Die Liebe der Matrosin

Amy Winehouse ist die derzeit tollste Soul-Sängerin Englands - beworben wird sie allerdings mit ihrer Sauf- und Rauflust

Amy Winehouse, schreibt die Pressesprecherin der Plattenfirma, schätze es nicht besonders, normale Interviews zu geben – sie möchte gern crazy Fragen gestellt bekommen. Crazy Fragen, daher weht der Wind also. Popstar-Interviews werden sonst immer abgebrochen, wenn man zum Thema Sex schweift, aber diese Künstlerin verlässt wohl den Raum, wenn man sie auf die harten Tage im Tonstudio anspricht.

Ja, so ist sie: Amy Winehouse, das Miststück aus Southgate im Londoner Norden, erst 23, aber so oft und hässlich tätowiert wie ein 75-jähriger Barkassen-Kapitän, die Schmerschnauze, die dich ins Unglück reißt, und die derzeit geilste Sängerin Englands. 2003 kam ihre erste Platte „Frank“ leider mitten im schönsten Norah-Jones-Melua-Pfingsten und war auch noch so unbedingt jazzig, dass viele Leute Amy sofort zu den beschwingten Reh-Schwestern steckten. Obwohl sie „Fuck Me Pumps“ und „In My Bed“ sang und im CD-Booklet beim Pool-Spielen abgebildet war.

Es herrsche Nervosität, ob man mit der Frau fertig werden wird, wispert ein Label-Mitarbeiter am Tag des Winehouse-Konzerts in Berlin: Im Büro sei ein Artikel aus der „Times“ herumgegangen, in dem die Künstlerin einen Promoter rundmacht, der die befohlene Flasche Wodka nicht gleich hergibt. Sie sei Alkoholikerin und schlage ihren Boyfriend im Rausch regelmäßig grün und blau. Aber er bleibt trotzdem bei ihr, ergänzen wir, weil man so eine geile Braut nicht alle Tage kriegt.

Die zweite Platte von Amy Winehouse, „Back, To Black“, ist ein Kinnhaken, ein Gefühl, als ob man gleichzeitig geknutscht und geprügelt würde. Ein Album, das man erst mal als absolut schamlose Retro-Soul-Kopie tadeln und dann trotzdem nicht wieder abschalten kann, weil es so irrsinnig betörend, wohlklingend und kraftvoll ist, die Coolness und Unzärtlichkeit von Amy Winehouse. „Rehab“, wo sie „No, no, no!“ zur Entziehungskur sagt, wird schon landauf, landab von betrunkenen Krankenschwestern gegrölt, dabei ist es wahr: Winehouse, von unglücklicher Liebe und Bulimie tiefer in die Sauferei getrieben, wurde vom Manager in Therapie geschickt, ging aber nach der ersten Sitzung nicht mehr hin. Vor dem Konzert in Berlin gibt es eine Party, bei der die Bar auch „Amys Lieblingscocktail“ ausschenkt: Wodka, Southern Comfort, Bananenlikör und Baileys. Eine Computerprojektion an der Wand zeigt, wie hinter Amy aufdringlich eine Flasche Jack Daniels vorbeifliegt. Es wird langsam etwas zu viel Alkohol.

So toll wie auf Platte klingt sie live übrigens nicht. Klar ist es ausverkauft und schunkelig, aber die Performance wirkt mehr wie die langgezogene Pausenmusik einer Late-Night-Showband. Als Zugabe covert sie „Valerie“ von den Zutons, das ist wieder gut.

Da haben wir’s: Die braven Künstler sind uns zu öde – und wenn dann die bösen, tiefen Charaktere kommen, finden wir sie gleich wieder zu kalkuliert und penetrant. Die britische TV-Show „Popworld“ hat Amy Winehouse übrigens in einer Metzgerei interviewt, wo sie an einer Rinderhälfte herumschnitt und dabei gefragt wurde, wie sie mit dem Erfolg klarkomme. Aha: An crazy Orten darf man ihr auch die langweiligen Fragen stellen.

Direkt in die Überlegung hinein kommt der Anruf: Amy Winehouse hat alle weiteren Interviews abgesagt. Warum? Keine Auskunft. Wir wollen ihr dringend geraten haben, dass es irgendwas mit Trunkenheit oder Liebeskummer zu tun hatte. Ein simples „No, no, no“ akzeptieren wir von ihr nämlich nicht, nicht mehr.

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