind es noch immer.“
19. Blind Willie McTell – THE BOOTLEG SERIES VOL. 1 – 3 (1991). „Infidels“-Produzent Mark Knopfler war angeblich schockiert, als Dylan dieses Highlight wieder vom Album entfernte. Selbst Jahrzehnte später ist Dylans Entscheidung nicht nachvollziehbar: „Blind Willie McTell“ ist eins der wenigen Meisterwerke, die er Anfang der Achtziger ablieferte …
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Nur von sparsamer Instrumentierung begleitet, begibt er sich auf eine Reise in die Südstaaten, zu den Sträflingskolonnen in Ketten, den Friedhofsglöckchen und den „charcoal gypsy maidens“. Es ist eine desillusionierende Verneigung vor dem wirklichen Willie McTell, der für seine nie endenden Tourneen ebenso berüchtigt war wie Dylan selbst. „I was born to be a rambler“, sang der verstorbene Bluesmann einst. „I’m gonna ramble till I die.“
18. Ballad Of A Thin Man – HIGHWAY 61 REVISITED (1965). Er schrieb bösartige Songs en masse, aber es gibt nur wenige, die gleichzeitig auch so lustig sind wie die Geschichte des Mannes, der einfach nichts geschnallt kriegt. Dylan serviert einige rätselhafte Zeilen („You should be made to wear earphones“), nur um dann den perplexen Hörer dafür anzumachen, dass er den Witz nicht kapiert …
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Es gibt auch zahlreichende homoerotische Anspielungen – von dem nackten Mann über den Schwertschlucker bis zum einäugigen Zwerg –, die vermutlich nur deshalb ihre Existenzberechtigung haben, weil sie biedere Zeitgenossen wie „Mr. Jones“ in Verlegenheit bringen. Dylan hat die Frage nach der Identität des wahren Mr. Jones im Laufe der Jahre mehrfach beantwortet, doch seine überzeugendste Aussage lieferte er 1985: „Es gab damals eine Menge Mr. Joneses … Man dachte nur: ,Oh Scheiße, hier kommt schon der 1000. Mr. Jones.‘“
17. This Wheel’s On Fire – THE BASEMENT TAPES (1975). Man kann so ziemlich alles in diese brodelnde Beschwörung des Chaos‘ hineininterpretieren – den Vietnamkrieg wie Dylans Motorradunfall 1966. Tatsächlich aber ist es Dylans grimmiges Versprechen, dass der Verrat, der in den ersten Zeilen angesprochen wird („You’re the one/ That called on me to call on them/ To get your favors done“), mit gleicher Münze heimgezahlt werden wird. Es muss Dylan schwergefallen sein, diesen Furor in Tönen zu komprimieren. Jedenfalls bat er Rick Danko von The Band, die passende Musik vorzuschlagen …
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Die langsame, richtungslose Melodie trug ihren Teil dazu bei, eine Atmosphäre von Verzweiflung und Verlassenheit zu kreieren. „Ich brachte mir damals gerade das Klavierspielen bei“, erinnerte sich Danko. „Einige der Sachen, die ich schrieb, schienen perfekt zu Dylans Lyrics zu passen.“ Im Vergleich zur „Basement Tapes“-Version von 1967 bekam die Nummer eine Adrenalinspritze (und ein funky Keyboard-Element), als The Band sie 1968 für ihr Debütalbum „Music From Big Pink“ aufnahmen. Die definitive Coverversion aber spielten die Byrds 1969 auf „Dr. Byrds & Mr. Hide“ ein: Die sägende Fuzz-Gitarre von Clarence White klingt, als sei die Apokalypse bereits eingetreten.
16. Positively 4th Street – BOB DYLAN’S GREATEST HITS (1967). Von LUCINDA WILLIAMS: Ich liebe einfach das Sujet des Songs: Eifersucht kontra künstlerischer Erfolg. Ich hab‘s am eigenen Leib erfahren. „You see me on the street, you always act surprised/ You say: ,How are you? Good luck!‘ But you don’t mean it.“ Ich machte die gleiche Erfahrung, als ich zurück nach Austin kam. 1974 hatte ich dort als Straßensängerin angefangen, war dann aber nach Los Angeles gezogen. Als ich wieder nach Austin zurückkam, war plötzlich alles anders. Bei einem Konzert traf ich eine Freundin, eine andere Musikerin, die ich schon von früher kannte. Als ich in den Tourbus stieg, wollte sie noch ein bisschen rumhängen und meinte:
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„Lucinda, manchmal wünschte ich mir, du hättest keinen Erfolg gehabt.“ Was zum Teufel soll das bedeuten? Jesus! Aber genau das ist das Thema von „Positively 4th Street“. Vor allem liebe ich das Ende des Songs: „I wish that for just one time, you could stand inside my shoes/ You’d know what a drag it is to see you.“ Es ist einfach ein wundervolles Gefühl, diese Zeilen zu singen. Dylan schrieb diese Zeilen wohl, als er noch im Greenwich Village lebte, aber gerade berühmt wurde. Niemand mag zugeben, dass solche Geschichten wirklich passieren – und natürlich weiß niemand, was es bedeutet, Bob Dylan zu sein. Es gibt diese Person nur einmal. Und er spielt seine Rolle verdammt gut.
15. Simple Twist Of Fate – BLOOD ON THE TRACKS (1975). Dylan observiert, wie sich eine harmonische Beziehung in Luft auflöst, ohne dass die beiden Protagonisten für die Trennung verantwortlich sind. Seinerzeit vermutete man zwar, dass er vom Ende seiner Ehe mit Sara sprach, doch sein Notizbuch zu „Blood On The Tracks“ enthüllte eine andere Version:
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Ursprünglich hatte der Song den Untertitel „4th Street Affair“ – eine Anspielung auf das Apartment in 161 W 4th Street, wo er mit Freundin Suze Rotolo wohnte, nachdem er in New York angekommen war. Der Erzähler des Songs hat sich in eine Reihe belangloser One-Night-Stands geflüchtet (wie Dylan Anfang 1975 vermutlich auch), doch seine Gedanken wandern noch immer in die Vergangenheit zurück.
14. Highway 61 Revisited – HIGHWAY 61 REVISITED (1965). „Ich hatte immer das Gefühl, auf ihm losgefahren zu sein, ihn nie verlassen zu haben – und von ihm aus all meine Ziele erreichen zu können.“ Dylan sprach vom Highway 61, der von seiner Heimat Minnesota runter nach New Orleans führt. Auf „Highway 61 Revisited“ konnte er beweisen, wie weit ihn diese Straße führte. Der Track entstand in einer Marathon-Session, die auch „Just Like Tom Thumb‘s Blues“, „Ballad Of A Thin Man“ und „Queen Jane Approximately“ abwarf. Doch es war das frenetische Titelstück seines elektrischen Durchbruch-Albums, auf dem ein hochgradig maliziöser Dylan wirklich Gas gibt …
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Er lädt einige zweifelhafte Figuren (nicht zuletzt: Gott und Abraham) auf Amerikas „blues highway“ ein – und geht gleichzeitig mit lieb gewonnenen Exzessen (dem hohlen US-Patriotismus, der krassen Kommerzialisierung) hart ins Gericht. Sessionmusiker Al Kooper verriet später, dass er es war, der Dylan die Polizeipfeife in die Hand drückte, die man am Anfang und Ende des Songs hört. Dylan könne sie doch vielleicht statt seiner angestammten Mundharmonika einsetzen. „Etwas Abwechslung für dein Album“, sagte er Dylan. „Passt auch besser zu den Lyrics.“
13. Subterranean Homesick Blues – BRINGING IT ALL BACK HOME (1965). Der „amerikanische Traum“ sah für Dylan wie folgt aus: „Twenty years of schooling and they put you on the day shift“ – und das auch nur, wenn du Riesen-Dusel hast, Kid. „Subterranean Homesick Blues“ war Dylans erster elektrischer Stromstoß und wurde im März 1965 als Single veröffentlicht. Mit einem Sperrfeuer aus Einzeilern, die fast schon den Rap vorwegnehmen, macht er sich über die kollektive Konfusion in Amerika lustig …
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„Look out, kid/ You’re gonna get hit“, warnt Dylan die Kids, die vor Cops, Lehrern, der Armee, ja sogar Meteorologen Reißaus nehmen. (Was die radikale Politgruppe „The Weathermen“ nicht davon abhielt, trotzdem ihren Namen aus diesem Song abzuleiten.)
„Es ist kein Folk-Rock, es sind einfach nur Instrumente“, sagte Dylan 1965 der „Chicago Daily News“. „Ich hab mich nun schon lange genug auf den unterschiedlichsten Straßen herumgetrieben, um so was machen zu können.“ Nach „Subterranean Homesick Blues“ klangen Amerikas Straßen jedenfalls noch gefährlicher – wenn auch aufregender – denn je zuvor.
12. Desolation Row – HIGHWAY 61 REVISITED (1965). Von MICK JAGGER: Die Musik ist simpel – gerade mal drei Akkorde für elf Minuten, dazu minimale Begleitung –, und doch ist sie unglaublich effektiv. Wir haben Dylan, einen Bassisten und Charlie McCoy, den Studio—Gitarristen aus Nashville, der einen hübschen Kontrapunkt zur Melodie liefert. Selbst heute noch klingt dieser leicht spanische Touch einfach wundervoll. Aber er lenkt auch nicht davon ab, was nun mal der eigentliche Programmpunkt ist: der Gesang und die Lyrics. Es ist fast schon so etwas wie ein Rezitativ, das Dylan hier mit unbewegter Miene vorträgt, und doch zieht es dich unwillkürlich in seinen Bann. Was mir besonders gefällt, sind all diese Charaktere, mit denen er unsere Fantasie herausfordert …
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Bekannte Zeitgenossen, einige real, einige mythisch, tauchen in einem surrealistischen Kontext auf: das Phantom der Oper, Ezra Pound und T. S. Eliot, Cinderella, Bette Davis, Kain und Abel … Ich mag die Stelle über Einstein, der als Robin Hood verkleidet ist: „You would not think to look at him, but he was famous long ago/ For playing the electric violin on Desolation Row.“ Man kann sich Einstein plastisch vorstellen: wie ihm die Haare zu Berge stehen, wie er zur Geige greift – die Einstein ja tatsächlich gespielt hat. Jemand behauptete mal, „Desolation Row“ sei Dylans Version von Eliots „The Waste Land“. Ich kann das nicht verifizieren, aber es ist in jedem Fall eine wunderbare Sammlung geistreicher Metaphern – eine fiktive „Bowery“ –, die deine Fantasie wirklich auf Trab bringt.
11. It’s All Over Now, Baby Blue – BRINGING IT ALL BACK HOME (1965). Im Film „Don’t Look Back“ sitzt Dylan in einem Zimmer des piekfeinen Londoner Savoy-Hotels. Er ist gelangweilt, greift zur Gitarre und spielt für die anwesenden Rumhänger einen neuen Song, den er gerade geschrieben hat. Er hat ein teuflisches Grinsen im Gesicht, doch schon nach den ersten zwei Versen ist er der Einzige, der überhaupt noch grinst. Allen anderen Anwesenden ist das Lachen vergangen. Die Party ist zu Ende …
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Der Song ist ein giftiges Adieu – von der früheren Unschuld, einem Mädchen namens „Baby Blue“ oder vielleicht auch der gesamten Folk-Szene. Als seine elektrischen Songs beim Newport Folk-Festival ausgebuht worden waren, kehrte Dylan mit der Akustik-Gitarre zurück und spielte genau diesen Song. Es war ein symbolischer Stinkefinger. „Baby Blue“ sollte umgehend einer seiner meist gecoverten Songs werden, aber niemand konnte „Strike another match, go start anew“ mit einem derartigen Ingrimm singen wie Dylan selbst.
10. Every Grain Of Sand – SHOT OF LOVE (1981). „Der Song könnte auch einer der großen David-Psalmen sein“, sagte Bono über die hypnotische Ballade, die Dylans explizit christliche Phase abschloss. Teils Mystizismus à la William Blake, teils noch biblischer Nachhall, verabschiedet sich Dylan hier jedenfalls von der Selbstgerechtigkeit, die seine religiösen Songs überschattet hatte. Auf dem verzweifelten Ruf nach Erlösung wird er von der Gospel-Sängerin – und Dylans damaliger Herzensdame – Clydie King begleitet …
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(„Mir läuft es kalt den Rücken herunter, wenn ich sie nur atmen höre“, sagte er einmal.) „Every Grain Of Sand“ überrascht mit einer bewegenden Demut (Sometimes I turn, there’s someone there, other times it’s only me“) oder, wie Bono es ausdrückt: „Dylan hört auf, die Welt anzuklagen, richtet das Licht auf sich selbst und sinkt auf die Knie.“
Dylan beschrieb „Every Grain Of Sand“ später als „einen beseelten Song, der einfach über mich kam. Ich hatte das Gefühl, nur die Worte auszusprechen, die von einem anderen Ort kamen.“
9. Visions Of Johanna – BLONDE ON BLONDE (1966). „Visions Of Johanna“ ist eine Tour de Force – ein Durchbruch nicht nur für Dylan, sondern für die Profession des Songschreibers generell. Es ist die impressionistische Erinnerung an eine beschwipste Nacht in New York, reich an visuellen Details und erotischen Wünschen, wobei die Verse zwischen der präzisen Beschreibung der einen Frau (der anwesenden und verfügbaren Louise) und seinem heimlichen Verlangen nach einer abwesenden Frau oszillieren. Johanna mag nur eine Vision sein, aber sie ist in jedem Fall seine Droge. „Es ist paradox“, sagte Bono einmal. „Er schreibt den ganzen Song über dieses eine Mädchen und beschreibt sie bis ins Detail, aber am Ende stellt sich heraus, dass er eigentlich an ein ganz anderes Mädchen denkt.“
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Dylans meisterliche Beschreibung einer Obsession (die er sinnigerweise kurz nach seiner Hochzeit 1965 schrieb) entwickelte sich für ihn selbst zur Droge. Im Dezember 1965 stellte er den Song erstmals bei einem Konzert vor (Im Publikum befand sich seine ehemalige Flamme Joan Baez, die sich fälschlicherweise angesprochen fühlte), um ihn dann auf seiner anschließenden Welt-Tournee jeden Abend zu spielen – stets aber allein auf der Akustik-Gitarre. Ein Versuch, mit The Hawks eine elektrische Version einzuspielen (noch unter dem bissigen Titel „Seems Like A Freeze Out“) war im November 1965 nach 14 Anläufen ergebnislos abgebrochen worden. The Hawks waren zu diesem Zeitpunkt wohl noch zu sehr eine Bar-Band, um Dylans komplexe Konfession nuanciert umsetzen zu können.
Bei den Aufnahmen in Nashville gelang die Umsetzung indes gleich mit dem ersten Take. Die gestandenen Session-Profis, durch Robbie Robertsons Gitarre verstärkt, lieferten für das poetische Feuerwerk und Dylans vokale Stimmungswechsel offenbar die gewünschte, musikalisch entspannte Grundlage.
„Ich spiele die Nummer noch immer dann und wann“, sagte er 1985. „Sie spricht mich eigentlich genauso an wie damals. Auf unerklärliche Weise vielleicht sogar noch mehr.“
8. Mr. Tambourine Man – BRINGING IT ALL BACK HOME (1965). Von DAVID CROSBY: Wenn ich mich recht erinnere, war die Byrds-Aufnahme von „Mr. Tambourine Man“ die erste Aufnahme mit einem wirklich anspruchsvollen Text, die man je im Radio hören konnte. Die Beatles waren noch nicht so weit, „Eleanor Rigby“ oder „A Day In The Life“ schreiben zu können, sondern sangen immer noch ihr „Ooh, baby“. Aber Bobs Lyrics waren einfach superb. „To dance beneath the diamond sky with one hand waving free“ – das war die Zeile, die mich wirklich packte. Ich denke, er war gerade dabei, seine Stimme als Dichter zu finden.
Ich hatte ihn ein paar Jahre zuvor in „Gerde’s Folk City“ in New York erstmals gesehen. Alle schwärmten sie damals von ihm …
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Ich dachte mir nur: „Scheiße, ich kann besser singen als der. Warum machen sie nur so einen Bohei um ihn?“ Dann fing ich an, ihm genauer zuzuhören – und war drauf und dran, die Flinte wieder ins Korn zu werfen. Ich glaube, dass die Byrds Bobs ideale Dolmetscher waren. Bob hatte nicht die Vision, den Song so zu bearbeiten, wie wir es dann taten. Als er ins Studio kam und unsere Version hörte, war er Feuer und Flamme. Ich glaube sogar, dass unsere Version mit ein Grund war, dass Dylan sich danach zum Rock’n’Roll orientierte. Er dachte sich wohl: „Moment mal, das ist ja mein Song“ – und konnte mit eigenen Ohren hören, wie man ihn auch ganz anders spielen konnte.
7. It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding) – BRINGING IT ALL BACK HOME (1965). „Ich weiß nicht mehr, wie ich so einen Song schreiben konnte“, sagte Dylan 2004. „Setz dich hin und versuch’s mal. Ich hab’s einmal geschafft und hab mir inzwischen auch andere Sachen draufgeschafft, aber das kann ich beim besten Willen nicht mehr.“
Dylan schrieb ihn 1964 in Woodstock, als seine Folk-Freunde Joan Baez und Richard & Mimi Farina bei ihm zu Besuch waren. „It’s Alright, Ma“ markiert den Übergang von den politischen Statements, die kurzzeitig sein Trademark waren, zu einer universellen Vision „of life, and life only“. Anstatt mit dem Finger auf konkrete kulturelle Defizite zu zeigen, rammt er das gesamte Konstrukt in Grund und Boden und behauptet nun, dass alles Eitelkeit sei und Heuchelei und durchsichtige Propaganda …
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Die Lyrics verarbeiten Verneigungen vor Arthur Koestler (und seinem Roman „Sonnenfinsternis“), dem Buch der Ekklesiasten und dem von ihm so geliebten Elvis Presley. (Der Songtitel gemahnt sogar an Presleys „That’s allright now, Mama.“) Dylan hatte immer Probleme, den Song auf der Bühne zu singen, da er nur eine Momentaufnahme in seiner Entwicklung war – ein kleines Juwel, auf das er durchaus stolz war, dessen innere Mechanik ihm aber selbst fremd blieb. Als er 1980 einmal über „That’s Alright, Ma“ sprach, beschrieb er die Schwierigkeit, „mit der Person Kontakt aufzunehmen, die ich beim Schreiben des Songs war. Nichtsdestotrotz kann ich ihn noch immer singen – und ich bin dankbar, ihn geschrieben zu haben.“
6. I Shall Be Released – BOB DYLAN’S GREATEST HITS VOL. 2 (1971). Mit der schlichten Geschichte eines Gefangenen, der sich zurück nach der Freiheit sehnt, machte Dylan einen bewussten Versuch, die wuchernden Assoziationen seiner Mitt-Sechziger-Songs hinter sich zu lassen. „1968 erzählte er mir, dass er inzwischen kürzere Verse schreibe – und dass jede Zeile eine konkrete Funktion habe“, sagte Allen Ginsberg einmal. „Aus dieser Zeit stammen Sachen wie ,I Shall Be Released‘. Er wollte seine Worte nicht mehr so verschwenderisch einsetzen wie früher.“ Das Resultat ist einer von Dylans populärsten Lovesongs, den er erstmals 1967 auf den „Basement Tapes“-Sessions mit The Band verewigte …
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Die Gitarre und eine kirchenähnliche Orgel umrahmen Dylans näselndes Stoßgebet – und erst wenn im Refrain Richard Manuels leidenschaftlicher Harmoniegesang dazustößt, strömt das Sonnenlicht durch die schweren Bleiglasfenster. Mitte der Achtziger pflegte sich David Crosby (der wegen eines Drogenvergehens neun Monate in einem texanischen Gefängnis verbrachte) diesen Refrain selbst vorzusingen: „Any day now, any day now/ I shall be released.“ „Ich ritzte die Zeilen auf meine Zellenwand“, erinnerte sich Crosby. „Ich brauchte Stunden dafür, aber ich ließ mich nicht abbringen. Und ich weiß noch, wie viel Mut es mir machte.“
5. All Along The Watchtower – JOHN WESLEY HARDING (1967). Man könnte die These vertreten, dass der „Joker“ und der „Thief“ zwei polare Konstanten in Dylans Werk sind – und dieses kleine, gerade mal zwölfzeilige Bravourstück über einen Joker (der glaubt, beraubt worden zu sein) und einen Dieb (der glaubt, dass alles ein Joke sei) dringt tatsächlich bis in den Kern des Dylanschen Kosmos‘ vor. Mit Sicherheit ist „Watchtower“ eine seiner unheimlichsten Aufnahmen: Karg arrangiert und von Dylans Sprechgesang dominiert, glaubt man zunächst, eine Ballade zu hören, die sich nun endlos fortsetzen wird …
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Doch kaum haben die beiden Protagonisten ihre einführenden Statements gemacht, endet der Song in einer geheimnisvollen Metapher („two riders were approaching“), die es dem Hörer anheimstellt, die Assoziationen frei wuchern zu lassen.
Die Coverversion von Jimi Hendrix ist eine der wenigen Interpretationen, die Dylans eigene Performance nachhaltig prägten. Hendrix nahm seine Version bereits kurz nach Veröffentlichung von „John Wesley Harding“ auf und gab dem Song dabei eine ungeahnte Intensität. Dylan wusste sich artig zu bedanken: „Er spielte meine Songs genau so, wie ich sie gespielt hätte, wenn ich er gewesen wäre.“
4. Just Like A Woman – BLONDE ON BLONDE (1966). Sie mag Dylans gefühlvollste Ballade sein – ein Lovesong ist sie nicht. „Just Like A Woman“ ist eine komplexe Kreuzung aus Bewunderung und Enttäuschung, Rache und Reue. Dylan äußerte sich nie, ob es eine reale Vorlage für diese Person gegeben habe (Dylanologen verweisen gerne auf Edie Sedgwick, den problematischen „Superstar“ aus Andy Warhols Factory), doch tatsächlich thematisiert Dylan hier primär das Chaos seiner eigenen Liebes-Lektionen (das Geben und Nehmen und Loslassen) …
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Gleichzeitig war es Dylans erster erfolgreicher Ausritt ins Country-Rock-Terrain. Auch wenn er gerade erst mit The Hawks für Schlagzeilen und Begeisterung gesorgt hatte, nahm er den Song mit Sessionmusikern in Nashville auf, die seine Melange aus Entrückung und Verzweiflung kongenial umsetzten. „Man braucht ein ganzes Leben, um all die Details verdauen zu können“, sagte Songschreiber Jimmy Webb. „Noch heute komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Es ist handwerklich ein absolut atemberaubender Song.“
3. Tangled Up In Blue – BLOOD ON THE TRACKS (1975). „Ich brauchte zehn Jahre, um diesen Song zu leben“, pflegte er auf der Bühne gerne zu sagen, „und zwei Jahre, um ihn zu schreiben.“ Seine Ehe lag bereits in Scherben, als er seine bislang intimste Reflexion über Verlust und Sehnsucht verfasste (die dann als Opener für „Blood On The Tracks“ verwendet wurde). Schwankend zwischen Selbstvorwurf und Anschuldigung, entwirft er ein Bild der „Sixties“, das im Rückblick wie ein Jahrzehnt utopischer Träume und enttäuschter Verheißungen wirkt. Sein klagender Gesang und die bodenständige Gitarrenarbeit der Sessionmusiker aus Minneapolis rufen eher ein Sentiment aus der Vergangenheit in Erinnerung:
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den Herzschmerz und die anschließende geistige Wiedergeburt, wie wir sie aus den Folk-Balladen der Appalachen kennen. Für seine Konzerte wählte Dylan die unterschiedlichsten Interpretationen, entfernte sich dabei aber nie von der emotionalen Unverfälschtheit dieser Aufnahme. Es war der Ort, wo individuell empfundene Wahrheiten Zuflucht und Trost im Schoß des amerikanischen Folksongs fanden.
2. A Hard Rain‘s A-Gonna Fall – THE FREEWHEELIN‘ BOB DYLAN (1963). Der größte Protestsong von dem größten Protestsänger seiner Zeit: ein siebenminütiges Epos, das vor der kommenden Apokalypse warnt, gleichzeitig aber die Horrorvisionen (Waffen-schwingende Kinder, ein Baum, aus dem Blut fließt) mit alttestamentarischem Furor beschreibt. „Jede Zeile ist eigentlich der Anfang eines neuen Songs“, sagte Dylan damals. „Als ich die Nummer schrieb, ging ich davon aus, in meinem Leben nicht genug Zeit zu haben, um all diese Songs zu vollenden. Also packte ich sie alle in einen.“
Die Bedrohung durch einen Atomkrieg lag damals in der Luft – wie auch andere „Freewheelin‘“-Songs („Talkin‘ World War III Blues“ und „Let Me Die In My Footsteps“) dokumentieren. Aber der „rain“ war in diesem Fall eher ein symbolischer: „Es geht nicht um radioaktiven Niederschlag“, kommentierte Dylan. „Ich dachte eher an ein gottgegebenes Ende, wie es ohnehin stattfinden wird.“ …
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„A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ (das „a-gonna“ ist eine Verneigung vor Woody Guthrie) war zunächst ein Gedicht, das Dylan auf der Schreibmaschine seines Greenwich Village-Freundes Wavy Gravy heraushaute. Der Song feierte seine Premiere im September 1962, als Dylan Teil einer Folk-Revue in der Carnegie Hall war, bei dem jedem Musiker nur zehn Minuten zur Verfügung standen. „Bob hob die Hand“, erinnerte sich Pete Seeger, der das Konzert veranstaltete, „und meinte: ,Wie soll ich das machen?‘ Einer meiner Songs ist allein schon zehn Minuten lang.‘“ Mit „A Hard Rain“ greift Dylan erstmals das Thema der Apokalypse auf, das von nun an seine Arbeit bestimmen sollte. Aber die Wort-Kaskaden münden diesmal nicht in einer Katastrophe, sondern in der Einsicht des Künstlers, gegen jede Form von Finsternis ansingen zu müssen. „to tell it and think it and speak it and breathe it“ – bis seine Lungen bersten. „Der Song ist schon jenseits von Genie“, meinte Bob Weir von den Grateful Dead. „Ich glaube, dass sich der Himmel öffnete und eine übernatürliche Eingebung zu ihm hinunterschickte.“
1. Like A Rolling Stone – HIGHWAY 61 REVISITED (1965). Von Bono: Dieses höhnische Lächeln – man kriegt es einfach nicht aus dem Kopf. Sicher, auch Elvis war rotzig und arrogant – und die Rolling Stones nicht minder –, aber es war Dylans provokative Anmache auf „Like A Rolling Stone“, die den Wein wirklich in Essig verwandelte.
Es ist ein wahrer Leberhaken von einem Pop-Song. Die verbalen Hiebe öffneten einer ganzen Songwriter-Generation neue Türen, während der Zuhörer betäubt auf der Ringmatte zurückbleibt. „Like A Rolling Stone“ ist die Geburtsstunde eines Bilderstürmers, der die Provokation zur Sprache des Rock’n’Roll macht – Dylan als biblischer Jeremia, der gegen die Kleingeister und Mitläufer die Peitsche erhebt. Nachdem er zuvor gegen die politischen Heuchler gewettert hatte, zieht er nun gegen Feinde zu Feld, die aus seiner näheren Umgebung stammen: die „Szene“, die High Society, die „pretty people“, die von sich glauben, „they’ve got it made“. Er setzt sich noch nicht mit seinen eigenen Dämonen auseinander – das folgt erst später –, aber die Trennlinie zwischen dem „wir“ und „den anderen“ wird schon nicht mehr so rigoros gezogen wie noch auf seinen frühen Alben. Er fletscht die Zähne in Richtung der Hipster, die von sich glauben, ein gültigeres Wertesystem zu besitzen, nur weil sie die richtigen Boots tragen. Für die einen waren die Sixties eine befreiende Revolution, aber es gab auch andere, die im Greenwich Village die Guillotine installierten – nicht etwa für die politischen Gegner, sondern für die Pharisäer in den eigenen Reihen. Und Bob Dylan freundete sich mit dieser Idee zunehmend an, auch wenn er mit seinen wüsten Korkenzieher-Haaren (die Jimi Hendrix kopieren sollte) optisch noch die angesagte Hipness symbolisierte. Die Sturzflut aus Worten, Bildern und heiligem Zorn macht „Rolling Stone“ zu einer Vorform musikalischer Ausdrucksformen, die sich erst zehn oder 20 Jahren später manifestieren sollten – wie Punk, Grunge oder HipHop. Es muss schwer gewesen sein, sich damals in Dylans Nähe aufzuhalten: Sein sezierender Blick nahm alles und jeden aufs Korn …
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Aber die eigentliche Boshaftigkeit steckt in diesem abgrundtiefen Humor. „If you ain’t got nothing, you got nothing to lose“ – der perfekte Slogan für das imaginäre T-Shirt. Die Zeile, die mir am besten gefällt, ist aber: „You never turned around to see the frowns on the jugglers and the clowns/ When they all did tricks for you/ You never understood that it ain’t no good/ You shouldn’t let other people get your kicks for you.“
Die Instrumentalarbeit auf diesem Track – von Leuten wie Gitarrist Mike Bloomfield und Keyboarder Al Kooper – ist so plastisch und physisch greifbar, als würde man beobachten, wie gerade Farbe auf eine Leinwand gepinselt wird. Wie so oft, wussten die Musiker im Studio nicht, um was es sich beim nächsten Song eigentlich handeln würde. Es ist wie eine erste Berührung: Sie lernen den Song kennen – und man kann die Freunde des Entdeckens mit Händen greifen.
Wenn der Wunsch nach Kommunikation mit dem nicht minder starken Antrieb kollidiert, dabei keine Kompromisse einzugehen – dann wird Rock’n’Roll geboren. Und genau das ist es, was Dylan mit „Rolling Stone“ glückte. Ich bin nicht sonderlich daran interessiert, wer in dem Song angesprochen wird – auch wenn ich diverse Leute traf, die von sich behaupteten, sie seien gemeint gewesen (obwohl einige 1965 nicht mal geboren waren). Die eigentliche Faszination geht von der Tatsache aus, dass ein derart radikaler Song im Radio gespielt werden konnte. Die Welt war plötzlich nicht mehr dieselbe – weil es jemanden gab, der eine unerwiderte Liebe zum Anlass nahm, eine derart giftige Tirade in die Welt zu setzen.
Ich mag grundsätzlich Songs, die unser Leben auf den Kopf stellen. Dies sind die Gründe, aus denen ich in einer Band spiele: David Bowies „Heroes“, Arcade Fires „Rebellion (Lies)“, Joy Divisions „Love Will Tear Us Apart“, Marvin Gayes „Sexual Healing“, Public Enemys „Fight The Power“. Aber an der Spitze dieses missratenen Stammbaums sitzt unser feuerspuckender König selbst, der Mann, der mit Schönheit und Wahrheit jongliert wie kein anderer, unser eigener Willy Shakespeare. Er ist der Grund, warum alle nachfolgenden Songschreiber ihm nicht mal das Wasser reichen können – und warum dieser niedere irische Barde stolz darauf wäre, auch nur sein Gepäck tragen zu dürfen. Heute und bis in die Ewigkeit.
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