Die Truman Show

ab 12. November im Kino

Es gibt noch eine Schamgrenze in der „Truman Show“. Beim Sex mit seiner Ehefrau blendet die Kamera aus, säuselt nur noch Musik. Später, wenn Truman sich auf die Seite gerollt hat, wird sein Gesicht wieder zu sehen sein. Die ganze Nacht über. Mit einem zufriedenen Lächeln, unschuldig und süß wie ein Kind.

Truman Burbank ist von der ganzen Welt adoptiert worden. Seit seiner Geburt vor 30 Jahren, die direkt aus dem Kreißsaal übertragen wurde, wird sein Leben von mehr Medienpräsenz und öffentlicher Penetranz in Beschlag genommen als bei Di und ihren Prinzen zusammen. Denn Truman ist im Fernsehen. 24 Stunden. Live. Gefilmt von 5000 Kameras aus jedem Winkel seines Alltags. Betrachtet von 1,7 Milliarden Zuschauern. Es gibt zahllose Fanclubs und eine Menschenrechtsinitiative, die mit „Free Truman“-Plakaten vor den Studios demonstriert. Aliein: Truman weiß von all dem nichts. Er ist der unbewußte Star und Sklave einer schizophrenen Serie, die mit dem Slogan „Haben Sie Schauspieler und unechte Gefühle satt?“ jede Neugier des Publikums am Privaten eines fremden Menschen befriedigt Eine Peep-Show des Heimeligen und Freak-Show des Normalen mit Echtheitszertifikat, das dennoch eine größere Lüge ist als die Schöpfungsgeschichte. Trumans wahre Eltern haben ihn an ein falsches Leben vermarktet, seine Frau und Freunde sind Schauspieler den in Rollen ihres Lebens und alle anderen Statisten. Nur Truman ist eben echt Truman als er selbst True man in afake worUL Seine Welt ist ein perfektes Paralleluniversum, ein beschauliches Örtchen mit dem nichtssagenden Namen Seahaven, ein Ort im Nirgendwo, der also (fast) überall sein könnte. Geschaffen von einem Dr. Frankstein des Fernsehens, dem Produzenten und Regisseur Christof (Ed Harris), der mit esoterischen Beglückungsformeln, zynischer Berechnung und maoistischer BefehlsLEINWAND

NEU IM KINO

kraft gottgleich Trumans (Jim Carrey) Geschicke lenkt Damit es seinen Zögling vor Fernweh nicht eines Tages von der abgeschotteten, künstlichen Insel drängt, hat er jenem einige Komplexe indoktriniert, die ihn zudem für die Gefühlsvampire an den Bildschirmen noch anrührender machen. So mußte Truman als Kind miterleben, wie sein Vater während einer Segelbootpartie in ein Unwetter gerät, kentert und vorgeblich ertrinkt. Seitdem meidet er alle Brücken und Schiffe, die zu unbekannten Ufern führen könnten. Und Ehefrau Meryl (Laura Linney) äußert öfter ihren Wunsch nach einem Baby. Wie im richtigen Leben halt Dabei ist auch der Schöpfer Christof nur eine Marionette in einer falschen Welt, die dirigiert wird von Peter Weir, dem eigentlichen Regisseur der „Truman Show“, einem Virtuosen der Suggestion. Sein Meisterstück war bisher das Internatsdrama „Der Gub der toten Dichter“ über einen unkonventionellen Lehrer, der seine Schüler gegen die starren Traditionen zur Selbstentfaltung bewegen will, dies aber erst im eigenen Scheitern und nach dem Suizid eines Jungen erreicht Dieser Film war zu schön, um wahr zu sein. Doch kaum jemand verpackt gefiihlsheischende Klischees derart glaubwürdig wie Weit, „Die Truman Show“ handelt natürlich auch von Selbstfindung, nur fehlt hier der subtil-sentimentale Schmuck, der die Werke von Weir sonst auszeichnet. Der Film will antiseptisch wirken mit seinen Kulissen wie aus einer Puppenstube und Passanten, die wie ferngesteuert agieren. „Ein schöner Tag heute, nicht wahr?“, grüßt der Nachbar jeden Morgen an derselben Stelle, und Truman antwortet: Ja, wie immer.“ Weir balanciert geschickt und kühl zwischen Sitcom, Soap opera und Satire. Die totale Kenntlichkeit des Schein prüft aber auch die Frage, ob das Kinopublikum ebenso Anteil nimmt an Trumans Schicksal, wie die TV-Zuschauer im Film es tun.

Für das Grimassen- und Gaga-Genie Jim Carrey ist „Die Truman Show“ nach „Cable Guy“ und „Der Dumm-Schwätzer“ ein weiterer kleiner Schritt zur Ernsthaftigkeit Komisch ist er natürlich immer noch. Ein sympathischer Simpel, der strahlt wie in einem Werbespot, wenn er dem Paar im Vorgarten nebenan zuruft: „Guten Morgen – und falls wir uns nicht mehr sehen sollten auch guten Nachmittag, guten Abend und gute Nacht“ In seiner Unbedarftheit und in Anzügen wie aus den 40er Jahren aber ähnelt er auch dem jungen James Stewart in Frank Capras „Mr. Smith geht nach Washington“. Weir führt Truman wie bei einem üblichen, autarken Kinofilm ein. Sukzessive enthüllt er dann das Serien-Szenario, wodurch der Film und seine Titelfigur zur Fiktion gerinnen. Seine Wahrhaftigkeit gegenüber dem Kinozuschauer gewinnt Truman zurück, je mehr er die eigene Situation erkennt und desto grotesker die Darsteller reagieren. Die Pannen häufen sich, dann hastet Trumans bester falscher Freund mit einem Sechserpack Bier herbei, um dessen Bedenken zu zerstreuen. Plötzlich fallt Truman auf, daß Meryl ständig mit Haushaltswaren in der Hand seltsam ins Leere redet. Von seiner Sprunghaftigkeit entnervt, brüllt sie schließlich: „So kann ich nicht arbeiten. Das ist nicht professionell.“ Als Truman dann unerwartet den Kameras entwischt, wird erstmals die Sendung unterbrochen. Die TV-Zuschauer aber solidarisieren sich mit dessem Freiheitsbestreben. Er flieht mit einem Segelboot, und als er mit einem Sturm wie im Wassertank gestoppt werden soll, ist er von da an tatsächlich das einzig Wahre im Falschen. An einer weißen Betonmauer steht schlicht: Exit Ab alles vorbei ist erlöschen die Monitore wie bei einer Beatmungsmaschine nach dem Exitus. Doch während niemand in die Lindenstraße ziehen kann, wenn dort eine Wohnung frei wird, ist Seahaven keine Kulisse. Diese Stadt existiert wirklich. Und im Internet offerieren Leute längst Bilder aus ihren Alltag. 24 Stunden. Live. Sogar beim Sex.

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