Element of Crime im ROLLING-STONE-Porträt: Sie brechen die Regeln

Von Verklärung und Kulturpessimismus halten ELEMENT OF CRIME wenig, sie machen lieber weiter große Alben – und lachen manchmal über sich selbst. Ein Porträt über die Headliner von ROLLING STONE Weekender und ROLLING STONE Park 2019.

Jahre, in denen es ein Album von Element Of Crime gibt, sind nie ganz verkehrt. Und man kann sich darauf verlassen, dass sie so regelmäßig kommen wie Schaltjahre. Meistens ist es im Herbst so weit, so auch 2018. Jetzt aber bitte nicht gähnen! Denn erstens geht es hier um eine der besten deutschen Bands überhaupt, und zweitens bricht „Schafe, Monster und Mäuse“, ihr 13. Studiowerk, auch mit einigen Regeln. Die zwölf Lieder nehmen sich 56 Minuten Zeit. Ihre alte Regel, dass eine Platte nicht länger als eine Schulstunde dauern sollte, haben sie also einfach mal ignoriert. Sie hatten Lust auf mehr – und wenn das nach so langer Zeit zusammen noch so ist, scheint etwas grundsätzlich richtig zu laufen.

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Seit 34 Jahren machen Element Of Crime Musik, wie sie eben nur Element Of Crime machen können, und das ist für alle Beteiligten ein großer Grund zur Freude. Es gibt praktisch keine Konkurrenz für sie: Diese Mischung aus Rockmusik und Chanson, Melancholie und Witz bekommt niemand sonst hin. Man merkt den vier Elements jederzeit an, dass sie ihren Status und ihr Leben zu schätzen wissen – so unterschiedlich die jeweiligen Leben abseits der Band sind. Am bekanntesten ist natürlich Sänger und Trompeter Sven Regener, 57, im Zweitberuf Bestsellerautor („Herr Lehmann“, „Wiener Straße“). Wenn er neben Gitarrist Jakob Ilja, 59, und Schlagzeuger Richard Pappik, 62, sitzt, nimmt er allerdings keine exponierte Stellung ein. Er redet etwas mehr als die anderen, während Pappik lieber zuhört und Ilja nur über Musik sprechen möchte, aber einen Chef gibt es hier eindeutig nicht. (Bassist Dave Young, 69, drückt sich vor Interviews, obwohl er schon seit 2002 zur Band gehört, deren Produzent er vorher war. Er spricht nicht so gern deutsch.)

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Sie lieben die Freistellen

Auch diesmal haben die vier im Berliner Tritonus-Studio aufgenommen – und zwar ganz schön viel, nicht nur was die Länge der Lieder, sondern auch was die Instrumentierung betrifft: Ekki Busch spielt wieder das Akkordeon, Rainer Theobald das Tenorsaxofon, Streicher- und Bläserarrangements fügen sich ebenso schön ein wie der Chor und der zusätzliche Gesang von Sven Regeners Tochter Alexandra auf „Karin, Karin“. Selbst fein ziselierte, kunstvolle Stücke wie „Gewitter“ klingen so mühelos, als müssten sie sich dafür gar nicht anstrengen. Das stimmt natürlich nicht, ist aber immer gut, wenn es so wirkt. Wer will schon anderen bei harter Arbeit zuhören? Vielleicht liegt die Leichtigkeit daran, dass es bei den Elements das gibt, was Ilja „Freistellen“ nennt: Wenn sie ihre In­tros und Instrumentalteile einspielen, wissen sie anfangs bei manchen Räumen selbst nicht, wie sie zu füllen sind. Diesmal haben sie sich für diesen Prozess mehr Zeit genommen, das ergab mehr Opulenz. Sie steuern das so wenig wie möglich. Es kommt, wie es kommt.

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Ihr kennt euch schon sehr lange. Gibt es da wirklich noch Überraschungen im Studio?
Ilja: Die Struktur der Musik und die Art, wie wir aufnehmen, gibt es zum Glück her, dass wir vieles offenlassen können. Ein Klassiker bei uns ist: Wenn die Basics eingespielt sind, Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang, dann heißt es: „Wer will mal?“ Und dann wird’s interessant. Dann hat plötzlich einer eine Idee für ein Glockenspiel oder eine Mundharmonika. Da ist nichts vorherbestimmt.
Regener: Nach 34 Jahren, die wir jetzt zusammen Musik machen, kann ich immer noch nicht vorhersagen, was Jakob mit der Gitarre anstellen oder wie Richard trommeln wird. Deshalb sagt bei uns auch keiner dem anderen, was er machen soll – da würde er ausgelacht. Das würde nicht funktionieren. Weil wir eine richtige Band sind. Keine, bei der einer der Boss ist. Auch derjenige, der mit der jeweiligen musikalischen Idee ankommt, hat nicht mehr Kompetenz als die anderen. Ich habe mir schon abgewöhnt, mir vorher überhaupt irgendwas vorzustellen.
Pappik: Besser is’!

Wenn ihr Streicher, Bläser, Chöre hinzufügt: Geht da auch mal was schief und muss dann revidiert werden?
Regener: Früher gab es mehr Versuch und Irrtum. Heute haben wir alle natürlich mehr Erfahrung und genauere Vorstellungen, deshalb heißt es ja auch ,Produziert von Element Of Crime‘. Für ­eine Band, die so einen eindeutigen Sound und Stil hat, ist es ja durchaus ein schwieriges Wechselspiel: es zuzulassen, dass viele andere Leute ihre Dinge ­dazu spielen. Das Profil darf ja nicht verloren gehen. Früher hätten wir die Chöre vielleicht bei fünf Liedern ausprobiert und dann nur bei zweien gelassen, oder wir hätten sie eher im Hintergrund reingemischt. Aber so was muss schon richtig zu hören sein.
Pappik: Das meiste bleibt, nur wenig verschwindet.
Einen Produzenten braucht ihr also gar nicht mehr? Bands wie U2 schwören ja auf gleich vier oder fünf Produzenten, obwohl die als Band auch viel Erfahrung haben.
Ilja: Bands wie U2 sind halt auch anders unterwegs. Bei denen geht es immer um das Neue. In solchen Kategorien denken wir nicht. Wir suchen ja keinen neuen Sound, den uns ein Produzent verpassen kann. Wir wollen neue Lieder machen, und was sich dann ergibt, überlassen wir unserem Zusammenspiel und der Musik selbst.
Regener: Das ist wie ein Schönheitschirurg. Wenn man glaubt, dass man ein Lifting braucht … Vielleicht hat es auch was mit dem Binnenverhältnis zu tun. Für junge Bands ist es immer gut, wenn die einen starken Produzenten haben, weil sie sonst leicht auseinanderfliegen im Studio – im Moment der Wahrheit. Da muss man aufpassen. Wenn dann einer da ist, auf den sich alle einigen können, hilft das. Heute ist allerdings das Studio ja eh nicht mehr so angstbefrachtet, weil man auch alles zu Hause aufnehmen könnte, das Studio an sich ist ja heute nicht mehr so furchteinflößend wie früher. Früher hatten wir fünf Tage, und dann war es vorbei. Da brauchten wir jemanden wie Uwe Bauer, der sagte, wo’s langgeht. Bei der zweiten Platte hatten wir zehn Tage im Studio mit John Cale, wir haben uns damals dauernd gestritten, aber der hatte so viel Autorität, dass klar war: Wir machen einfach, was der sagt. Auf seine Kompetenz verlassen wir uns, wie beim Arzt. (Überlegt kurz) Wir haben jetzt natürlich auch ein bisschen getrickst, indem wir unseren Produzenten zum Bassisten gemacht und ihn auf diese Weise ganz reingeholt haben.“

Es gibt bei Element Of Crime Themen, die über die Jahre immer wieder auftauchen – das ist keine Einfallslosigkeit, Wörter hat Regener genug, er wiederholt manche nur einfach gern. Es sind kleine Anker, die sich durch die Alben ziehen und dem, der sie wiedererkennt, das Herz aufgehen lassen: das ­Warten und die See, der Himmel und die Dunkelheit, Haifische, Schweine und Vollidioten. Berlin, wo der gebürtige Bremer Regener seit 1982 lebt, auch. Aber nie so prominent wie auf diesem Album, da kommt die Stadt in fast jedem Song vor. „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“ geht’s an den Kurfürstendamm, Auftritte haben auch das KaDeWe und das Brandenburger Tor, Halensee und die Mauer, Union und Hertha, Grunewald und Prenzlauer Berg. Es gibt „Die Party am Schlesischen Tor“ und „Im Prinzenbad allein“. Das Abschlussstück heißt „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“.

„Delmenhorst verstehen die Leute auch in Wien“

All die Berlin-Bezüge: War das Absicht oder Zufall?
Regener: Es hat sich von Song zu Song ergeben, aber ich habe es mir auch nicht versagt. Warum auch? Songs haben eben oft einen Ort. Manche spielen in New York, manche in Los Angeles. Und unsere manchmal ausgesprochen in Berlin. Auch Bands haben ihre Orte. Die Chili Peppers sind aus L.A., die Beatles aus Liverpool. Na ja, und Element Of Crime eben aus Berlin. Ist kein Verdienst und keine Schande!
Ilja: „Delmenhorst“ verstehen die Leute in München oder Wien ja auch.
Regener: Die Mehrheit der Band, also alle außer mir, war auch noch nie in Delmenhorst. Und ich zuletzt vor 40 Jahren. Diese Orte haben ja auch oft nur eine metaphorische Bedeutung, und manchmal geht es auch nur um den Klang. Das ist ja das Tolle bei Kunst: dass auch das Konkrete allgemeinverständlich ist.

Berlin 2018: Es wird ja viel darüber diskutiert, ob die Stadt noch gut für Künstler ist, wegen der steigenden Mieten, Gentrifizierung und so weiter. Ist das auch ein Thema für euch?
Ilja: Die Diskussion führt jetzt hier vielleicht zu weit, aber natürlich gehen die Veränderungen nicht an einem vorbei. Ich wundere mich ehrlich gesagt, dass das so spät gekommen ist und nicht 1991 direkt losgegangen ist. Dass es noch mal 10, 20 Jahre gedauert hat.
Regener: Weil Berlin die Stadt der armen Schlucker ist, ist halt so. Letztendlich ist es eben so, dass Berlin die wirtschaftsschwächste Großstadt Deutschlands ist, nach Bremerhaven oder was. Aber eine Stadt ist ja auch nicht dazu da, für Künstler gut zu sein. Darauf haben Künstler keinen Anspruch, das sind auch nur Menschen, die haben auch keine besonderen Rechte. Putzfrauen, Krankenpfleger und Büroangestellte würden auch gern weiterhin hier wohnen können … Es war schon immer schwer für Künstler, von der Kunst zu leben. Man muss sich halt durchschlagen. Unser Übungsraum im Spiralkern von dieser Hochgarage war auch nicht schön damals, im Winter schon gar nicht. Aber darauf kommt es nicht so an.

„Der Kurfürstendamm kann überall sein und für jeden etwas anderes. Das ist ja das Schöne.“

Ilja: Die Stadt ist für mich auch nur eine Metapher. Der Kurfürstendamm kann überall sein und für jeden etwas anderes. Das ist ja das Schöne. Es geht ja nicht um Städtetourismus, sondern um Bilder. Da ich in Berlin aufgewachsen bin, höre ich in den Songs wahrscheinlich etwas ganz anderes als du oder als jeder andere. Für mich verbinden sich damit zum Beispiel Kindheitserinnerungen: wie ich als Acht-, Neunjähriger da langgelaufen bin. Das hat nichts mit der Geschichte im Song zu tun – und dieses frei Auslegbare war und ist doch das Schöne an der Kunst.
Regener: Es ist auch noch mal ein Riesenunterschied, weil ich keine Wertung vornehme. Wenn ich singen würde: „Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm“, wäre das eher affirmativ. Aber wenn man sagt: „Und ich geh noch einmal den Kurfürstendamm entlang“, dann ist das eine ganz andere Lakonie, da gibt es ganz andere Assoziationsmöglichkeiten, das macht Spaß. Genau wie „Party am Schlesischen Tor“: Guck dir den Wahnsinn da drüben mal an, das ist ja eine internationale Partyzone geworden. Der Ground Zero des Hipstertourismus. Ein gutes Thema für ein Lied.

Und dann sind da noch die Liebeslieder, schon immer die größte Stärke der Band. Eines haben sie vor der Vergessenheit gerettet: „Immer noch Liebe in mir“ war schon 2016 auf einer limitierten EP („Wenn der Wolf schläft, müssen alle Schafe ruhen“), aber als sie es einige Male live spielten, stellten sie mit Bedauern fest, dass kaum einer es ­kannte. Also wurde es neu aufgenommen. Das bewegendste Stück heißt „Bevor ich dich traf“: „Siehst du den Stein auf der Straße/ Der ist klein, schmutzig und schwer/ Der liegt dort, weil keiner ihn haben will/ Aber auch weil er niemanden stört/ Den wird irgendwann einer werfen/ Gegen wen oder was, ist nicht klar/ Und der Stein wird das erste Mal fliegen/ Und findet das ganz wunderbar/ Das ist ein Bild für mein Leben/ Wie es war, bevor ich dich traf.“

Es gibt für Sven Regener anscheinend keine unsingbaren Wörter – selbst Ungetüme wie „Currywurstrezept“ oder „dinkelschrotversetzte Brote“ klingen bei ihm poetisch. Und dieses Spielerische macht die Band natürlich auch aus, die Fähigkeit zum Quatschmachen bei gleichzeitiger großer Ernsthaftigkeit. Im einen Moment erwischt einen Regener mit Sätzen wie „Die Schere der heimlichen Wünsche/ Schneidet Löcher ins Kleid der Vernunft“, im nächsten bollert er los gegen die grassierende Unsitte, sich selbst für den Mittelpunkt der Welt zu halten und anderen ständig die eigene Meinung aufdrücken zu wollen. Der Missionierungs- und Empörungskultur wird mit „Nimm dir, was du willst (aber nerv mich nicht)“ eine Absage erteilt, in „Ein Brot und eine Tüte“ laut darüber nachgedacht, wie es ist „als der einzige vernünftig denkend eingestellte Mensch/ Zwischen lauter asozialen und total verrohten Vollidioten eingeklemmt“.

Müsst ihr manchmal im Studio selbst lachen bei einigen eurer Zeilen?
Pappik: Absolut! Geht mir bis heute bei einigen Liedern so, dass ich bei manchen Stellen lachen muss oder ein, zwei Wörter mitsinge.
Ilja: Wir sind ja beides, Musiker und Zuhörer.
Regener: Ich freu mich immer wieder über die ­Zeile „Die brauchen da Folklore wie die Junkies ihre Schore“. Und das im Grunewald! Dazu kommt, dass die Junkies mit ihrer Schore ja inzwischen selbst schon Folklore sind. Wenn du mal den Junkie-­Express, die Linie 8, von Gesundbrunnen zum Kottbusser Tor genommen hast, dann weißt du, was ich meine.

Ilja: Früher war’s ab Hallesches. Wenn die engen Hosen kamen. Die ja schuld daran sein sollen, weil die so kneifen, dass man sich betäuben muss.
Regener: Der Spruch ist von Max Goldt: „Heroinsucht ist eine Krankheit, die vom Tragen zu enger Hosen herrührt.“
Ist bei eurer guten Laune auch Fatalismus dabei? Genießen, solange es noch geht? Im Infozettel zu eurer Platte steht, es sei „vielleicht das letzte Mal“.
Regener: Wenn man nur alle vier, fünf Jahre eine Platte macht, weiß ja man nicht, wie sich das nächstes Mal darstellt. Wobei ich schon glaube, dass das Albumformat, solange es Bands gibt wie uns, wahrscheinlich weiter existieren wird. Dass es nicht nur Streaming geben wird, denn dann ­wäre das Albumformat ja eher tot oder jedenfalls marginal. Das ist ja doch eher ein One-Track-Business, da nehmen Leute einen Song in ihre eigene Playlist auf, und das war’s. Dann ist es nicht so wichtig, ob du drei Songs oder zehn veröffentlichst, und man würde eher einzelne Songs sukzessive veröffentlichen. Insofern hatten wir diesmal auch einfach Freude daran, dass die Songs so lang waren und wir so viel damit machen konnten und dass die so viel Text hatten und so viele Ideen und dass die dann am Ende alle so gut zusammenpassten, also an dem Albumding irgendwie.

„Nicht die höchsten Streamingzahlen? Ist doch wurscht“

War früher alles besser im Musikgeschäft – oder war es nur anders schlecht?
Regener: Ich würde nie sagen, dass früher alles besser war. Dafür habe ich ein viel zu gutes Gedächtnis. Es gibt jetzt halt neue Herausforderungen. Es gibt bei Veränderungen ja meistens Gewinne und Verluste. Am Ende ist es aber egal – wir müssen mit dem umgehen, wie es ist. Früher waren wir nicht in der „ZDF-Hitparade“, heute haben wir nicht die höchsten Streamingzahlen. Ist doch wurscht.

Euer neues Album wird erst ab April 2019 streambar sein, der Katalog ist nach langem Warten jetzt allerdings verfügbar. Warum?
Regener: Wir haben uns mit der Plattenfirma beim Katalog endlich einigen können, das war das größte Hindernis. Wie die Anteile sind. Sonst braucht man es gar nicht zu machen, wir hatten da ja auch keinen großen Druck. Der Katalog ist durchaus ­eine Goldgrube für die großen Plattenfirmen. Der ganze Kram, der sich schon zehnmal bezahlt gemacht hat, wird jetzt da reingestellt, und die Anteile, die die Musiker bekommen, sind so gering, weil das in den alten Verträgen gar nicht vorgesehen war und dann irgendwie umgemünzt wurde. Bei uns ging das nicht, weil wir rechtzeitig einen Extra­satz reingeschrieben hatten, dass diese Art von Verwertung zustimmungspflichtig ist. Sonst kommst du nämlich auf 0,05 Cent pro Stream oder so. Das ist dann wirklich Enteignung.
Ilja: Die Annahme, dass die Industrie wegen des Streamings sterben wird, stimmt deshalb auch einfach nicht. Es haben sich die Bedingungen für Musikschaffende verändert und werden sich noch mehr verändern, aber die Industrie, die so viele Produkte und Autorenrechte besitzt, wird weiter existieren.
Regener: Es werden gigantische Berge von Musikrechten erworben von Investorenfonds, die sich nur für die Verzinsung interessieren. Das ist für eine amerikanische Pensionskasse sicher attraktiv, dagegen ist auch nichts zu sagen, die Pensionsgelder von irgendwelchen Automobil-­Arbeitern wollen ja auch verzinst sein. Bloß: Das Problem ist, wenn die Musiker nichts abbekommen. Und wenn das dazu führt, dass nichts Neues mehr produziert wird … Denn für die paar Zehntel Cent kannst du eigentlich keine neue Platte mehr machen.

Habt ihr euch deshalb entschieden, das neue Album erst später zum Streamen freizugeben?
Regener: Ich sehe das auch mit der Erfahrung aus dem Literaturbetrieb: Das Taschenbuch kommt eben erst ein Jahr später. Wenn du dir also das Geld sparen und dir das Album nicht die zehn Euro zumindest für einen Bundle-Download wert ist, dann wartest du halt ein halbes Jahr. Sollte man dann aushalten können. Das Schönste an der Album­sache war doch immer auch, dass man sich als Fan committed hat. Ich bin damals mit zwölf hingegangen und habe mir das Doppelalbum von Insterburg & Co. gekauft, weil ich die gut fand. Das ist durch nichts aufzuwiegen. Das ist was ganz anderes, als zu sagen: „Das Lied mit der schönen Bäckerin tue ich in meine Playlist.“ Das ist ja auch kein ­sexy Gedanke für einen Musiker: einem Pool aus 20 Millionen Songs zehn neue hinzuzufügen. Schöner ist es, ein Album zu machen für Leute, die diese Art von Musik mögen und sich dafür entscheiden und das kaufen.

Es gibt auch eine gute Seite daran: Die Schwelle, Musik aufzunehmen, ist niedriger. Es gibt simple Programme, die funktionieren. Aber wie geht es dann weiter, wenn der Akteur Plattenfirma auf Dauer ausfällt bei der Produktion von Rockmusik, die ja hier unser engeres Themenfeld ist? Wenn durch das Streaming für die nichts mehr zu kriegen ist? Wir sehen ja schon das Sterben der Indie-­Labels. Es ist ja wahnsinnig schwer, überhaupt noch was Neues rauszubringen, und wir sehen, dass es für aufregende neue Musiker schwer wird. Trotzdem entsteht noch tolle neue Musik – aber wie kann sie zu den Leuten durchdringen, die sich dafür interessieren? Wir haben das Formatradio, wir haben das Fernsehen, wir haben Streamingplattformen. Wie sind die Wege für Musik abseits vom Mainstream? Ich bin für Kulturpessimismus nicht zu haben, aber das müssen wir beobachten.

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Wie lange plant ihr denn momentan voraus?
Regener: Immer bis zur nächsten Wand!

Aber eine Tournee im Mai 2019 steht ja schon ungefähr, danach gibt es sicher noch Festivals. Ganz ohne Planung geht es nicht mehr, oder?
Regener: Ja, leider. Das nervt, denn ich will eigentlich gar nicht wissen, was ich in zwei Jahren mache. Du musst aber inzwischen die Hallen optionieren für eine Tournee zu einer Platte, deren ersten Song du noch gar nicht geschrieben hast. Das ist schon hart. Doch Option ist nur Option. Wir gehen davon aus, dass es klappt – aber …
Ilja: Die Gewissheit gibt es nicht. Das mag sich für Außenstehende seltsam anhören bei einer Band, die es seit mehr als 30 Jahren gibt, aber ich kann nur sagen: Man weiß es nie.
Regener: Man will sich auch nichts aus den Rippen schneiden, wenn man gerade nicht inspiriert ist. Man muss sich genügend Zeit geben.
Apropos Zeit, hat die Band – bei all euren Nebentätig­keiten – immer Priorität, oder …
Alle (sofort): Ja!
Ilja: Das geht auch gar nicht anders, sonst käme man in Teufels Küche.
Regener: Das Wichtigste ist, glaube ich: Wir machen keine Soloalben. Ein Band, bei der Leute Solo­alben machen, balanciert oft schon am Rande des Abgrunds. Vor allem wenn der Sänger eins macht. Ganz schlecht! Daran ist nichts Gutes, das hat Benjamin von Stuckrad-Barre in „Soloalbum“ sehr schön beschrieben. Es gibt nichts Traurigeres als die Band, deren Sänger ein Soloalbum macht. Entweder hat die sich schon aufgelöst, oder sie wird sich demnächst auflösen – das weiß man einfach. Bei uns macht das keiner. Wir machen zwar alle auch andere Sachen, aber die stehen nicht in Konkurrenz zur Band. Das ist wichtig.

Könntest du ohne die Band denn überhaupt ein Album machen?
Regener: Es geht ja nicht um die Frage, ob man ­ohne die Band kann, sondern ob man will. Jeder, der einigermaßen berühmt ist, kann Leute finden, die ihm Songs schreiben und bei ihm mitspielen. Aber wenn man der Meinung ist, dass es nichts Besseres gibt als diese Band, in der man nun mal einer von mehreren ist und nicht der Boss, warum sollte man das dann machen? Darum geht es: dass es nichts Besseres gibt! Dann ist man Mitglied einer richtigen Band, nicht eines verkappten Soloprojektes. Man hat nur eine richtige Band im Leben. Man ist nur einmal bei den Beatles – die Wings können das nicht ersetzen. Wenn diese eine Band vorbei ist, dann war’s das.

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