Die Kirche im Dorf gelassen

Der unerwartete Erfolg stellte die christlichen Rocker Delirious? auf eine Zerreißprobe. Nun sind sie mit sich ins Reine gekommen

Wenn man die Jugend von heute fragt, warum sie nicht mehr in die Kirche geht, kommt recht bald der Verweis auf die schlechte Musik – Orgelpfeifen, antiquierte Hymnen und womöglich Posaunenchöre sind nur ein Indiz fü den kulturellen Graben zwischen Kirche und gesellschaftlichem Leben, und da haben’s die Jugendlichen heutzutage halt schwer mit der Spiritualität. Junge Gemeinden diesseits und jenseits des Atlantik sind deshalb längst zur musikalischen Innovation übergegangen – nicht aus strategischen Gründen, sondern weil Menschen das Sagen haben, die selbst mit überkommenen Traditionen soviel nicht mehr am Hut haben.

Das südenglische Quintett delirious? stammt aus dieser Szenerie, beschallte Mitte der neunziger Jahre zunächst die örtlichen Jugendgruppen und wurde ob des zeitgemäßen musikalischen Vokabulars schnell zur regionalen Größe. Da Sänger Martin Smith und seine Kollegen einen Sound entwickelt hatten, der auch für die Bühnen der Welt taugte, begann bald jene gefährliche Diskussion, die etwa U2 in deren jungen Jahren fast das Genick gebrochen hätte: „Sollten wir alles daran geben, um ein Massenpublikum zu erreichen, auch auf die Gefahr hin, uns zu verlieren“, sinniert Smith, „oder lieber in der vertrauten Szene bleiben und das eigene Ding machen?“

delirious? sitzen backstage in einem kleinen Club im hippen Londoner Stadtteil Camden, verschwitzt noch, abgekämpft, auch ein bisschen unzufrieden. Fünf Tage lang sollen hier die Songs des neuen Albums „World Service“ vor ausverkauftem Haus präsentiert werden, und der Auftakt, obschon vom Publikum umjubelt, gelang aus Künstlerperspektive nicht ganz. Ein bisschen clumsy habe man sich noch gefühlt, seufzten sie. So ist das wohl, wenn die Konservenarbeit des Studios auf der Bühne wiedergeboren werden muss.

Nichtsdestotrotz sind delirous? eine gestandene Live-Band, deren hymnischer, an U2 und Coldplay geschulter Rock-Gestus sich im Club wie im Stadion gut entfaltet, und auch die neuen Songs werden sich bald mit Leben füllen. „Wir sind glücklich mit dieser Platte, weil wir endlich den Zerriss der letzten Jahren überwunden haben“, erklärt Gitarrist und Co-Songwriter Stu Garrad, „wir haben zuviel Zeit damit verbracht, nachzudenken, wie wir wohl klingen sollten. Wir klingen jetzt, wie wir eben klingen. Das ist ungemein entspannend.“ Nun wird es freilich auch Zeit, dass delirious? mit sich selbst ins Reine kommen. Zweieinhalb Millionen verkaufte Alben, Supports für U2 und Bon Jovi und ausverkaufte Shows allerorts, da kann man soviel ja nun auch wieder nicht falsch gemacht haben. Obendrein ist mit dem neu gegründeten BMG-Sublabel J-Star endlich der richtige Partner für einen deutschen Release auch außerhalb der frommen Vertriebswege gefunden worden. „Natürlich prägt unser Glauben unsere Musik. Wie sollte es auch anders sein?“, argumentiert Smith, „Wenn in deiner Musik nicht steckt, was dich ausmacht und prägt, ist sie nicht gut. In diesem Sinne versuchen wir, eine gute Band zu sein.“

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