Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Ein Dandy im Exil

Drei verblüffende Platten-Entdeckungen bei einem künstlerischen Abendessen mit Freunden

Folge 185

Die schönsten Begegnungen mit bislang unbekannter Musik finden ja nach wie vor nicht im Internet statt, sondern in Clubs, Kneipen oder den Wohnzimmern von Freunden und Bekannten. Neulich war ich bei einem befreundeten Paar zum Abendessen eingeladen. Hier wurden mir im Laufe des Abends drei faszinierende Platten präsentiert, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, die aber alle drei bis heute nachwirken. Es liefen wohl auch noch andere Alben, aber diese drei sind hängen geblieben.

Mehr zum Thema
Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Song To Bobby

Album Nummer eins war eine in diesem Frühjahr veröffentlichte Zusammenstellung namens „Mazouni, A Dandy in Exile“. Sollten Sie sich diesen Sommer nur ein Album kaufen: Lassen Sie es dieses sein! Mazouni, ein gebürtiger Algerier, ging unter dem Eindruck der politischen Verhärtung seines Heimatlandes 1969 nach Paris, mit dem erklärten Ziel, innerhalb der Einwanderer-Community ein kleiner Popstar zu werden. An Live-Auftritten eher uninteressiert, veröffentlichte der Mann aus Blida, „der Stadt der Rosen“, während seiner aktiven Zeit ausschließlich Singles, die hier erstmals gebündelt und mit einem ausnehmend schönen Cover versehen vorliegen. Die Songs schlagen eine Brücke zwischen der traditionellen Musik Algeriens und dem damals in Frankreich beliebten Yéyé-Sound: Wildes Herumklöppeln auf arabischen Trommeln und das muntere Spiel von Langhalslauten und orientalischen Zithern treffen auf hochgradig ansteckende Melodien und den sonoren Gesang des selbstbewussten Dandys. Spitzenplatte! Wir mussten erstmal Pastis trinken.

Gestelzte Sprechtexte

Danach boten die Gastgeber ein formvollendetes Kontrastprogramm und brachten ein Album zu Gehör, das die Fernsehmoderatorin Birgit Schrowange 1986 mit einem gewissen Werner Magnus veröffentlichte. Es heißt „Fragen“ und klingt exakt so, wie man sich ein Birgit-Schrowange-­Album mit dem Namen „Fragen“ vorstellt: Zu klinisch tönendem Achtziger-Backing trägt die ehemalige TV-Moderatorin und Schauspielerin gestelzte Sprechtexte vor. Der verstorbene Mime Horst Frank hat ­Ende der 70er-Jahre ähnliche Platten gemacht, auf denen er in bedeutungsschwangerem Ton bohrende Fragen des bundesrepublikanischen Alltags verhandelte. Fragen wie: „Wo sind die Mädchen?“ Die Schrowange nun legt den Finger ebenfalls in die klaffende zwischenmenschliche Wunde. Doch projiziert sie nicht auf irgendwelche Sehnsuchtswesen – hier wird aufs Sensibelste das Themenfeld des alltäglichen Geschlechterkonflikts beackert: „Verstehen/ Einander verstehen und sich aussprechen können/ Das ist doch ein wichtiger Teil einer Beziehung!“, insistiert sie zum alleinunterhalterisch klimpernden Bar-Piano. Die Abwesenheit von tatsächlichem Gesang wird von Schrowanges musikalischem Partner Werner Magnus mehr als wettgemacht: Die Hälfte des Albums füllt der mir unbekannte Künstler mit ambitioniert geschmetterten Liedern, die Titel wie „Maybe“ oder „Thinking Of You“ tragen und den Eindruck erwecken, als handelte es sich um Ausschussware eines Tier-Musicals. Ich wusste gar nicht, was ich zu dieser Musik trinken sollte.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Um die Stimmung wieder in sicheres Fahrwasser zu bekommen und der Schrowange-Platte etwas Seriöses entgegenzusetzen, drückten mir die Gastgeber jetzt ein Album des flämischen Dichters, Regisseurs und Musikers Patrick Conrad in die Hand, auf dessen Booklet „Echo’s van scheurende schaamlippen“ stand. Zum Glück waren, als sich die Nadel herniedersenkte, nicht die Echos scheuernder Schamlippen zu vernehmen, sondern ein Lied, das sich anhörte wie die flämische Antwort auf Syd Barrett. Das Schamlippen-Album stammt aus dem Jahr 1973 und trägt den Titel „Gelukkig Als In Het Bijzijn Van Een Vrouw“ („Glücklich wie im Beisein einer Frau“) und wurde vor ein paar Jahren wiederveröffentlicht. Die ausgedehnten Spoken-Word-Passagen auf dem Album klingen wie ein LSD-Vorfall im Cockpit eines belgischen Trashfilm-Raumschiffs. Wir tranken dann alles leer und nahmen noch etwas LSD.

Ich freue mich schon auf die nächste Essenseinladung bei meinen Freunden.

 

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates