Pop-Tagebuch

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Die Nougateier des Powerpop

„Drive“ der Cars kann einer ratlosen Welt die kompletten Achtziger Jahre erklären. Nur für den Fall, dass die ratlose Welt daran Interesse haben sollte. Kaufen Sie sich das genial betitelte Album „Heartbeat City“ von 1984!

Folge 82

An Ostern musste ich an eine Band denken, die niemanden zu interessieren scheint. Es passierte beim Verzehr einiger Nougateier. Mit Nougateiern, dachte ich bei mir, während es mir herrlich den Mund verklebte, ist’s bei mir wie mit „Drive“ von den Cars. Früher hätte man mich damit jagen können, heute bin ich ganz begeistert. Vor allem wenn man nachts angenehm angetrunken im Taxi durch die Gegend kutschiert wird, ist „Drive“ von den Cars ganz grandios. Ich glaube, kein Lied ist so sehr 1984 wie „Drive“ von den Cars. Wie gut Nougateier im Kontext nächtlicher Taxifahrten sind, weiß ich nicht so recht.

Früher mochte ich „Drive“ vor allem deshalb nicht, weil ich das Video so unfassbar öde fand. Ich habe es mir für diesen Text nicht noch einmal angeschaut, aber ich kann mich an einem in einem ausgesprochen 1984-haften Raum herumsitzenden Menschen erinnern (vermutlich war es Benjamin Orr, der Sänger des Stücks). Die bestimmende Farbe des Videos ist blau, auch das weiß ich noch. Überflüssig zu erwähnen, dass es sich um ein 1984-er-Blau handelt. Man hätte aus diesem Blau auch ein klebriges Getränk machen können, aber die Cars haben ein Video daraus gemacht.

Regie bei dem Video führte der damals 24-jährige Schauspieler und Oscar-Preisträger Timothy Hutton, zu jener Zeit ein heiß gehandelter Jungstar, dem eine große Karriere zu blühen schien, die dann jedoch schlichtweg nicht stattfand. Hat das Video seine Karriere auf ungute Pfade geschubst? Ich denke nein. Einen seiner prominentesten Einsätze erfuhr das Stück beim Live-Aid-Festival 1985, als man es zum Zwecke der Untermalung von Bildern hungernder Kinder verwendete. Ich hatte erst den üblichen Reflex: „Wie geschmacklos“, dachte ich, „ein Lied übers Nachhausefahren für so etwas einzusetzen! Widerlich!“ Doch ich irrte: Der Song handelt wohl eher von Anteilnahme.

Jetzt habe ich mir das Video doch noch einmal angeschaut. Blau ist da gar nichts! Vielmehr blendet das Video von typischem Achtziger-Retro-Schwarzweiß nach und nach ins Gelbliche. Interessant finde ich, dass Ric Ocasek der eigentliche Cars-Sänger nur als Statist in dem ausnahmsweise vom Bassisten der Band intonierten Stück auftaucht, in seinen wenigen Szenen aber aussieht wie Nick Cave mit Kinderfrisur. Ocasek hat in dem Video Streit mit einer jungen Frau, die natürlich von einem Model gespielt wird. Paulina Porizkova heißt die Dame; in meiner Lieblingsszene liegt sie mit verdrehten Beinen in einer Gummizelle und kritzelt apathisch irgendwelchen Mumpitz an die Wand. Das ist alles der Ocasek Schuld, jede Wette!

Doch gottlob klaffen Wirklichkeit und Fiktion auch hier sperrangelweit auseinander: 1989 nämlich ehelichte Ocasek die Poritzkova. Ihr Buch „A Model Summer“ habe ich leider nicht gelesen, werde es aber fürderhin auf allen Flohmärkten jagen wie 007 einst Dr. No. Das war ein blöder Satz. Aber selbst in einem Text, der sich an so etwas Erhabenem wie „Drive“ von den Cars abarbeitet, kann einem ein solcher Lapsus mal passieren. Doch Halt: Sagte ich gerade 007? Ist ja ein Ding: Die Porizkova setzte ihrer Schauspielkarriere nämlich zu Beginn dieses Jahrtausends mit der Absage der weiblichen Hauptrolle in „Golden Eye“ ein Ende.

Wann waren die Cars eigentlich weg? Und wichtiger noch: Warum? Nun, auch bei den wackeren Poprockern lief alles wie es immer läuft im Popbetrieb: Als 1987 das Album „Door To Door“ floppte, packte man die Sache zusammen. Orr und Ocasek starteten Solokarrieren. Erster verstarb leider im Jahr 2000, Letzterer produzierte unter anderem Guided By Voices. 2011 taten sich die übriggebliebenen Cars in Originalbesetzung wieder zusammen und veröffentlichten ein neues Album. „ … doch die alte Magie war dahin“ hätte ich jetzt gerne geschrieben, aber ich habe die Platte nicht gehört.

„Drive“ kann einer ratlosen Welt die kompletten Achtziger Jahre erklären. Nur für den Fall, dass die ratlose Welt daran Interesse haben sollte. Kaufen Sie sich das genial betitelte Album „Heartbeat City“ von 1984, dort ist das Stück – neben drei weiteren Top-20-Hits – enthalten. Man kann auch ganz toll Nougateier dazu essen.

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