Willander sieht fern

ECHO 2017: TV-Kritik –  Alles „Yeah“ dank Nervenarzt

Die "Echo"-Verleihung bei Vox: Schon wieder ist ein Jahr verflogen. Arne Willander über die TV-Übertragung.

Das Wahrzeichen dieser Fernsehshow ist die Einblendung vor der Werbung: „Gleich geht’s weiter.“ Und der ungefähr zwölfmal eingespielte Hinweis auf Desirée Nosbusch, die demnächst bei Vox in „The Story Of My Life“ die letzte Frage stellen wird: „Was wird mit uns passieren, wenn wir alt sind?“ Boris Becker sagt: „Mein Herz ist noch jung.“

Die Dekadenz des „Echo“ im 26. Jahr wird verkörpert von Xavier Naidoo und Sasha, zwei ausgeruhten Conferenciers, die mit der gebotenen Müdigkeit und Gratis-Ironie betulich und holprig durch den länglichen Abend führen. In ostentativer Kumpelmanier sagen sie die Texte auf und knibbeln umständlich die Aufkleber über den Namen der Preisträger an den grotesken Trophäen ab, Naidoo mit Sonnenbrille, Sasha kurzsichtig, schüttere Witzchen memorierend, die alle verläppern, dabei in einer unangenehmen Tonlage zwischen pflichtschuldigem Pathos und der Gewissheit, dass alles egal ist. „Schon wieder ist ein Jahr verflogen“, singen die Männer, „wer hat wohl das große Los gezogen?“

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Der volatile Lotterie- und Rummelplatzcharakter der Veranstaltung ist durch die Beteiligung von ebenso nebulösen wie umfänglichen Jurys noch augenfälliger geworden: 50 Prozent Verkäufe, 50 Prozent Juroren. Der Saal ist in schummriges Rotlicht getaucht, das Publikum sitzt an Tischen, es sieht aus wie ein Bordell mit sinnlos herumstehenden Schiffscontainern an den Seiten.

Einer muss den Job ja machen!

Der „Echo“ wird immer derselbe bleiben. Udo Lindenberg erzählt wieder, dass er bereits 1992 für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, yeah, und Sasha erzählt das später noch einmal, und Naidoo erzählt, dass er 1999 seinen Nachwuchspreis nicht abgeholt hat, und AnnenMayKantereit sind jetzt auch nicht da, weil sie in Saarbrücken ein Konzert geben, und  das zeigt, was am wichtigsten ist: dass man nicht zu Preisverleihungen geht, sondern beim Publikum ist, und die Musik ist das Allerwichtigste, und der Rag’n’Bone Man ist aus England gekommen und kriegt zwei Preise, er ist ganz verlegen,  eben kannte ihn noch niemand, jetzt knödelt er immerzu „Human“, Beth Ditto singt ein Lied, weil sie gerade eines hat, Linkin Park sind auch da, sie bringen bald eine Platte heraus, Udo singt mit Wolfgang Niedecken, Henning Wehland und Johannes Oerding „Einer muss den Job ja machen“, Ina Müller erzählt drei Zoten in eineinhalb Minuten, Max Giesinger und Tim Bendzko singen sich gegenseitig ihre Lieder vor, Adel Tawil geht auch immer weiter, er räumt Steine beiseite und baut eine Pyramide, alle erzählen von sich selbst, nur Campino erzählt von der Initiative Viva con Agua, die Trinkwasser verfügbar macht, und dann sagt er etwas, das ihn immer beschäftigt, er ärgert sich: „Lieber uncool sein als ein cooles Arschloch, das nicht in der Lage ist, sich konstruktiv einzubringen.“ Sein Hemd ist knitterig.

Campino

Westernhagen feiert die Freiheit

Marius Müller-Westernhagen bekommt den Preis für sein Lebenswerk, Olli Dittrich lobt ihn, „Du bist sicher auch nicht immer einfach, Freund der Künste, Fleiß, Genauigkeit, ein schwärmender Romantiker, du bist und bleibst einer unserer Allerbesten“, eine Stimme aus dem Off sülzt: „Kumpeltyp, mit hohem Anspruch an sich selbst, unangepasst“, Westernhagen sagt: „Dann gehst du auf die Bühne und spürst die Energie von 60.000 Leuten“, Gerhard Schröder sagt, dass Westernhagen sich immer für Benachteiligte und Verfolgte eingesetzt hat, dann kommt „Sexy“, und Westernhagen sagt: „Freunde sind wertvoller als Feinde, die Liebe ist wertvoller als der Hass, glücklich zu sein ist wertvoller als erfolgreich zu sein, die Wahrheit ist wertvoller als die Lüge. Die Zeit der Selbstsucht ist vorbei.“ Dann singt Westernhagen „Freiheit“ zum Klavier.

Die Lochis werden nicht als beste Newcomer ausgezeichnet.

Den „Echo“ für volkstümliche Musik bekommt binnen 20 Sekunden Andreas Gabalier, er sagt aus dem Off: „Dieser ,Echo‘ bedeutet mir sehr viel.“ Andrea Berg wird für Schlager ausgezeichnet, es ist ihr neunter „Echo“, ein paar Leute an den Tischen stehen auf, Campino klatscht auch, sie sagt, dass sie sich jetzt zum ersten Mal willkommen fühlt und dass Xavier Naidoo der Erste ist, der sich mit ihr auf die Bühne stellt. Alles gut.

Andrea Berg

Die Rolling Stones sind für das „Album des Jahres“ nominiert, aber es reicht nicht: Schon wieder hat Udo gewonnen, yeah. Er sagt, dass er geplättet ist, und hält die schönste und wundersamste Rede des Abends: „Durchchecken, durch den Keller schleichen, die Wirkstoffe probieren, hochgeschossen, wieder runtergeschossen, gute Nervenärzte am Start.“ Von seinen Produzenten sagt er, es sei um Leben und  Tod gegangen, sie seien aus der Tiefe ihres Seins in der Platte, krass. Xavier Naidoo sagt: „Glückwunsch Udo nochmal.“ Die Beginner erhalten den Kritikerpreis, Jan Delay sagt: „Wenn man die Kritiken gelesen hat, als die Platte herauskam, dann ist das der derbste Treppenwitz.“ Er dankt den Kritikern.

Lena Meyer-Landrut ist wirklich sehr dünn.

Gleich geht’s weiter.

 

Rainer Jensen picture alliance / Rainer Jensen/dpa pool/dpa
Rainer Jensen picture alliance / Rainer Jensen/dpa Pool/dpa
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