Die 100 größten Musiker aller Zeiten: Die Essays – Platz 80 bis 71

ROLLING STONE präsentiert: Die 100 größten Musiker und Bands aller Zeiten. Essays u.a. von Smokey Robinson, Rick Rubin, Sheryl Crow, Beck.

75. The Eagles

Von Sheryl Crow

Sie mögen vor allem das Erscheinungsbild von Country und Rock geprägt haben, aber für mich machen die Eagles einfach American Music, und großartige obendrein. Es ist ein Wunder, dass eine Band so viele Einflüsse – neben Country und Rock auch Soul, R&B und Folk – assimilieren konnte, um daraus dann einen so genuinen Sound zu destillieren.

Und die Eagles waren eine wirkliche Band. Nach ein, zwei Alben entwickelten sich Don Henley und Glenn Frey zu einem der größten Songwriter-Teams in der Rockmusik, doch Material, vor allem aber begnadete musikalische Beiträge, lieferten sie alle: Randy Meisner und Bernie Leadon, dann Don Felder, später Joe Walsh und Timothy B. Schmit.

Der erste Song, der bei mir wirklich hängenblieb, war „Take It Easy“. Die Lyrics – von Frey und Jackson Browne – hätten auch von Merle Haggard oder Willie Nelson stammen können, doch die Instrumentierung und Energie war definitiv Rock. Und die Kombination beider Elemente war einfach unschlagbar.

Ich erinnere mich an endlose Cross-Country-Trips mit meinen Eltern. Einmal, als wir nachts durch Texas fuhren, war die einzige Radiostation, die wir empfangen konnten, ein fiepender Mittelwellen-Sender, der aus dem Nirgendwo kam. Aber dann drangen diese gespenstischen ersten Takte von „Hotel California“ aus dem Lautsprecher. Die Eagles lieferten mir den Soundtrack für so viele Sommer.

Die Melodien und Harmonien schienen sofort vertraut: „Desperado“, „Take It To The Limit“, „Tequila Sunrise“ und „Best Of My Love“ gehörten zu den besten Popsongs, die je geschrieben wurden. Und bis zum heutigen Tage gibt es nichts Genialeres als das Gitarrenriff von „Life In The Fast Lane“.

Als ich in den frühen Neunzigern für Don Henley die Back-up-Vocals sang, war es eine fast schon surreale Erfahrung. Die Reaktion der Zuschauer hat die Relevanz dieser Songs für immer in mein Hirn eingebrannt.

74. Hank Williams

Von Beck

Hank-Songs wie „Lonesome Whistle“ und „Your Cheatin’ Heart“ eignen sich wunderbar zum Mitsingen, weil sie hundertprozent bullshitfrei sind. Die Worte, die Melodie, das Gefühl – alles ist da, alles ist messerscharf und ohne doppelten Boden. Man braucht schon eine ausgeprägte sprachliche Ökonomie und Simplizität, um eine Idee oder ein Gefühl in einen Song zu pressen – und Hank Williams ist dafür das perfekte Beispiel.

Er hatte eine Stimme, mit der man Holz splitten konnte. Sie klang, als käme sie aus einem anderen Teil seines Körpers. Er brauchte keinen Verstärker, wenn er in überfüllten Spelunken sang; selbst der Lärm der Betrunkenen an der Bar hatte gegen sein Organ keine Chance. Die Lokalitäten, in denen er auftrat, waren so krawallig, dass er einen Ringer namens Cannonball Nichols zu seinem Bassisten machte. Er lebte, wie heute wohl Rockstars leben: nichts als touren, trinken und Ärger mit den Weibern.

Ich kaufte einen Hank-Sampler auf Vinyl für 4,99 Dollar, und es war, als hätte ich den Schlüssel zu einem geheimen Tresor gefunden. Natürlich sind seine Platten für die Countrymusik unglaublich bedeutsam, aber in meinem Fall hatten sie einen ganz anderen Reiz: Sie klangen so exotisch. Dass ein älterer farbiger Musiker ihm das Gitarrespielen beibrachte, ist nicht unwichtig: Hank mag der archetypische Hillbilly sein, aber unter der Oberfläche tun sich andere Ebenen auf. Für eine Weile war er sogar meine ausschließliche Referenz: Jahrelang spielte ich seine Songs und machte auf „Sea Change“ den bewussten Versuch, Songs zu schreiben, die so direkt und unverblümt sein sollten wie die seinen.

73. Radiohead

Von Dave Matthews

Jedes Mal, wenn ich ein Radiohead-Album kaufe, geht mir durch den Kopf: „Vielleicht kommt dieses Mal ja der große Durchhänger.“ Aber es gibt keine Durchhänger! Ich beginne mich schon zu fragen, ob sie überhaupt etwas Zweitklassiges abliefern können.

Ihre Musik kann zu dir sprechen, und zwar in sehr realer Art und Weise. Sie nimmt dich an die Hand, geht mit dir eine verschwiegene Straße entlang – um plötzlich eine musikalische Bombe auf dich abzuwerfen. Sie kann sich in ein derart komplexes Konstrukt versteigen, dass man schon Angst hat, es würde unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrechen – bis dann Thom Yorke des Weges kommt und eine Melodie singt, die dir das Herz aus der Brust reißt.

Es gibt eine Passage auf „Kid A“, die mich klaustrophobisch macht, hoffnungslos verheddert in einem Dschungel aus Stacheldraht – und plötzlich falle ich heraus und sitze an einem Pool und höre Vögel zwitschern. Radiohead können all diese Dinge in Bruchteilen von Sekunden visualisieren.

Radiohead geben mir das Gefühl, sie seien Mozart, während ich mich mit der Rolle des Salieri abgeben muss. Yorkes Lyrics treiben mich zur Verzweiflung: Nicht in meinen kühnsten Träumen könnte ich mir vorstellen, etwas so Wundervolles zu kreieren, wie es ihnen in einem einzigen Song gelingt. Ganz zu schweigen, dass sie ein ganzes Album damit füllen. Nach „OK Computer“, ihrem meistbeklatschten Album, schlugen sie mit „Kid A“ einen Haken, wie er im Bilderbuch steht. Ich glaube nicht, dass ihnen die Meinung anderer Menschen gleichgültig ist; es steht nur nicht in ihrer Macht, die Eigendynamik ihrer Musik zu kontrollieren.

Selbst wenn sie live einmal das Visier runterlassen und die Zügel etwas schleifen lassen, verlieren sie nie ihre Vision. Es gibt keinen Punkt, an dem sich Jonny Greenwood oder Ed O’Brien entgeistert anschauen und sagen: „Scheiße, wohin haben wir uns denn jetzt verlaufen?“ Debakel sind ein Fremdwort: Jedes Album, jeder Gig ist ein Stich ins Herz.

72. AC/DC

Von Rick Rubin

Auf der Highschool war ich mit meiner Liebe zu AC/DC ganz allein. Ich war vernarrte in sie, als sie „Problem Child“ in der TV-Sendung „Midnight Special“ spielten. Wie Led Zeppelin hatten sie ihre Wurzeln im amerikanischen R&B, aber sie trieben die Reduktion auf den Rock’n’Roll-Kern weiter als alle anderen.

Rockmusik beginnt für AC/DC mit Chuck Berry und hört ungefähr mit Elvis auf. Sie haben ihre Seele an diesen Groove verkauft – und sie beherrschen ihn wie keine andere Band. „Highway To Hell“ hat einen natürlichen Klang, den ich von keiner anderen Rockplatte kenne. Schnörkel sind unerwünscht, damit gar nicht erst Sand in die Feinmotorik zwischen den beiden Gitarristen Angus und Malcolm Young, Bassist Cliff Williams und Drummer Phil Rudd gerät.

Wann immer ich eine Rockband produziere, versuche ich einen Klang zu kreieren, der den gleichen Druck wie „Highway To Hell“ entwickelt. Ob es nun The Cult oder die Red Hot Chili Peppers sind – ich wähle immer das gleiche Rezept: Halt es simpel, kitzel die Rhythmus-Arbeit der Gitarren heraus. Das klingt einfach, aber AC/DCs Rezeptur ist kaum zu kopieren. Eine großartige Band wie Metallica könnte einen AC/DC-Song notengetreu nachspielen, aber die Spannungsbögen in der Musik wären trotzdem nicht die gleichen.

Ein weiterer Punkt, der AC/ DC von anderen Hard-Rock-Bands unterscheidet: Man kann zu ihrer Musik tanzen. Sie haben nie Funk gespielt, aber alles, was sie spielen, ist funky. Und dieser Beat kann die Massen auf die Beine bringen. Ich sah sie zum ersten Mal 1979 im Madison Square Garden – noch bevor ihr Sänger Bon Scott starb und durch Brian Johnson ersetzt wurde. Die Zuschauer rissen alle Stühle aus der Verankerung und bauten vor der Bühne eine Pyramide daraus. Es war ihre Art zu sagen, wie großartig diese Band war.

Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass sie die größte Rock’n’Roll- Band aller Zeiten sind.

71. Frank Zappa

Von Trey Anastasio

In den frühen Jahren von Phish sagten uns die Leute oft, wir klängen wie „Frank Zappa meets The Grateful Dead“. Das klingt schon sehr bizarr, aber zutreffend ist, dass Zappa für mich unglaublich wichtig war. Ich glaube sogar, dass er – neben Hendrix – der beste E-Gitarrist überhaupt war. Zappa näherte sich dem Instrument aus einer ureigenen Perspektive – sowohl klanglich als auch rhythmisch: Alles, was als vermeintlich gottgegebenes Limit akzeptiert wurde, weckte seine Neugier umso mehr.

Ich werde nie vergessen, wie ich ihn das erste Mal live in New York sah; ich ging damals noch zur Schule. Er ließ seine Gitarre auf dem Ständer stehen, um zunächst einmal die Band zu dirigieren. Und er packte die Gitarre nicht an, bis alles perfekt saß. Und dann kam dieser Moment – an dem das ganze Publikum den Atem anhielt –, wo er zur Gitarre ging, sie umschnallte und dann ein mörderisches Solo abbrannte.

1988 sah ich ihn in Vermont auf seiner letzten Tournee. Er spielte das Solo in „City Of Tiny Lites“, bei dem außer Drummer Chad Wackerman alle die Bühne verlassen. Ich saß auf dem Balkon an der Bühnenseite, und als Zappa sich vom Publikum wegdrehte, um mit Chad zu spielen, sah ich dieses breite Grinsen auf seinem Gesicht. Und gleichzeitig war das der Mann, der vertrackte Orchester-Kompositionen wie „The Yellow Shark“ zu Papier brachte! Es ist nur schwer vorstellbar, wie ein einzelner Mensch so viele verschiedene Sachen beherrschte.

Als ich Musik für Phish zu schreiben begann, war er ein eminent wichtiger Wegweiser. Songs wie „You Enjoy Myself“ und „Split Open And Melt“ waren bis ins Detail durchkonzipiert, weil ich von ihm gelernt hatte, wie’s ging. Als ich auf dem Bonnaroo-Festival mit meiner zehnköpfigen Band auftrat, spielten wir zwei Coverversionen: „The Devil Went Down To Georgia“ und „Sultans Of Swing“. Und in beiden Songs spielten die Bläser das Gitarrensolo, Note für Note. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, wenn ich nicht Zappa in Vermont gesehen hätte, wo er seine Bläsergruppe unisono Jimmy Pages Solo von „Stairway To Heaven“ nachspielen ließ.

Frank trieb seine Musiker ans Äußerste ihrer technischen Möglichkeiten, und mit Phish versuchen wir Ähnliches: Wir nehmen unsere vier Instrumente und versuchen, alles nur Erdenkliche aus ihnen rauszukitzeln.

Zappa gab mir den Glauben, dass in der Musik alles möglich ist, als er sagte: „Schau her, das sind alles nur Instrumente. Beschäftige dich mit ihnen und finde raus, was sie können und was nicht. Und dann fang an zu schreiben.“

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