Ein Jahr US-Präsident: Trumps Rache an Obama

Vor einem Jahr wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt. Für ihn wurde ein Rachetraum wahr. Für Amerika hat ein Alptraum begonnen. ROLLING-STONE-Chefredakteur Sebastian Zabel über den Tag, der die demokratische Kultur veränderte. Ein Fundstück vom 09. November 2016.

Archiv-Fundstück: 09. November 2016

Einen Monat nach der Amtseinführung des 41. Präsidenten der USA spielte Neil Young das Lied zum ersten Mal vor Publikum. Es war der 21. Februar 1989, ein klirrend kalter Tag. Etwas mehr als sechs Minuten lang donnerte „Rockin’ In The Free World“ durch das Paramout Theatre in Seattle. Neil Young sang von verarmten und verwahrlosten Menschen, von dem neben einer Mülltonne ausgesetzten Baby einer Crack-Mutter, das niemals die Chance haben würde zu leben und „never get to be cool“. Obwohl Young den Namen nicht erwähnte, wusste jeder, dass George Bush den Song inspiriert hatte, dass er von der Unfreiheit in einer freien Welt handelt, von der Freiheit und ihrer Bedrohung durch eine falsche Politik. „Keep on rockin’ in the free world“, eine Aufforderung, eine Hoffnung.

Am Freitag um 12 Uhr Ortszeit legte der designierte 45. Präsident der Vereinigten Staaten vor dem Kapitol in Washington seinen Amtseid ab. Neil Young hatte Donald Trump verboten, seinen Song im Wahlkampf zu benutzen, und bis zuletzt hatten dessen Helfer Mühe, Künstler zu finden, die bei der After-Show-Party auftreten wollten. Sogar eine Springsteen-Cover-Band sagte in letzter Minute ab. Die Amtseinführung kennt Traditionen und Rituale, aber nichts davon ist festgeschrieben. Meist legt der neue Präsident seine Hand zum Schwur auf die Bibel – nur John Quincy Adams nahm 1825 stattdessen die Verfassung – und sagt: „So help me god“. Aber das muss er nicht.

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Donald Trump schon gar nicht. Der ehemalige Immobilienunternehmer und Fernsehunterhalter hat mit allen tradierten Verhaltensmustern demokratischer Politik gebrochen. Er verachtet die Politik. Er sagt: Ich bin kein Politiker. Ich bin gut darin, Deals abzuschließen. Dabei geht es nicht um die Ökonomie, stupid, sondern um Betriebswirtschaft. Die USA sind eine Firma, seine Firma, die er entrümpeln und sanieren muss. Die Welt drum herum ist diesem Interesse untergeordnet. Wenn es gut läuft, versteht er das unter Politik: einen Deal aushandeln zum Nutzen seiner Firma. Was ihr nutzt, dass nutzt auch den Amerikanern.

Jähzorn und Verletzlichkeit

Der Kulturbruch, den Donald Trump verkörpert, ist einschneidend. Nicht nur, weil er Strafzölle androht und eine Mauer bauen will. Nicht nur, weil er auf die EU pfeift, die NATO belächelt, Angela Merkel und Meryl Streep beschimpft, Journalisten droht, Putin umarmt, keine Ahnung von geopolitischen Fakten, Allianzen und Strategien hat, täglich Unsinn twittert, verstörende Interviews gibt, Konkurrenten und Mitstreiter demütigt, seine Wohnung in Goldtönen ausstattet, seinen Sohn im Kinderanzug auf einen Steiff-Löwen setzt, Körperbehinderte nachäfft, gelegentlich lügt, sich selbst widerspricht und damit geprahlt hat, Frauen einfach an die „Pussy“ zu greifen. Sondern weil er all das tut. Unaufhörlich. Es sind keine Ausrutscher, keine Missgeschicke, in den Unfassbarkeiten zeigen sich Trumps Stil und Trumps Haltung. Erst die Summe der Unfassbarkeiten lässt den Kulturbruch so tief erscheinen.

Obama und Trump im Oval Office, 10. November 2016

Der 45. Präsident der USA ist unberechenbar, und wer sagt, seine Unberechenbarkeit sei doch schon wieder so etwas wie eine berechenbare Größe, etwas, mit dem man rechnen könne, der irrt. Das einzige, womit man bei ihm rechnen kann, ist sein Jähzorn und seine Verletzlichkeit. Denn Trumps Verhalten weist alle Symptome eines Menschen auf, den die Psychologie einen Narzissten nennt. Er lebt von der ständigen Aufmerksamkeit seiner Umwelt, die überhaupt nur dazu da ist, ihn zu spiegeln. Er scheint getrieben von einer unstillbaren Gier nach Bewunderung. Er bezieht alles, was geschieht, unmittelbar auf sich. Er ist misstrauisch und unfähig zu Empathie. Wer den Narzissten widerspricht, verletzt ihn zutiefst und zieht dessen Zorn auf sich. Wer ihm nicht dient, ist bestenfalls nutzlos.

Früher tanzte Trump im „Studio 54“

Eine Schlüsselszene in Trumps Leben könnte der 30. April 2011 gewesen sein. Wochenlang hatte er Barack Obama in Talkshows attackiert, mit hochgezogenen Augenbrauen und ausgebreiteten Armen über dessen vermeintlich unamerikanische Herkunft schwadroniert. Nun wurde er vom amerikanischen Präsidenten zum Korrespondenten-Dinner ins Weiße Haus eingeladen. Fernsehbilder zeigen den sichtlich stolzen und gutgelaunten Trump, der sich mit einer Entourage attraktiver Frauen an einen der eingedeckten Tische setzt. Dann hält Obama seine Dinner-Speech. Als ersten begrüßt er Donald Trump – und macht sich drei Minuten lang über ihn lustig. Smart und arrogant. „Wir alle wissen um Ihre Qualifikation und Ihren Erfahrungsschatz“, endet Obama unter dem Gelächter der Gäste. „Sagen Sie über Mr. Trump was Sie wollen, aber er würde das Weiße Haus verändern“. Trump sitzt wie versteinert da, die Lippen ein Strich.

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Obamas Witz und rhetorischem Groove war er natürlich nie gewachsen. Als junger Mann tanzte Trump im „Studio 54“. Doch mit der hedonistischen Freiheit im New York der Siebzigerjahre konnte er nicht viel anfangen. Alles Lässige geht ihm ab. Er spricht, wie er es auf der Militärakademie gelernt hat. „You’re fired!“

Trumps Biograf Michael D’Antonio glaubt, dass er an jenem Abend im Weißen Haus beschloss Präsident zu werden. Er würde sich für die Demütigung durch den schwarzen Präsidenten rächen. Er würde sich für alle erlittenen Demütigungen rächen. Seine Kritiker würden vor ihm auf die Knie gehen müssen.

Der Handschlag zwischen Obama und Trump, 10. November 2016.

„I won“ meint „Fuck you“

Während seiner ersten Pressekonferenz als designierter (in Deutschland haben wir uns irriger Weise „gewählter“ angewöhnt) Präsident, wehrt Trump mit einer Handbewegung Fragen ab, während sein gestreckter Zeigefinger Fragen zulässt. Er steht da mit seiner grotesken Frisur und der zu lang gebundenen Krawatte, die fast bis zum Schritt reicht. Er scheint verärgert, sein Mund macht ein „O“, er sagt „I won“, wie ein Kind nach einer Partie „Risiko“, als erkläre das alles. Tatsächlich erklärt es sein Denken, er denkt mit dem Bauch: Ich habe gewonnen, ich bin jetzt der Bestimmer. Trumps „I won“ ist ein „Fuck you“. Seine Rache.

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Neil Young wird weiter Lieder schreiben. Amerika wird Trump überleben. Die Frage ist nur, in welchem Zustand. Die Frage ist, wie viel bis zum Ende der Amtszeit des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten zerstört sein wird.

Fraglich auch, ob Donald Trump begreift, worum es in Neil Youngs Lied geht. Als er es für seinen Wahlkampf aussuchte, war klar warum: Er würde derjenige sein, der die freie Welt gehörig rocken wird. Doch „Keep on rockin’ in the free world“ meint nicht ihn. „Keep on rockin’ in the free world“ meint uns.

JIM WATSON AFP/Getty Images
JIM WATSON AFP/Getty Images
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