Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Anfang vom Ende

Erinnerungen an das Pop-Niemandsland des Jahres 2000, „Teenage Dirtbag“ von Wheatus und eine Preis-verleihung mit Nelly Furtado und Missy Elliott

Folge 213

Im Januar des Säkularjahres 2000, vor gut 20 Jahren also, wurde ein Jahrtausend verabschiedet. Wir hatten noch einmal Prince aufgelegt und versucht, so zu tanzen, als wäre es 1999. Das Problem: Es war tatsächlich noch 1999. Am nächsten Morgen durfte man erst einmal beruhigt feststellen, dass alle Computer noch liefen. Aufatmen. Dann konnte es losgehen. Yippie! Ich bezweifle hier einfach mal, dass das Pop-Jahr 2000 irgendjemandes musikalische Lieblingsära ist. Es war ein Jahr des Luftschnappens:

Wir hatten New Metal, TripHop und so komische Sachen wie Jamiroquai überlebt und ahnten noch nicht, dass das nächste Jahrzehnt im Zeichen röhrenhosiger New-Wave-Wiedergänger stehen würde. So lungerte man leicht verkatert, aber angenehm ahnungslos an der Abschussrampe in die Nullerjahre herum, die damals natürlich noch nicht so hießen. Viele Menschen begannen sich mehr für CD-Rohlinge als für CDs zu interessieren. Die im Sommer vor 20 Jahren veröffentlichten Alben waren zum Großteil aber auch uninteressant. In der Rückschau darf man sich immerhin an einem „Worst of“ der 90er-Jahre-Albumgestaltung laben: Die meisten Plattencover sehen aus heutiger Per spek-tive aus wie Dorfdisco-Flyer für Best-of-the Nineties-Parties.

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Aber Spott über Vergangenes ist bekanntlich billig.Auf einer Rückfahrt aus dem Urlaub hörte ich im August 2000 erstmals Madonnas „Music“ und Robbie Williams’ „Rock DJ“, zwei Songs, die den Pop-Sound jener Ära am knalligsten in das Format postmoderner Hits überführten. Beide Lieder handelten von der Wirkungsmacht der Musik. Wenn mir heute auf langen Autofahrten „Music“ begegnet, freue ich mich; bei „Rock DJ“ drehe ich weiter. Es soll aber noch an ein anderes Erfolgslied erinnert werden: eines, das im August 2000 eine amerikanische Post-Grunge-Band zum One-Hit-Wonder machte.Am 17. Juli veröffentlichte die Band Wheatus als Vorabsingle ihres namenlosen Albums die Single „Teenage Dirtbag“. Das Stück handelt von einem Jugendlichen der 80er-Jahre, dem titelgebenden pubertierenden Drecksbeutel nämlich, der aufgrund seiner Vorliebe für Heavy Metal Stigmatisierung als Außenseiter erfährt. Hintergrund des Lieds ist die Geschichte des jugendlichen Killers Ricky Kasso (alias „The Acid King“), der im Sommer 1984 unter LSD-Einfluss einen Freund ermordete.

Bei der Tat trug Kasso ein AC/DC-T-Shirt. Wie „Music“ und „Rock DJ“ ist „Teenage Dirtbag“ ein Lied über die Strahlkraft der Popkultur. Wheatus gelang es, den Song auf dem Soundtrack der Filmkomödie „Loser“ mit Jason Biggs und Mena Suvari unterzubringen. Nicht unbedingt eine cineastische Perle, für die sich langes Aufbleiben lohnen würde. Auch im „Teenage Dirt-bag“-Video sind Biggs und Suvari zu sehen. Ich mochte den Wheatus-Song nicht, in meinen Ohren war das Weezer für Fußgänger, und die Leise-Strophe/Powerrefrain-Dynamik des Stücks schien mir schon damals ausgereizt. In Deutschland und Großbritannien kam der Song bis auf Platz 2, in Österreich erreichte die Band gar die Spitze der Charts. „Teenage Dirtbag“ war allgegenwärtig, vor allem wenn man damals wie Ihr ergebener Autor für einen deutschen Musikfernsehsender tätig war. 2001 wurde Wheatus von VIVA der Comet in der Kategorie „Newcomer“ verliehen – da war eigentlich bereits klar, dass es sich bei der Band um ein One-Hit-Wonder handelte.

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Weitere Cometen gingen an die No Angels (Act national), Travis (Rock), Him (Viva Zwei Zuschauercomet), Missy Elliott (Video international), West-life (Zuschauer) und Westernhagen (Video national). In der kryptischen Kategorie „Online“ siegte Geri Halliwell. Ich war als Gästebetreuer für Nelly Furtado zuständig, die sehr freundlich war. Die schönste Erinnerung habe ich an Missy Elliott, die sich rührenderweise so sehr über ihren Preis freute, dass sie ihn sorglos in die Luft warf, aber nicht wieder auffangen konnte. Es wurde ein Ersatz-Comet in die USA geschickt. Im August 2000 handelten also drei Hits von Pop. Es war ein selbstreferenzieller Sommer im Niemandsland zwischen Neunziger-Quietschigkeit und Nullerjahre-Krisengejammer. Möglicherweise der Anfang vom Ende.

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