Die elegische Stimme: Zum Tod von Otto Sander

Die Namensplaketten an seinen Stammplätzen in Berliner Lokalen werden bleiben. Arne Willander zum Tod des fröhlichen Melancholikers Otto Sander, der im Alter von 72 Jahren gestorben ist.

Von allen Stimmen im deutschen Fernsehen, Kino und Theater, im reichen Synchron- und Werbeschaffen war die von Otto Sander eine der markantesten – und bestimmt war sie die anrührendste und wärmste. In dem sonoren, lebenssatten Bassbariton schwangen Verletzungen, Empathie und Sentimentalität mit, ein wenig auch der gütige Märchenerzähler. Und nach 1987 sprach da stets der Engel aus dem Himmel über Berlin: Wim Wenders‘ Film hatte aus dem bekannten Schauspieler Otto Sander einen berühmten gemacht.

Geboren wurde Sander am 30. Juni 1941 in Hannover, wo bekanntermaßen das reinste Deutsch gesprochen wird; später wurde er freilich oft für einen Berliner gehalten und gefiel sich auch darin, den schnodderigen Dialekt ein wenig nachzuahmen. In Kassel machte er Abitur und verbrachte die Bundeswehrzeit bei der Marine, wo er als Fähnrich zur See abschloss. In München konnte der Wissensdurstige gar nicht genug Fächer studieren: Germanistik, Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie hatten es ihm angetan, er wollte Regisseur werden und blieb bis 1964 an der Maximilians-Universität. Dann wurde er von der Otto-Falckenberg-Schule angenommen, 1965 aber schon wieder relegiert, sodass er eine externe Abschlussprüfung  machte. 

Über Düsseldorf und Heidelberg kam Sander 1968 zu Claus Peymann an die Freie Volksbühne in Berlin und wechselte 1970 zu Peter Steins Schaubühne am Halleschen Ufer, wo er einer der großen Theaterschauspieler des Jahrzehnts wurde. Eric Rohmer holte den rotblonden Schlaks für „Die Marquise von O.“ (1976), ein Jahr später engagierte ihn Wolfgang Petersen für „Vier gegen die Bank“, und in Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“ (1979) hat er eine kleinere Rolle.

Mit Wolfgang Petersen kam 1981 der Welterfolg: In „Das Boot“ spielte Sander den Kapitänleutnant Thomsen, der den fatalen Ausgang des U-Boot-Kriegs schon vor Augen hat und sich vor lauter Angst besaufen muss. Es war vielleicht dieses Wissen, dass Sander viel älter erscheinen ließ, als er tatsächlich war; der Privatmann rauchte und trank außerdem allzu gern. Als er Monika Hansen heiratete, adoptierte er deren Kinder Ben und Meret Becker; die Familie lebte in einer geräumigen Altbauwohnung.

Nach dem „Himmel über Berlin“ 1987 hatte Otto Sander nichts mehr zu beweisen: Den „Jedermann“ spielte er noch; er lieh Ian McKellen und Dustin Hoffman und verschiedenen Romanen für Hörbücher seine Stimme und bevorzugte in Filmen den leichten Ton; wahrscheinlich suchte er die Rollen auch nach Regisseuren aus: Bernd Böhlich und Frank Beyer schätzte er besonders, mit Wim Wenders und Bruno Ganz arbeitete er noch einmal bei „In weiter Ferne, so nah“ (1993); mehrfach spielte er im „Polizeiruf 110“ und in Komödien wie „Sass“ und „Der Hauptmann aus Köpenick“, auch in Rosa von Praunheims „Der Einstein des Sex“. 2007 wurde bei Sander Speiseröhrenkrebs diagnostiziert, gegen den er klaglos und tapfer ankämpfte. In diesem Jahr sah man ihn, schmal und schwach, in dem „Polizeiruf“-Film „Vor aller Augen“: ein Patriarch, der sich aus Verantwortungsgefühl in die Firma schleppte.

Noch in der profansten Bier-Reklame hatte die Stimme des Otto Sander etwas unfassbar Elegisches, das an guten Whisky, Gurken aus dem Fass, Tabaksbeutel und Bismarck-Heringe denken ließ. Sie kam herüber aus Großvaters Zeit, mit Autorität und Witz und manchmal dem abschweifenden, erratischen Gestus eines Mannes, der sehr gern Gaukler war. Die Namensplaketten an seinen Stammplätzen in Berliner Lokalen werden bleiben. Heute starb der fröhliche Melancholiker Otto Sander im Alter von 72 Jahren.

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