Doppelt so schnell

Im tiefen Dschungel von Berlin schlägt ein Beat. Norbert Rudnitzky schlurft aus seinem Plattenladen in Schöneberg heraus und schüttelt den Kopf. Etwas ungläubig, aber zufrieden läßt er die Pressetermine der letzten Tage Revue passieren: „Gerade war einer vom ,Kölner Stadtanzeiger‘ da, letzte Woche kam die ARD – das Telefon klingelt ständig.“ Seit 1985 steht Norbert nun in der gemütlichen „Downbeat“-Höhle herum und verkauft Reggae, Ragga und Dub an Spezialisten und DJs. Außerhalb der rotgelb-grünen Insider-Kreise kümmerte das bis vor kurzem keine Sau. Und jetzt fallen die großen Medien über den kleinen Laden her, als wäre Bob Marley auferstanden und gäbe dort ein Dauerkonzert auf der Verkaufetheke. Was ist passiert?

Jungle!“ ruft Yburie aus, der sich auf seinen Platten Toubab nennt. Seine Augen leuchten. Jungle, das ist passiert. So heißt der heißeste Trend eines milden Winters. Zumindest wollen es die Medien so, die sich mit Grunge und Techno offenbar langweilen. Als die ersten Berichte in großen Zeitungen erschienen, brach in den Plattenfirmen Hysterie aus, weil sie mit leeren Händen dastanden. Sogar die Esoterik-Zeitschrift „Spex“ half dem Hype per Titelgeschichte nach. Jungle. Das ist das einprägsamste und rätselhafteste Etikett seit „Rave“. Die Musik kommt aus England, von den dortigen Soundsystems und Dub-, House- und Techno DJs. Jungle. Eine Definition, bitte! Jungle orientiert sich an Ragga“, erläutert Yourie. „Unter einen Ragga-Tack legst du einen Hip Hop-Breakbeat als Sample. Dann spielst du ihn doppelt so schnell – und du hast Jungle!“ In Deutschland sind Rudnitzky, Yourie und ihr Partner Ralph Kühn Pioniere in Sachen Jungle. Jahrelang schon hatten sie sich mit dieser komplexen Breakbeat-Ragga-Mischung beschäftigt. Norbert moderiert seit drei Jahren die Sendung „Blackboard Jungle“ beim Jungendradio „Fritz“. Yourie legte, Nomen war Omen, schon als Jugendlicher Platten in der legendären Discothek „Dschungel“ Platten auf produziert heite eigenen Platten. Reggae-Experte Ralph Kühn hält den Laden innerlich zusammen – „er ist unser Spirit“ (Yourie). Zur richtigen Zeit waren die drei am richtigen Ort. In London knüpften sie im Sommer dieses Jahres Kontakte zu General Levy, UJC Apache, dem Slam Collective und anderen Projekten und Künstlern aus dem Ragga/ Jungle-Umfeld. Sie gründeten schnell ein Label und brachten mit Unterstützung des Branchen-Riesen WEA, der rechtzeitig die Zeichen erkannte, ersten deutschen Sampler mit 16 Stücken heraus: ,“Down In The Jungle“.

Im britischen Dance-Underground tauchte Jungle vor etwa drei Jahren auf. Ob daraus wirklich ein Mainstream-Trend werden könnte, bezweifelt Rudnitzky, schließt es aber nicht ganz aus. Dazu klärt Yourie schließlich noch eine entscheidene Frage: Wie tanzt man zu einer Musik, die zwar der Struktur von Raggamuffin folgt, aber von nervösen Breakbeats unterlaufen wir? Er macht es vor. Es geht sehr schnell, sieht irgendwie anstrengend aus und dürfte von der Motorik her den durchschnittlichen Techno-Tänzer überfordern. Um so besser: Je höher die Mitmach-Grenze, desto niedriger das Risiko des Ausverkaufs.

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