Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Charts statt CDs

Wie eine Urlaubsfahrt zur Endeckungsreise durch die neuesten Radio-Hits wurde

Folge 120

Sommerurlaube sind als heikel zu betrachten. Ich muss es wissen, ich komme gerade aus einem. Vor allem für popmusikalisch recht festgefahrene Menschen mit frühadoleszenten weiblichen Mitfahrern können Reisen in den Urlaub enorme Herausforderungen bergen. Kaum hat der Fahrer die CD mit der schönen selbst zusammengestellten Playlist „Todessehnsüchtiger Outlaw-Country, Vol. 1“ in den Player des Autos geschoben, tönt es schon von hinten: „FAIL! AUSMACHEN! LANGWEILIG!“ Auch die Best-of-Joe-Henry-Compilation wird nicht gut angenommen. Stattdessen ergeht die Forderung, gefälligst während der Fahrt durch die aktuellen Radiorotationen zu schalten.

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Und so begegnete Ihr ergebener Chronist in diesem Sommer unter anderem den folgenden Künstlern: Bebe Rexha, Kungs, DNCE, Fifth Harmony und – natürlich – Ariana Grande. Der Reihe nach: Bebe Rexha (27) ist eine Songwriterin und Sängerin aus New York, die – so ist das nun mal bei dieser Sorte Musikerin – schon im Alter von vier Jahren auf Musicalbühnen herumtaperte. Mit 15 gewann sie einen Best Teen Songwriter Award, einen Preis, von dessen Existenz ich bislang nicht wusste: Das Bild amerikanischer Ausbildungscamps für songschreibende Teenager, die unentwegt riesige Kaugummiblasen über ihren Songschreiber-Notenblättern platzen lassen: Ich kriege es einfach nicht mehr aus dem Kopf.

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Aus der Asche der Jonas Brothers

Bebe Rexhas Song „I Can’t Stop Drinking About You“ hätte sich freilich auch auf meiner CD mit todessehnsüchtigem Outlaw-Country finden können. Kungs wiederum ist der französische Deep-House-DJ Valentin Brunel. Brunel begann als Djembé-Trommler. Ich habe in den letzten Wochen einige Male bedauert, dass er nicht bei diesem ehrbaren Handwerk geblieben ist. DNCE hingegen, erst 2015 gegründet, ist so etwas wie eine Popband, die aus der Asche der Jonas Brothers hervorging. Ich würde ja behaupten, die Band sei ein klassisches Castingprojekt, aber heute casten sich Bands ja meist selbst. Stilistisch geht es in Richtung Maroon 5 für Fußgänger. Auch bei Fifth Harmony handelt es sich um ein Gruppengebilde. Die fünfköpfige Girlgroup ging aus der TV-Show „The X Factor“ hervor und ist bereits seit 2012 aktiv. Die aktuelle Single krönt – neben einem Saxofonsample – ein Auftritt des Rappers Kid Ink, dessen Markenzeichen seine 27 Tätowierungen sind. Zu seinen Lieblingstätowierungen zählen die Porträts von Mutter und Opa, die beide auf des Rappers Brust prangen.

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Der unangefochtene Riesensuperpowerspitzenstar dieser Tage aber ist die italienischstämmige Sängerin Ariana Grande, die, wie ich eben mit Bestürzung lese, nicht mehr mit dem Tänzer Ricky Alvarez liiert ist und alle gemeinsamen Instagram-Fotos gelöscht hat. Bummer! Grande ist erfolgreicher als Madonna und Michael Jackson zusammen. Das stimmt zwar nicht, ich behaupte es dennoch an dieser Stelle, um anderen ahnungslosen Death-Country-Fans das Ausmaß ihres Superstar-Status klarzumachen. Im Gegensatz zu Kid Ink lässt sie sich nicht tätowieren, damit sie möglichst viel Blut spenden kann. Ach Quatsch, das war ja gar nicht Ariana Grande, das war Norbert Blüm!

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Nun ist der Urlaub vorbei. Ich weiß gar nicht, wo die doofe CD mit dem todessehnsüchtigen Outlaw-Country hin ist. Und ganz ehrlich, ich mag jedes der genannten Stücke. Mehr jedenfalls als die komplette letzte Radiohead-Platte. Betrachten Sie die obigen armseligen Spitzen gegen erfolgreiche zeitgenössische Musiker bitte als Zeichen meiner Hilflosigkeit, mit dem Älterwerden und der damit einhergehenden Pop-Entfremdung umzugehen. Tun Sie sich einen Gefallen und tanzen auch Sie zu den Klängen von DNCE, Kungs, Bebe Rexha und ihren Freunden durch den Herbst! Sie werden wieder jung werden!

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