Rickenbacker – Die Eid-Gitarre

Die vielleicht größte Ikone der amerikanischen Populärkultur wird 75 Jahre alt: die E-Gitarre. Erfunden hat sie 1931 der Schweizer Adolph Rickenbacher, doch anders als bei der Les Paul oder Leo Fender ist über den Schöpfer der Rickenbacker wenig bekannt. Landsmann Bänz Friedli begab sich auf Spurensuche in Kalifornien.

Lemmy kommt manchmal vorbei, das Raubein von Motörhead. Der Bassist lässt sich die Stunde von L.A. hier runter nach Santa Ana, Kalifornien, chauffieren, fläzt sich mit nacktem Oberkörper, nur mit zerschlissenen Jeanspants, auf den Sessel, legt die Füße aufs Pult. Sein Bodyguard öffnet ein mitgebrachtes Köfferchen, in dem sich nichts befindet als eine Büchse Cola, ein Glas und eine Flasche Whiskey, kredenzt ihm einen Drink, Lemmy nimmt einen Schluck, lehnt sich zurück und sagt: „What’s up, John?“ John Hall, 56, Besitzer von Rickenbacker International, erzählt es mit Vergnügen. Er ist mit Rockstars per du, durfte 1965 als 15-Jähriger im Hollywood Bowl in Los Angeles den Beatles die Hände schütteln. „Und ich habe Paul McCartney einen eigens für ihn gefertigten Linkshänderbass überreicht.“

Hall – schnauzbärtiges Lachen, braun gebrannter Teint, seidenes Hawaiihemd – gibt den Geschäftsmann als Rocker, den Millionär als Kumpel. „Eine Rickenbacker“, beteuert Hall, „höre ich aus 100 Gitarren heraus.“ Sein Lieblingsgitarrist? Hall überlegt, wägt ab, sagt dann: „Peter Buck von R.E.M.“ Er hätte auch Tom Petty nennen können, The Edge von U2, Johnny Marr von The Smiths oder den Country-Rebellen Dwight Yoakam, sie alle spielen die Marke, deren Alleinerbe Hall ist: Rickenbacker. Sein Vater hat die Firma einem Schweizer abgekauft, Adolph Rickenbacher. 1931 fertigte der die erste elektrische Gitarre der Geschichte. Sie hängt im Eingangsbereich zu Halls Büro hinter Glas. Ihres kreisrunden Körpers wegen wird sie Frying Pan genannt. Versicherungswert der tönenden Bratpfanne: 1,25 Millionen Dollar.

Generationen können ihr Lebensgefühl an die E-Gitarre und die damit verbundenen Posen, Fantasien, juvenilen Rebellionen knüpfen. Und das prototypische Rockinstrument soll vor 75 Jahren von einem Schweizer erschaffen worden sein? Yes, man. „A character“ sei er gewesen, eine Nummer. „Mister Adolph hat immer jedem seine Visitenkarte ausgehändigt. Daraufstand: „Adolph Rickenbacher, Father of the Electric Guitar'“, erinnert sich Margarita, die dienstälteste Putzfrau im Altersheim „Atria“ im kalifornischen Fullerton. War der alte Mann ein Aufschneider? Genausowenig, wie Elvis den Rock’n’Roll erfunden hat, „erfand“ Rickenbacher die E-Gitarre. Seit dem 19. Jahrhundert war daran experimentiert worden. Aber er war, wie Elvis, der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt, er ermöglichte dank Zähigkeit und einem finanziellen Polster den Durchbruch zum Massenphänomen. „Erfinder der elektrischen Gitarre“ wäre vielleicht prätentiös gewesen, „Vater“ durfte Rickenbacher sich nennen. Denn die vielleicht größte Ikone der amerikanischen Populärkultur wäre ohne die Leistung des Schweizers undenkbar. Zwar trug Rickenbachers Partner George Beauchamp mit der Erfindung eines Tonabhnehmers, der die Schwingung von Stahlsaiten mittels eines Magnetfelds in elektrische Energie umwandelt, Entscheidendes bei – doch die Firma, welche als erste eine E-Gitarre seriell herstellte und patentieren ließ, trägt bis heute Rickenbachers Namen, in leicht amerikanisierter Form: „Rickenbacker“. Weltstars wie die Beatles, The Who, The Byrds, Creedence Clearwater Revival, The Jam und R.E.M. machten die „Rick“ legendär. Und welches Fabrikat spielen die aktuell beliebtesten Bands dies- und jenseits des Atlantiks, die Schotten Franz Ferdinand wie die New-Yorker The Strokes? Erraten.

Rickenbacher verkörperte den amerikanischen Aufstiegstraum. Er starb am 7. März 1976 als reicher Mann, eingewandert war er als armer Knirps. Adolf Adam Riggenbacher kam am 1. April 1887 als Sohn eines Schreiners in Basel zur Welt. Adolf ist vier, als die Familie sich in Le Havre auf die „Bretagne“ nach New York einschifft. Doch das erhoffte Paradies wird zur Hölle. Noch ehe das Ziel Ohio erreicht ist, stirbt die Mutter. Der Vater gerät unter eine Eisenbahn, verliert beide Beine, beginnt vor Schmerz und Kummer zu trinken und kann sich nicht mehr um die vier Kinder kümmern. Adolf wird von seiner älteren Schwester Emma großgezogen.

Trotz des Dramas wächst Adolph – er schreibt sich nun mit „ph“ – zum Charmeur heran und heiratet Charlotte, kurz „Lottie“ Kammerer, Tochter einer im Erdölgeschäft reich gewordenen deutschstämmigen Familie aus Pennsylvania. 1918 zieht das Paar nach Kalifornien. Durch die Heirat mit Charlotte, hieß es später, sei Rickenbacher zu Geld gekommen. Jedenfalls residierte er zuletzt nobel. An bester Hanglage in Fullerton hoch über der Stadt Los Angeles ließ er sich in den 1950er Jahren für die damals horrende Summe von 200 000 Dollar am Vista Lomitas Drive 1801 eine Villa mit allen Schikanen bauen. Er tüftelte ein Belüftungssystem aus, das die Luft reinigte, und prahlte später gern damit, er habe „seit 20 Jahren nicht abstauben müssen“.

„A character“ sei Rickenbacher gewesen, sagen alle, die ihn gekannt haben, auch Bob Gene sagt es, sein letzter Nachbar, ein rüstiger, sonnengegerbter Senior mit Cowboyhut, der als Zahnarzt praktiziert. „Oh, Eiii-dolf, das war vielleicht ein Kerl! Ging man zu ihm zu Besuch, zeigte er einem gern eine Fotografie mit tanzenden Paaren, auf der alle Typen Erektionen hatten“, sagt Gene, und sein Kopfschütteln ist ein wohlwollendes. „Nach dem Tod seiner Frau fuhren wir ihn oft in ein Restaurant mit Sicht auf den Flugplatz. Die Flugzeuge haben ihn an Eddie erinnert.“

Militärpilot Eddie Rickenbacker, Adolphs berühmter Vetter zweiten Grades, war der amerikanische Fliegerheld schlechthin. Dem geschäftssinnigen Adolph wird nachgesagt, er habe seinen Namen Ende der 30er Jahre in „Rickenbacker“ geändert, um von Eddies Ruhm zu profitieren. Allerdings vollzog er die Anpassung nur geschäftlich. Privat schrieb er sich weiter mit „ch“. Davon zeugt am Vista Lomitas Drive in drei Metern Höhe, halb verdeckt von Gestrüpp und Palmenblättern, ein gusseisernes Namensschild.

Eisen, Druckgussformen, Metallteile, das war sein Geschäft. Um 1920 richtet sich Rickenbacher an der South Western Avenue 6105 in Los Angeles eine Manufaktur ein, wo er bald äußerst erfolgreich Pressformen, Werkzeuge und Gewinde fertigt, Metall gießt und Plastikformen stanzt. Seine erste Großkunde ist die Gitarrenbaufirma National, für deren Metallgitarren mit eingebautem Aluminium-Resonator, die legendären „National steel guitars“, Rickenbacher die Metallgehäuse und Aluteile herstellt.

Der texanische Gitarrist George Beauchamp, der die „National“ entworfen hat, ist frustriert, dass sein Instrument noch immer zu leise ist, um sich gegen den Klang ganzer Orchester zu behaupten. Er probiert weiter. Gemeinsam mit Paul Barth entwickelt er mittels Kupferdraht und einem Paar Hufeisenmagneten einen elektromagnetischen Tonabnehmer, ein so genanntes Pickup, womit er den Grundstein zur elektrischen Gitarre legt. Zu dritt fertigen sie in Rickenbachers Werkstatt, zunächst aus einem Holzkörper, Mitte 1931 den Prototypen einer elektrischen Hawaiigitarre, die auf dem Schoß gespielt wird: die Frying Pan. „Beauchamp hatte die Idee, Rickenbacher führte sie aus – und finanzierte sie“, sagt John Hall. Die drei bringen ihre Frying Pan, mittlerweile mit Aluminiumgehäuse, zur Serienreife, doch die Musiker sind skeptisch. „Sie hatten Angst, mitten in der Vorstellung könnte eine Röhre des Verstärkers bersten“, notierte Rickenbacher. Ausgerechnet bei einer öffentlichen Vorführung erklingt statt des Gitarrentons plötzlich der Radiosender „KHJ Los Angeles“ aus dem Lautsprecher. Rickenbacher und Beauchamp werden mit Schimpf aus dem Theater gejagt. 1932 wird nur ein Dutzend der elektrischen Hawaiigitarren verkauft, 140 Dollar das Stück. „Ich hatte scheinbar vergeblich 150000 Dollar und zwei Jahre Arbeit investiert“, erinnerte sich Rickenbacher später, „wir waren drauf und dran aufzugeben.“

Dann aber bestellt ein Orchester überraschend einen ganzen Satz elektrischer Gitarren, Mandolinen und Bässe, Rickenbacher und seine Leute arbeiten zwei Monate lang rund um die Uhr, stellen die Instrumente fertig – und in der Nacht vor der Auslieferung wird alles gestohlen. Die Arbeit beginnt von vorn, diesmal erfolgt die Auslieferung – doch die Instrumente werden nie bezahlt. Das Ende? Nur fast. Dank eines Radiomanns, der bei der Hörerschaft für das neue Instrument wirbt, erfolgt doch noch der Durchbruch, bald liefert Rickenbacher in alle Welt. Der Antrag auf Patentierung freilich, 1932 gestellt, wird jahrelang verschlampt, und erst, als Rickenbacher und Beauchamp eine Musikgruppe nach Washington DC entsenden, die den gestrengen Patentierungsbeamten vorspielt, glauben jene, dass die E-Gitarre wirklich funktioniert. Als das Patent am 10. August 1937 endlich erteilt wird, sind längst auch andere Firmen – National, Dobro, Gibson, Acousti-Lectric, Epiphone – mit elektrischen Gitarren auf dem Markt.

Am heutigen Firmensitz an der South Main Street in Santa Ana, von außen eine unscheinbare, fensterlose grüne Halle, betreiben 65 Mitarbeiter Präzisionshandwerk. Sie fräsen Gitarrenkörper aus Ahornholz mit Hilfe einer Schneidmaschine, die auf den Tausendstelmillimeter genau ist, sie spritzen Farbe, bohren, löten, kleben, wickeln Kupferdraht und befestigen Magnetplättchen. „Die Konkurrenz lässt ihre Pick-ups aus Korea, Ghina und Mexiko kommen. Wir haben’s erfunden, also müssen wir’s auch nach 75 Jahren noch selber machen“, sagt John Hall. Sein Vater F. C. Hall hat die Firma dem damals 66-jährigen Rickenbacher am 17. Dezember 1953 zum Preis von 100 000 Dollar abgekauft, wenige Wochen, bevor mit Bill Haley und Elvis Presley der Rock’n’Roll explodierte.

Unter den weltbekannten Gitarrenmarken gilt die Rickenbacker heute als die kleine, feine – als einzige „proudly produced in the USA“. „Wir sind der Porsche unter den Gitarren: hohe Qualität, niedrige Stückzahl“, sagt Hall. „Für uns bleibt jede einzelne Gitarre ein Kunstwerk.“ Die meisten der 1800 Modelle, die Rickenbacker heute fabriziert, sind Neuauflagen von Gitarren aus den Fünfzigern und Sechzigern. Den klassischen „Rick“-Look jener Jahre prägte der deutsche Gitarrenbauer Roger Rossmeisl.

„Wir sind gefangen im Wunsch der Kunden nach dem Retrostil“, lacht Hall. Die E-Gitarre, einst Waffe zum Umsturz, ist zum Klassiker geronnen, zum Sinnbild. Gerade jungen Menschen dient sie als Antithese zur digitalen Welt, derer sie überdrüssig sind. Sie soll greifbar sein wie damals, als Musik noch ehrliche Arbeit war.

Ein Trost bleibt dem Patron: „Es spricht für die Technik von 1931, dass sie bis heute faktisch unverändert blieb. Weil der Hals der meisten ,Ricks‘ nicht mit dem Körper verklebt, sondern alles durchgehend aus einem einzigen Stück Holz gefertigt ist, wird die Energie der Saiten besser übertragen. Wie gut das klingt, ist beispielsweise auf „A Hard Days Night“ der Beatles nachzuhören. Es war der größte PR-Coup von Halls Vater, als er die Fab Four 1964 bei deren erstem USA-Besuch in eine New-Yorker Hotelsuite lotste und ihnen dort Rickenbackcr-Gitarren überreichte – die sie dann auf ihrer Amerikatournee spielten, mitverfolgt von 70 Millionen TV-Zuschauern. „Dabei mochte mein Dad diese moderne Musik gar nicht besonders.“

Adolph Rickenbacher ahnte 1933 nicht, wie sehr seine Errungenschaft die Popkultur prägen würde. Der Mann war ein Original, auch wenn sein Schalk Galgenhumor war. Früh Waise, musste er sich allein durch eine fremde Welt beißen. Es gelang dank seiner vielen Talente. Eines allerdings hat er zeitlebens nicht gelernt: Gitarre spielen.

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