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Die 100 besten Songs von Bob Dylan – Platz 66-34
Wir fragten die größten Dylan-Experten nach ihren Favoriten - von 'Just Like A Woman' bis 'John Wesley Harding'. Mit Würdigungen von Bono, Mick Jagger, Jim James, Lucinda Williams und anderen.
66. Shelter From The Storm - BLOOD ON THE TRACKS (1975). Die zwei Gesichter des Songs wurden in zwei Aufnahmen festgehalten, wie sie unterschiedlicher nicht ausfallen konnten. Auf „Blood On The Tracks“ ist der Song eine – rein akustische – Reflexion über eine gescheiterte Beziehung, eine wohlwollende Erinnerung an eine Frau, die dem Sänger zumindest für kurze Zeit emotionale Zuflucht gewährte ...
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Alvan Meyerowitz/Michael Ochs Archives/Getty Images.
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66. Shelter From The Storm – BLOOD ON THE TRACKS (1975). Die zwei Gesichter des Songs wurden in zwei Aufnahmen festgehalten, wie sie unterschiedlicher nicht ausfallen konnten. Auf „Blood On The Tracks“ ist der Song eine – rein akustische – Reflexion über eine gescheiterte Beziehung, eine wohlwollende Erinnerung an eine Frau, die dem Sänger zumindest für kurze Zeit emotionale Zuflucht gewährte …
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Auf dem Live-Album „Hard Rain“ wurde daraus ein krachender Rocker und die abfällige Demontage einer Heuchlerin, deren Versprechungen nur als zynischer Scherz abgetan werden. Es war Dylans besondere Gabe, derartige Extreme in einem einzigen Song einzufangen – der in diesem Fall geschrieben wurde, als seine Ehe mit Sara zu bröckeln begann. „Beauty walks a razor’s edge“, singt Dylan: Wenn man nach Schönheit sucht, sollte man sich eben auch darauf einstellen, sie manchmal teuer zu bezahlen.
65. Tough Mama – PLANET WAVES (1974). Einer von Dylans sexuell aufgeladenen Rockern wurde im November 1973 mit The Band aufgenommen, die einen mörderisch groovenden Boogie aufs Parkett legten. Die Liste der Charaktere könnte auch aus „Workingman’s Dead“ stammen:
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„Jack the Cowboy“, „The Lone Wolf“ und eben die im Titel verewigte heiße Mama, die alternativ auch „Dark Beauty“, „Sweet Goddess“ oder „Silver Angel“ genannt wird. Die poetische Verfremdung hingegen ist typisch Dylan: „Today on the countryside it was a-hotter than a crotch/ I stood alone upon the ridge and all I did was watch.“ Der durchgeknallte Text mag der Grund gewesen sein, warum „Tough Mama“ nur selten von anderen Musikern gecovert wurde. In punkto Kauzigkeit macht man Dylan nun mal so schnell nichts vor.
64. Abandoned Love –
BIOGRAPH (1985). Ein entsorgter Track aus den Mitt-Siebzigern, auf dem Scarlet Riveras Fiddle die Melodie über ein lockeres Country-Tänzchen legt. Die Lyrics hingegen haben mit Tanzvergnügen wenig am Hut: Eine Reihe von Vers-Paaren, die immer dichter und dringlicher werden, beschwört den Zerfall einer Beziehung in schonungsloser Eindringlichkeit:
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„Everybody’s wearing a disguise/ To hide what they got left behind their eyes“, lamentiert Dylan. „But me, I can’t cover what I am/ Wherever the children go I’ll follow them.“ Der Track wurde 1975 für „Desire“ aufgenommen, dann aber gegen „Joey“ ausgetauscht. Zehn Jahre später tauchte er auf „Biograph“ wieder auf – und zählt heute zu den resignativsten Aufnahmen, die Dylan je machte.
63. If You See Her, Say Hello – BLOOD ON THE TRACKS (1975). Auf dem wohl quälendsten Track von „Blood On The Tracks“ leckt Dylan seine noch frischen Wunden: „To think of how she left that night, it still brings me a chill.“ Der Text wurde mehrfach umgeschrieben:
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Die Zeile „If you’re making love to her, kiss her for the kid“ etwa wurde abgemildert in „If you get close to her, kiss her once for me“, doch auch die finale Fassung geht noch immer ins Mark. Hört man Dylans Geständnis („either I’m too sensitive or else I’m gettin‘ soft“), zeigen die Zeilen nicht weniger Wirkung als seine giftigsten Invektiven.
62. Queen Jane Approximately – HIGHWAY 61 REVISITED (1965). Joan Baez nannte „Highway 61 Revisited“ einmal „a bunch of crap“. Vielleicht meinte sie ja den rohen Sound, vielleicht aber auch diesen Song, der eine Frau dafür attackiert, sich hinter ihrer Schönheit und Wohlgeborenheit zu verschanzen …
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Der Text ist manchmal beißend („When all the clowns that you have commissioned have died in battle or in vain“), manchmal aber auch zärtlich („Won’t you come to see me, Queen Jane?“), während der Track musikalisch zu den Highlights des Albums zählt. Handelt der Song von Baez? Als ihn ein Journalist auf die Identität der Queen ansprach, knurrte Dylan nur: „Queen Jane ist ein Mann.“
61. It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train to Cry – HIGHWAY 61 REVISITED (1965). Dieser sinnliche Schieber war noch ein peppiger Blues namens „Phantom Engineer“, als ihn Dylan 1965 in Newport vorstellte. Wenig später war es der erste Song, den er bei den „Highway 61“-Sessions festzunageln versuchte …
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Da er mit dem Arrangement unglücklich war, schob ihn Dylan zur Seite und nahm stattdessen „Tombstone Blues“ auf. Er verbrachte die Mittagspause am Piano, um eine langsamere Version auszutüfteln, die sowohl den Blues-Motiven seiner Lyrics entgegenkam („Don’t the moon look good, Mama, shining through the trees“) als auch die schlüpfige Anmache betonte („I wanna be your lover, baby, I don’t wanna be your boss“). Das Resultat war brandneu und klang doch zeitlos.
60. Buckets Of Rain – BLOOD ON THE TRACKS (1975). Von CAMERON CROWE: Eine seiner großen Gaben besteht darin, uns auf einem Album eine ganz persönliche Offerte zu machen – einen Titel, der nicht nach Aufmerksamkeit heischt, aber trotzdem hängen bleibt. Im Falle von „Blood On The Tracks“ ist das für mich „Buckets Of Rain“ – ein melancholischer, verhaltener, bittersüßer Song, der sich nur langsam heranschleicht, dann aber eine erstaunliche Wirkung entfaltet. Jeder Raum, in dem ich ihn spielte, war anschließend nicht mehr derselbe. Manchmal ist es eben das scheinbar nebensächliche Motiv eines Songs oder eines Films, das sich am Ende als zentrales Element herauskristallisiert. Dylan war in seiner „mittleren Periode“, als er ihn schrieb. Er war zurück nach Minnesota gezogen und lebte auf einer Farm. Er hatte sein Notizbuch dabei und nahm sich die Zeit, an den Texten von „Blood On The Tracks“ zu feilen …
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Es sollte eine persönliche Platte werden – auch wenn das Ergebnis vielleicht schmerzhafte Wunden aufreißen würde. Tatsächlich legte er die Karten so offen auf den Tisch, wie es sich seine Hörer immer gewünscht hatten – und wie er es auch danach nie wieder tun sollte. Natürlich baute er reichlich Stolpersteine und Sackgassen ein, aber keine Frage: „Blood On The Tracks“ ist sein „Blue“, seine Lebensbeichte zum Thema Beziehungen. Und ohne „Buckets Of Rain“ würde ein entscheidendes Mosaik in diesem Puzzle fehlen. Die Substanz dieser Songs ist so zeitlos, dass sie auch nachfolgenden Generationen als Leuchtfeuer dienen können. Ein Song wie „Buckets Of Rain“ atmet eine simple Wahrheit, die uns viel über die Realitäten des Lebens lehrt. Nach einem brennenden Schmerz kommt immer der lindernde Regen.
59. Million Dollar Bash – THE BASEMENT TAPES (1975). Es könnte das Leitmotiv der „Basement Tapes“ sein: „Million Dollar Bash“ ist eine Wundertüte mit sinnfreien Lyrics und einer schrulligen Melodie, die den Geist der spontanen Sessions perfekt widerspiegelt. Dylan nahm den Track im Juli 1967 mit Garth Hudson, Richard Manuel und Rick Danko in „Big Pink“ auf – und das Fehlen der Drums unterstreicht nur noch den unbeschwerten, flatternden Rhythmus …
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Letztlich waren die gesamten „Basement“-Sessions nicht anderes als ein „Million Dollar Bash“: eine vergnügliche, erholsame Unterbrechung von dem galoppierenden Wahnsinn, dem sich Dylan zunehmend ausgesetzt sah. „So sollte man eigentlich immer aufnehmen“, sagte er 1969 dem ROLLING STONE, „in entspannter Atmosphäre, irgendwo in einem Basement. Die Fenster sind geöffnet, der Hund liegt auf dem Boden …“
58. Percy’s Song – BIOGRAPH (1985). „Percy’s Song“, vielleicht am besten bekannt durch Joan Baez‘ brillante Performance in „Don’t Look Back“, war ursprünglich für „The Times They Are A-Changin‘“ geplant, schaffte es aber nicht in die endgültige Auswahl …
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Nichtsdestotrotz muss sich dieser empathische Aufschrei neben Dylans besten Arbeiten aus dieser Phase nicht verstecken. Er singt von einem Freund, der sich nach einem tödlichen Autounfall wegen Totschlages vor Gericht verantworten muss. „He ain’t no criminal, and his crime it is none“, protestiert der Erzähler, doch seine Einwände werden vom Richter ungerührt abgeschmettert.
57. Just Like Tom Thumb’s Blues – HIGHWAY 61 REVISITED (1965). War Dylan überhaupt jemals in Mexiko, als er die Geschichte eines ausschweifenden Trips nach Juárez schrieb? Spielt es eine Rolle? In Dylans Darstellung ist die Grenzstadt jedenfalls ein gefährlicher, faszinierender Ort, in dem es vor Drogen, Korruption und „hungry women“ nur so wimmelt …
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Wie etwa „Saint Annie“ und „Sweet Melinda“, die – ihren unschuldigen Namen zum Trotz – „really make a mess outta you“. Der Song klang gar noch bedrohlicher, als ihn Dylan mit den Hawks auf seiner Welt-Tournee 1966 präsentierte. Eine wüste Live-Version aus Liverpool, auf der B-Seite von „I Want You“ veröffentlicht, war jahrelang das einzige offizielle Dokument dieser trunkenen Tour.
56. You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go – BLOOD ON THE TRACKS (1975). Von JIM JAMES: „Blood On The Tracks“ war immer eine meiner liebsten Dylan-Platten – es ist das klassische tough love-Album, das man auflegt, wenn man mal wieder den Beziehungs-Blues bläst. Und „You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go“ schießt dabei den Vogel ab. Ich weiß nicht, ob es an diesem Zusammenspiel von Akustikgitarre und Bass liegt und wie sie rhythmisch ineinandergreifen, aber wenn ich den Song höre, transportiert er für mich einfach die Essenz von Liebe …
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Es trifft mich tief im Innern, wie Dylan seine Eindrücke vermittelt. Ich kann die Bäume fast riechen, die Blumen, die Sonnenstrahlen, die Menschen, denen ich im Lauf der Jahre begegnet bin – alles erscheint in einem anderen Licht, wenn man verliebt ist. Umgekehrt natürlich auch: Muss man die geliebte Person verlassen oder geht die Beziehung zu Ende, scheint die Welt zusammenzubrechen. All das kann Dylan in wunderbarer Weise vermitteln, wenn er seiner Frau sagt, dass sie immer Teil seiner selbst bleiben wird, dass er sie in allem sieht, was ihm begegnet.
55. If Not For You – NEW MORNING (1970). Nach dem vernichtenden Urteil über „Self-Portait“ („What is this shit?“, hieß es im ROLLING STONE) fragten sich Dylan-Fans, ob er den kreativen Löffel abgegeben habe. Sie sollten nicht lange bangen. Vier Monate später erschien „New Morning“ und lieferte mit dem Opener gleich eine gelungene Country-Rock-Nummer …
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„Ich dachte an meine Frau, als ich den Song schrieb“, erklärte Dylan – und tatsächlich dreht sich alles um Dankbarkeit und häusliche Freuden. Dass der bissigste Songschreiber seiner Generation auch einmal so etwas wie Demut bewies, war durchaus eine willkommene Abwechslung.
54. 4th Time Around – BLONDE ON BLONDE (1966). Es bleibt sein Geheimnis, was genau ihn zu diesem Song inspirierte. Melodie und Story sind eine Referenz an den Beatles-Song „Norwegian Wood“, der wiederum offenkundig von Dylan beeinflusst war. War die Zeile „I never asked for your crutch, now don’t ask for mine“ eine Warnung, ihn nicht weiter zu kopieren? Dylan sollte sich zu dem Vorfall nie äußern …
Copyright: Jan Persson/Redferns
Drei Monate später, als er mit Lennon eine bekiffte Rundfahrt durch London unternahm, war von Animositäten jedenfalls nichts zu spüren. Im folgenden Jahr veröffentlichte Dylan „John Wesley Harding“ – und wenn man das Cover umdrehte, konnte man in dem Baum auf dem Foto angeblich ein Bild der Beatles erkennen …, aber das ist schon wieder ein anderes Mysterium.
53. When I Paint My Masterpiece – BOB DYLAN’S GREATEST HITS VOL. II (1971). Die Studioversion des Songs – eine Reflexion über das Leben auf Tour – tauchte 1971 neben bislang unveröffentlichtem Material auf den „Greatest Hits Vol. II“ auf …
Copyright: David Redfern/Redferns
Produzent Leon Russell lieferte das gospelnde Piano-Fundament für Dylans Lamento über Zeitverschwendung, Superstar-Rummel, die fehlende Inspiration zwischen den Gigs und „a date with Botticelli’s niece“. Die definitive Version aber wurde am Silvesterabend 1971 live mit The Band aufgezeichnet und auf deren Album „Rock Of Ages“ veröffentlicht. „Sailin‘ round in a dirty gondola“, quengelt er da, „oh, to be back in the land of Coca-Cola.“ Wohl noch nie wurde der Namen eines Kommerzproduktes mit derartiger Inbrunst intoniert.
52. Tears Of Rage – THE BASEMENT TAPES (1975). Die bewegende Ballade sah erstmals das Licht der Welt, als sie The Band als Opening-Track ihres meisterlichen Debüts „Music From Big Pink“ verwendeten. Dort wird sie mit elegischem Schmelz von Keyboarder Richard Manuel vorgetragen (der den Song gemeinsam mit Dylan 1967 in „Big Pink“ schrieb), während auf den „Basement Tapes“, offiziell erst 1975 veröffentlicht, Dylan die Leadvocals übernimmt …
Copyright: Brad Elterman/BuzzFoto/FilmMagic
Wie so viele Lieder, die er in „Big Pink“ zu Papier brachte, ist „Tears Of Rage“ ein kryptischer Song, der seine visuelle Sprache aus der Bibel und – in diesem Falle – von Shakespeares „King Lear“ bezieht. Es geht um den Zwist zwischen den Generationen und um Verrat – und die Erwähnung des „Independence Day“ legt die Vermutung nahe, dass die damalige Debatte um den Vietnamkrieg und die Bürgerrechtsbewegung auch bei Dylan Spuren hinterließ. Die mehrfache Ermahnung „life is brief“ klingt wie ein moralischer Appell, wie eine ständige Erinnerung daran, dass es unsere gemeinsame Sterblichkeit ist, die uns im Mitgefühl zusammenschweißt.
51. Things Have Changed – WONDER BOYS (SOUNDTRACK) (2000). Als Dylan 2001 den einzigen Oscar seiner Karriere in Empfang nahm (für seinen Beitrag zum „Wonder Boys“-Soundtrack), dankte er „den Mitgliedern der Academy für ihren Mut, einen Song auszuzeichnen, der Klartext redet und die menschliche Natur nicht ignoriert“. So konnte man’s auch ausdrücken …
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„Things Have Changed“ ist einer der bösesten Songs in Dylans gesamtem Repertoire, gleichzeitig auch eine Abrechnung mit vielen seiner politischen Songs, die soziale Gerechtigkeit und den Fortschritt in der Gesellschaft propagierten. „I used to care“, singt er mit aller Deutlichkeit, „but things have changed.“ Wie schon der Titel andeutet, ist „Things Have Changed“ der böse Zwillingsbruder von „The Times They Are A-Changin‘“.
50. Not Dark Yet – TIME OUT OF MIND (1997). Ein paar Monate vor Veröffentlichung von „Time Out Of Mind“ 1997 lag er mit einer lebensgefährlichen Herzinfektion im Krankenhaus und war überzeugt, „schon bald Elvis zu begegnen“. „Not Yet Dark“ war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, doch die wunderbar geheimnisvolle Ballade schien die Ereignisse vorwegnehmen zu wollen …
Copyright: Peter Still/Redferns
Vor dem Hintergrund von Daniel Lanois‘ gewohnt „swampy“ Produktion singt Dylan mit gebrochener Stimme von einem Mann, der ins Zwielicht seines Lebens eintritt. „I was born here and I’ll die here against my will“, sang er. „I know it looks like I‘m moving, but I’m standing still.“ Seit seinem ersten Album hatte sich Dylan immer wieder mit dem Tod beschäftigt. Inzwischen war er 55 Jahre alt und befand sich mitten in seiner „Never Ending Tour“. Man kann jedes einzelne dieser Jahre in seiner Stimme hören
49. Up To Me – BIOGRAPH (1985). Einer der überdurchschnittlichen Songs, die Dylan wieder von dem ursprünglichen Album (in diesem Fall „Blood On The Tracks“) entfernte – aus Gründen, die nur ihm bekannt sind. In seinen sparsamen Arrangements „Shelter From The Storm“ nicht unähnlich, wäre „Up To Me“ ein idealer Kandidat für „Blood On The Tracks“ gewesen, auf dem er das Ende seiner Ehe mit Sara Lowndes verarbeitete …
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Durchaus möglich, dass ihm der Song zum damaligen Zeitpunkt zu persönlich war. „And if we never meet again, baby, remember me“, singt er in der letzten Strophe. „How my lone guitar played sweet for you that old-time melody.“ Natürlich bestritt er diese Deutung. „Ich sehe mich selbst nicht als Bob Dylan“, sagte er einmal Cameron Crowe. „Rimbaud sagte es treffend: ,Ich bin ein anderer.‘“
48. Sara – DESIRE (1976). Der persönlichste Song, den Dylan jemals schrieb, richtet sich direkt an seine – inzwischen entfremdete – Frau. „Sara“ ist ein Lovesong, der vorwiegend in Erinnerungen schwelgt – Fotos ihrer Kinder beim Spielen oder ein flüchtiger Blick über einem „white rum in a Portugal bar“ …
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Dylan erweist sich als gestandener Charmeur und nennt Sara in diesem Walzer „sweet love of my life“ und bittet um Vergebung, klingt aber auch wie ein Mann, dem seine Frau fremd geworden ist („Serpico Sphinx in a calico dress“). Die Dylans versöhnten sich für eine Weile, doch im nächsten Jahr löste sich die Ehe dann endgültig auf. Auf seiner „Rolling Thunder Revue“ ersetzte Dylan „Sara“ mit dem weit weniger schmeichelhaften „Idiot Wind“. 1977 wurden sie offiziell geschieden.
47. Spanish Harlem Incident – ANOTHER SIDE OF BOB DYLAN (1964). Nur einmal brachte Dylan die flüchtige Songskizze über seine Begegnung mit einer Wahrsagerin auf die Bühne. Der im Titel angesprochene „incident“ schien tatsächlich so beiläufig gewesen sein, wie es Zwischenfälle nun mal sind:
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Das „gypsy gal“ nimmt seine Hände in die ihren – und löst damit eine Flut von Assoziationen aus. „Spanish Harlem Incident“ ist einer der wenigen Dylan-Songs, in dem Sex offen und unmissverständlich angesprochen wird – inklusive Anspielungen auf ihre „rattling drums“ und seine „restless palms“.
46. Jokerman – INFIDELS (1983). Von CHRIS MARTIN: Ich entdeckte Dylan, als ich 16 war. Ich kannte natürlich den regelmäßig gehörten Einwand „Dylan kann doch nicht singen“, aber zum damaligen Zeitpunkt bestand die Hälfte meiner CD-Sammlung aus Dylan-Alben. Noch heute verbringe ich rund einen Monat pro Jahr damit, mir nichts anderes als Dylan anzuhören. Ich entdeckte „Infidels“, nachdem ich das Video zu „Jokerman“ gesehen hatte – mit all diesen italienischen Gemälden und religiösen Motiven. Ich hielt mich ja schon für einen beinharten Dylan-Fan, aber „Jokerman“ war trotzdem ein Schock: „Wie kann dieser Mann einen Song singen, der aus einer anderen Universum zu stammen scheint – und gleichzeitig so brillant sein?“ …
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Mick Taylor und Mark Knopfler spielten die Gitarren, Sly & Robbie brachten diesen dezenten Reggae-Vibe mit ins Boot. Der Song scheint 87 Minuten zu dauern – als hätten sie endlos weitermachen können, wenn nicht gerade das Abendessen reingebracht worden wäre. Ich brauche acht Wochen, um zwei Zeilen zu Papier zu bringen. Ich stelle mir nicht die Frage, wer dieser „Jokerman“ ist und ob sich nun Gott, der Teufel oder Dylan dahinter versteckt. Der Reiz liegt in der Andeutung. Ich liebe Zeilen wie: „The book of Leviticus and Deuteronomy/ The law of the jungle and the sea are your only teachers.“ Und dann dieser schräge Chorus mit seinem „Oh, Oh, Oh“ … Der einzige andere Mensch, der so eine Nummer durchziehen kann, ist Jay-Z. Es klingt einfach so völlig mühelos – im besten Sinne des Wortes.
45. It Ain’t Me, Baby – ANOTHER SIDE OF BOB DYLAN (1964). „It Ain’t Me, Babe“ zählt zu denjenigen Songs, auf denen sich Dylan dem unerwünschten Zugriff der holden Weiblichkeit zu entziehen sucht. Er zählt zunächst die unbegründeten Erwartungen auf, mit denen die Verflossene an seine Ehre und Treue appelliert …
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Die erste Zeile („Go ’way from my window“) ist eine poetische Floskel, die auf das 16. Jahrhundert zurückgeht, aber „It Ain’t Me, Babe“ – vermutlich in einem Londoner Hotel geschrieben – greift auch auf zeitgenössische Elemente zurück: Das „no, no, no“ scheint das „yeah, yeah, yeah“ der Beatles in „She Loves You“ zu parodieren. „Acht Singles in den Top 10“, kommentierte Dylan kopfschüttelnd die damalige Pop-Dominanz der Fab Four. „Ich hatte den Eindruck, als wollten sie wirklich Nägel mit Köpfen machen.“
44. Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again – BLONDE ON BLONDE (1966). „Oh, Mama, can this really be the end?“, jammert er in diesem siebenminütigen Epos immer und immer wieder.
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Dylan manövriert die alten Nashville-Cats Strophe um Strophe durch surreale Blues-Visionen – und die Band klingt so, als würde sie die Herausforderung dankbar annehmen. Inhaltlich scheint sich alles um Sex, Drogen, Versuchung und Paranoia zu drehen – und den poetischen Abstraktionen zum Trotz gelingt es Dylan, auch gesanglich eins der sinnlichen Highlights des Albums zu liefern.
43. Gotta Serve Somebody – SLOW TRAIN COMING (1979). Von SINÉAD O‘CONNOR: Ich war 13 Jahre alt, als mein älterer Bruder Joseph „Slow Train Coming“ nach Hause brachte – und meine Welt auf den Kopf stellte. Es heißt – und ich hoffe, es trifft nicht zu –, dass sich Dylan von dem Album distanziert habe. Dabei ist es ein Album, das für jeden Musiker ein Meilenstein wäre, vor allem aber für ihn. „Gotta Serve Somebody“ war der Song, der mich am meisten packte. Wenn man in einer katholischen Familie in Irland aufwuchs, wurde man mit religiöser Musik konfrontiert, die einfach scheußlich und furchtbar langweilig war …
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Dass man dort plötzlich diesen Song hören konnte, war wie eine Erleuchtung. Und es war keine Predigt, die er da vom Stapel ließ. Im Sound der Gitarre und der anderen Instrumente konnte man fast so etwas wie Sexualität ausmachen. Und die Lyrics waren einfach brillant. Was immer du mit deinem Leben anfängst, sagte er uns: Du bist verloren, wenn du nicht für irgendetwas stehst. Eine bessere Lektion, dazu noch von einem meisterlichen Lehrer, kann man gar nicht bekommen – als Künstler wie als Mensch. Was er letztlich sagt, ist doch: „Leg dich nicht ins Bett und verkriech dich unter der Decke. Du musst deinen Arsch schon hochkriegen.“
42. I Threw It All Away – NASHVILLE SKYLINE (1969). Nach sieben Jahren höchst eigenwilliger Dylan-Songs war es ein Schock, ihn eine konventionelle Komposition singen zu hören, die im Aufbau durchaus an die Tin Pan Alley erinnerte – ganz zu schweigen davon, dass er nun in bester Cowboy-Manier Zeilen knödelte wie: „Love is all there is, it makes the world go ’round.“ …
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Doch keine Frage: Auch bei diesem eher bodenständigen Country-Rocker bewies er seine Qualitäten. Die melancholischen Lyrics legen die Vermutung nahe, dass er sich bei alten Fans für die erneute Kehrtwende entschuldigen wollte. Aus dem unnahbaren, unablässig tourenden Pop-Orakel war jedenfalls ein gepflegter Stubenhocker geworden, der im Schoß der Nashville-Familie seinen Frieden fand.
41. I’ll Keep It With Mine – BIOGRAPH (1985). Dylan nahm den Song 1965 auf, veröffentlichte ihn aber erst viele Jahre später – und nahm ihn auch nie in sein Live-Repertoire auf. Was Außenstehende (Judy Collins, Nico und Fairport Convention) nicht daran hinderte, sich selbst an dieser Ballade über echte Freundschaft zu versuchen …
Copyright: Ebet Roberts/Redferns
„Dylans Version – nur er und sein Piano – ist einfach hypnotisch“, meint Cameron Crowe. „Seine Stimme hat fast schon etwas Heroisches.“ Als er einmal über unveröffentlichte Songs wie „I’ll Keep It With Mine“ sprach, sagte Dylan mit philosophischer Gelassenheit: „Vielleicht klang er ja nur für mich wie eine unfertige Aufnahme. Wenn die Leute ihn mögen, mögen sie ihn halt.“
40. I Dreamed I Saw St. Augustine – JOHN WESLEY HARDING (1967). Die inhaltlich kaum dechiffrierbare Hymne greift auf den Ausgangspunkt von „Joe Hill“ zurück – einem Folk-Klassiker über einen Gewerkschaftler und Songschreiber, der wegen Doppelmordes hingerichtet wurde (auch wenn ihm der Mord vermutlich in die Schuhe geschoben worden war) …
Copyright: Jan Persson/Redferns
Dylan ersetzt die Selbstgewissheit des Folksongs mit einer vielschichtigen Komplexität: St. Augustine ist ein Märtyrer, aber der Erzähler rechnet sich selbst zu denen, „that put him out to death“. Es wird nie klar, ob wir nun für Augustine Sympathie entwickeln sollten oder für Dylan oder wen immer sonst. Unstreitig ist nur die Intensität, mit der Dylan diese Ballade singt. Es ist ein tief empfundener Akt des Glaubens, auch wenn das Objekt seines Glaubens im Dunkel bleibt.
39. Hurricane – DESIRE (1976). 1975 engagierte sich Dylan für Rubin „Hurricane“ Carter – einen farbigen Boxer, der 1966 wegen dreifachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war. „Ich spürte, in ihm einen echten Bruder zu haben“, sagte Carter über Dylan, der ihn auch im Gefängnis besuchte. Dylan organisierte zwei Benefiz-Konzerte und schrieb mit Theaterregisseur Jacques Levy einen flammenden Appell, der Carters Unschuld beschwor …
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„Hurricane“ beginnt wie ein Film-Script („Pistol shot ring out in the bar-room night“) und endet acht Minuten später mit Carter im Gefängnis. Das Medienecho, das Dylan auslöste, führte zu einer Wiederaufnahme des Prozesses, aber keiner Begnadigung. Erst 1985 wurde das Urteil rückgängig gemacht, drei Jahre später auch die Klage auf Mord für nichtig erklärt.
38. My Back Pages – ANOTHER SIDE OF BOB DYLAN (1964). Es war der Song, mit dem sich der größte Protestsänger der Sixties von der Politik verabschiedete – eine gleichermaßen wehmütige wie giftige Ballade, in der sich Dylan über den heiligen Ernst seiner Polit-Folkie-Tage lustig macht: „I was so much older then/ I’m younger than that now.“ …
Copyright: Gai Terrell/Redferns
Dylan wollte sich von seiner Vergangenheit lösen, indem er das Album „Another Side Of Bob Dylan“ nannte. „My Back Pages“ war seine unwiderrufliche Resolution. „Es gibt hier keine Schuldzuweisungen mehr“, beschrieb er das Album. „Ich will nicht mehr für andere Leute sprechen müssen – dieser ganze ,Sprachrohr‘-Spuk ist vorbei.“
36. With God On Our Side – THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN‘ (1964). Von TOM MORELLO: Ich bin vermutlich der letzte Mensch auf diesem Planeten, der Dylans elektrischen Auftritt in Newport tatsächlich für einen Ausverkauf hält. Auf seinen Schultern lastete der Druck, einer „Bewegung“ seine Stimme zu geben – was etwas war, auf das er keinerlei Bock hatte. Aber er verpasste damit auch eine große Chance – nämlich herauszufinden, was Musik leisten kann, um eine radikale politische Agenda voranzutreiben. Mit „God On Our Side“ kam er dem zumindest sehr nah. Mir war nie bewusst, wie politisch Dylan wirklich war, bis ich „The Times They Are A-Changin‘“ hörte …
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Er war damals 22, klang aber wie ein weiser 80-Jähriger, der sein Leben lang die Welt kritisch verfolgt hat und auch unangenehme Wahrheiten ungeniert aussprechen kann. Wobei „With God On Our Side“ kein historisches Dokument ist, sondern auch die Kriegsverbrechen der Gegenwart und Zukunft thematisiert. Dylan legt den Finger auf die Heuchelei, mit der Kriege rechtfertigt werden, er schreibt über die Leute, die vom Krieg profitieren – und die Familien, die ihre Kinder wegschicken, um im Krieg zu sterben. „You don’t count the dead when God’s on your side“, singt er, „and you never ask questions when God’s on your side.“ Von George W.‘s „shock and awe“ über Abu Ghraib bis zum Debakel in Afghanistan – diese Zeilen beschreiben auch unsere heutigen Vergehen nur allzu gut.
37. Maggie’s Farm – BRINGING IT ALL BACK HOME (1965). Er war der Song, mit dem er seinen elektrischen Set beim Newport Folk-Festival eröffnete und in eine neue Persona schlüpfte. Dabei war es de facto ein Folksong, nämlich eine Variation des alten „Down On Penny’s Farm“, in dem die Ausbeutung von Farmarbeitern angeprangert wird. In der Studioversion war „Maggie“ ein swingender Country-Rocker, doch in Newport intonierte ihn Dylan erheblich bissiger:
Copyright: Val Wilmer/Redferns
„I try my best/ To be just like I am/ But everybody wants you/ To be just like them.“ Der trotzige Tonfall inspirierte offenbar auch Barack Obama, der den Song regelmäßig hörte, als er sich 2008 für seinen ersten Wahlkampf wappnete. „Ich habe etwa 30 Dylan-Songs auf meinem iPod“, sagte er dem ROLLING STONE, „aber ,Maggie’s Farm‘ gehört zu meinen Favoriten, wenn ich in den politischen Ring steigen muss.“
35. The Lonesome Death Of Hattie Carroll – THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN‘ (1964). Die schaurige Mörder-Ballade „basiert auf einer wahren Begebenheit, auch wenn ich die Perspektive des Beobachters etwas verändert habe“. In seinem favorisierten Folk-Magazin „Broadside“ hatte Dylan die Geschichte von Hattie Carroll gelesen, einer farbigen Hotelangestellten und neunfachen Mutter aus Baltimore, die von dem weißen Tabak-Farmer William Zantzinger angeblich erschlagen wurde. (Zantzinger wurde wegen Totschlags zu sechs Monaten Haft verurteilt, auch wenn später Zweifel an seiner Schuld laut wurden.) …
Copyright: CBS Photo Archive
In Dylans trügerisch gefälligem Song hingegen ist Zantzinger einwandfrei schuldig. Dylan änderte einige Fakten, übernahm aber atmosphärisch eindringliche Details. So ist die Mörderwaffe „a cane that he twirled around his diamond ring finger“. Das Resultat ist eine packend erzählte Geschichte, gleichzeitig auch ein Protest gegen Rassismus und Klassenschranken. „Die Chronologie der Ereignisse wird von diesem wunderbar beschwingten Chor akzentuiert“, meint Tom Morello. „Man hat den Eindruck, selbst zu ihrem Grab zu schreiten.“
34. Isis – DESIRE (1976). Sara Dylan befand sich im Studio, als ihr Mann „Isis“ aufnahm – was wohl mehr war als eine bloße Parallelität der Ereignisse: Der Song konnte sehr wohl als Allegorie auf ihre Ehe, Trennung und kurzfristige Wiedervereinigung verstanden werden – dargestellt anhand eines epischen Abenteuers, in dem sich der Erzähler durch Eistürme kämpft, Pyramiden besteigt und einen Grabraub begeht, bevor er seine Braut, ein „mystical child“ namens Isis, zurückgewinnt.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Dylan schrieb große Teile des Textes in einer nächtlichen Session mit dem Theaterregisseur Jacques Levy – und war auf das Ergebnis so stolz, dass er es seinen Freunden im New Yorker Club „Bitter End“ vortrug. „Bob las ein paar Leuten an der Bar den Text vor“, so Levy, „und alle waren von der Story spontan fasziniert.“ Wenig später wurde eine extravagante Version von „Isis“ Bestandteil von Dylans „Rolling Thunder Revue“: Weiß geschminkt wie ein Schamane betrat Dylan die Bühne und setzte nur seine Stimme, Mundharmonika und Hände ein, um die Fabel von Isis zu illustrieren. Es war das erste Mal, dass die Zuschauer ihn auf einer Bühne ohne seine Gitarre erlebten.
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