Elektronik trifft auf Folk: MANDALAY sind die neuen Vertreter britischer Melancholie

Zum Leben braucht Saul Freeman nur einen Computer, einen Sampler – und einen Pizza-Service. „Der jetzige ist ziemlich gut“, berichtet er. „Ist schon wichtig, wenn man viele Pizzas ißt.“ Etwas blaß ist Saul, und von der Londoner Musik-Szenerie bekommt er nur was mit, wenn er alle paar Wochen mal aus Versehen in einem Pub landet. Vermutlich wäre er ein autistischer Musik-Bastler geblieben, hätte er nicht vor drei Jahren eine Kleinanzeige im „Melody Maker“ aufgegeben. Saul suchte eine Sängerin, eine, die seine vielen Sound-Ideen faszinierten und sie strukturieren konnte. Eine wie Nicola Hitchcock.

Nicola hatte bis dahin in einem nicht weniger hermetischen Parallel-Universum gelebt: Sie beschäftigte sich mit klassischer Lyrik und sang Folksongs zur Gitarre. Als sie diese Anzeige las, rief sie Saul sofort an. Zwei Solitäre wuchsen zusammen und begannen, nächtelang an Songs zu arbeiten. Doch dieses Zusammentreffen war durchaus auch ein bißchen romantisch. So romantisch wie der Name Mandalay, der aus Hitehcocks Film „Rebecca“ stammt. Nicola und Saul brachten Elektronik und Folk zusammen, um daraus etwas Drittes zu machen. Ihr erstes Album „Empathy“ ist nicht bloß eine Kollektion zarter Popsongs, sondern gibt, um mit Björk zu sprechen, den Blick auf eine „emotionale Landschaft“ frei. „Es geht uns um Intensität, Ausdruck, Atmosphäre“, sagt Nicola und starrt dabei mit großen Augen in ihre leere Kaffeetasse.

Mandalay haben das Pech, immer wieder mit Portishead verglichen zu werden. Was man jedoch niemandem verdenken kann: Bastler und Sängerin, Computer und Stimme, Trip und Hop – die Analogien sind nicht zu überhören. Doch Saul ärgert dieser Vergleich. Er findet, daß heute die Wahrnehmungsraster der Öffentlichkeit zu grob sind: „Wenn die Leute genauer hinhörten, würden sie feststellen, daß das Klangspektrum Portisheads ein komplett anderes ist. Geoff bezieht sich auf eine bestimmte Form von HipHop aber auch auf Filmmusik. Beth hat ihre Wurzeln im Jazz und Blues. Mit unserer Musik aber versuchen wir, auf solche Referenzen zu verzichten. Obwohl wir Wurzeln im Elektropop der 80er Jahre haben, ist für uns ein raffiniertes Arrangement weniger wichtig wie der direkte Ausdruck eines Gefühls.“ Womit Saul nicht etwa ein naives Verständnis von „authentischer Musik“ meint. „Die postmoderne Phase war nötig“, sagt er. „Die Moderne war sehr weit gegangen, und die 80er Jahre wurden dazu gebraucht, ein bißchen spielerisch damit umzugehen. Aber was ich nicht mehr für zeitgemäß halte, ist dies augenzwinkernde Jonglieren mit Zitaten. Das hat sich überlebt.“

Es sei dahingestellt, ob das Besinnen auf alte Werte wie den Song, die Melodie und die Emotion aus dieser Situation hinausführt. „Für uns jedenfalls ist das der einzig richtige Weg“, meint Nicola Hitchcock, die übrigens mit dem großen Regisseur in keiner Weise verwandt ist.

Letztlich sind Mandalay ein Fall von britischer Melancholie. Über den Inseln hängt oft dichter Nebel, und regnen tut es fast immer. Aber mit der Schwermut geht man genau so diskret um wie mit dem Sex, und die Selbstentblößungsorgien, zu denen amerikanische Ich-Sänger neigen, sind den beiden Briten fremd.

Exhibitionismus, das haben Mandalay beherzigt, ist banal. Empathie ist schon schwieriger. Die hohe Schule des Gefühls.

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