Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Lieblingsalben aus 1001 Nacht

Über Alben, die unser Kolumnist abseits jeglicher Kanonisierung bedingungslos liebt – die aber nicht tagaus, tagein im Kontext irgendwelcher Listen und Lobpreisungen auftauchen.

Folge 198

Willkommen zu einer neuen Sub-Rubrik des Pop-Tagebuchs – der schon jetzt überall beliebten Reihe „Lieblingsalben aus 1001 Nacht“. In loser Reihenfolge soll es hier um Alben gehen, die ich jenseits jeglicher Kanonisierung bedingungslos liebe, die aber nicht tagaus tagein im Kontext irgendwelcher Listen und Lobpreisungen auftauchen. Anbei die ersten drei; viel Freude beim Lesen und Nachhören!

Violent Femmes – Hallowed Ground (1984)

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Gepriesen wird meist das Debütalbum der einstigen Straßenmusiker aus Milwaukee. Ich persönlich liebe die auf „Hallowed Ground“ gehaltenen Exerzitien in Southern Gothic noch um einiges mehr. Die teenage angst des Debüts ist auf dem zweiten Album der Violent Femmes einem dunklen alttestamentarischen Ton gewichen: Sänger Gordon Gano klingt hier ein ums andere Mal wie ein hochgradig paranoider Bible-Belt-Lou-Reed, der sich in Lumpen durch das Jammertal irdischer Sündhaftigkeit schleppt. Anders als Reed aber weiß Gano den Herrn an seiner Seite. Zu Beginn des Titelsongs zitiert der Sänger das Buch Hosea: „ The prophet is a fool / The spiritual man is mad / For the multitude of thy iniquity / And the great hatred …“.

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Viele Hörer vermuteten bei Veröffentlichung des Albums Ironiker am Werk, aber Texter Gordon Gano war es verdammt Ernst mit Lord, Tod und Teufel. Gleich im eröffnenden „Country Death Song“ wird es zappenduster: Ein Vater ertränkt seine Tochter im Brunnen; der karge Country, den die Violent Femmes dazu spielen, klingt, als wären ihre Instrumente aus Knochen zusammengeleimt.

Völlig genial ist das siebenminütige exorzistische „Never Tell“, das sich höher und höher schaukelt, dann in sich zusammensackt, um am Schluss zu explodieren. Prä-Americana und Avantgarde sagen sich hier gute Nacht, Gordon Gano singt, als hätte ihn der Teufel getauft, und der Bass treibt Sachen, die man nicht für möglich halten sollte. Hallelujah!

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Die biblische Düsternis und der religiöse Bekenntnisdrang des Autoren sind auch in den vermeintlich heiteren Stücken des Albums allgegenwärtig – natürlich in „Jesus Walking on the Water“, aber auch im psychotischen, von John Zorns Saxophon durchschrillten „Black Girls“, in dem Gano maunzt: „ You know I love the Lord of hosts / The Father, Son, and the Holy Ghost / I was so pleased to learn that he’s inside me / In my time of trouble he will hide me“.

Interessanterweise wurde „Hallowed Ground“ noch vor der Veröffentlichung des berühmten Sturm-und-Drang-Debüts aufgenommen, die Angabe auf der Rückseite des Covers, der zufolge die Platte 1984 produziert wurde, ist vorsätzliche Irreführung. Während „Hallowed Ground“ von der Kritik gelobt wurde, waren viele Fans weniger begeistert von dem religiösen Furor der Stücke. 1985 folgte „The Blind Leading the Naked“, auf dem der Sound der Band von einer allzu zeittypischen Produktion kompromittiert wurde.

The Monochrome Set – „Volume, Contrast, Brilliance…“ (1983)

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Bei der vorliegenden Platte der Pop-Exzentriker The Monochrome Set handelt es sich um eine Zusammenstellung diverser Singles und Radio-Sessions. Erstanden habe ich „Volume …“ 1985 zum Zeitpunkt meiner Fan-Werdung für drei Mark irgendwas im großen Saturn-Gebäude am Kölner Hansaring, das dieser Tage seine Pforten schließt. Kurz zuvor hatte ich die Band mit ihrem Album „The Lost Weekend“ kennengelernt, das ich an dieser Stelle für die alleinige Umkrempelung meines Musikgeschmacks im selben Jahr verantwortlich machen möchte.

The Monochrome Set, 1978 in London gegründet, warfen in ihrer Glanzzeit Art-School-Attitüde, Psychedelia und Post-Punk zusammen und sahen dabei aus, als hätte Jean-Luc Godard eine New Wave-Band gecastet. Ihre Früh-Achtziger-Alben, allen voran „Love Zombies“ (1981) und „Eligible Bachelors“ (1982), sind in ihrer Mischung aus Bizarrerie, Catchyness und Stilsicherheit nicht genug zu preisen und dürfen bedenkenlos zwischen Orange Juice, den Soft Boys und The Jazz Butcher einsortiert werden. Gerne wird vom Einfluss der Band auf The Smiths und Franz Ferdinand berichtet.

Auf der vorliegenden Zusammenstellung hörte ich erstmals einige der besten Monochrome Set-Stücke: den grandiosen Popsong „The Jet Set Junta“, die faszinierende Single „Eine Symphonie des Grauens“ oder das lässige „He’s Frank (Slight Return)“, das tatsächlich klingt wie alles, was Franz Ferdinand je sein wollten. Zwischendurch stellt John Peel die Band vor und beklagt irgendwelche nicht funktionierenden Studio-Gerätschaften; ein anderer Moderator will wissen, ob Sänger Bid tatsächlich von indischen Königinnen und Prinzen abstamme.

„Volume, Contrast, Brilliance…“, das vor einiger Zeit vom Hamburger Label Tapete wiederveröffentlicht wurde, enthält in seiner originalen Vinyl-Version 14 funkensprühende Popsongs, die in Schärfe, Stilbewusstsein und Witz kaum zu überbieten sind. Ab Mitte der Achtziger verflachte der Ansatz der Band ein wenig. 2012 kam es schließlich zur Wiedervereinigung, seither erschienen vier teilweise sehr gute Alben.

The Flaming Lips – In A Priest Driven Ambulance (1990)

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„In A Priest Driven Ambulance“ markiert einen Wendepunkt in der Karriere von Oklahomas irrster Psychedelic-Band. Zum einen, weil man hier erstmals mit dem genialen Produzenten und Sound-Dekonstruktivisten Dave Fridmann zusammenarbeitete. Zum anderen, weil die Flaming Lips das schülerbandhafte Geschrubbel vergangener Tage hinter sich ließen, um sich hier als Acid-Rock-Monsterband des Indie-Rock-Zeitalters neuzuerfinden: Es geht vorrangig um schwarze Sonnenbrillen, Jesus-Referenzen, Fischaugenfotos und ferne Planeten. Dazu wird auf allen Effektpedalen gleichzeitig stehender Höhlenmenschenrock gespielt, gegen den alle anderen mit dem Begriff „Psychedelic“ kokettierenden Bands wie Philipp-Amthor-Ehrerbietungsvereine wirken müssen. Das alles funktioniert natürlich nur deswegen so gut, weil die Flaming Lips diesmal grandioses Songmaterial hatten, auf dessen Basis diese Studien in weißem Rauschen und Soundzerlegung erst funktionieren konnten. Zudem verfügte man mit Wayne Coyne über einen Sänger, dem schnurzegal war, wie viele Töne er tatsächlich traf. Es war allein die Beherztheit des Vortrags, die zählte. Man höre sich nur das eröffnende „Shine On Sweet Jesus – Jesus Song No. 5“ an: Böse Klangwolken ziehen auf, Höhlenmenschen-Drumming setzt ein, aus außerplanetarischen Vulkanen schießt floureszierende Soundlava. Dann tritt Coyne auf und krakeelt sich um Kopf und Kragen, unterstützt von einer tief gepitchten zweiten Stimme, die sich wie ein Muppet-Monster auf LSD anhört. Wer hier nicht vor ungläubiger Freude flunderflach auf dem Boden liegt, bekommt von mir kein LSD mehr angeboten.

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Angeblich brachte die Band ihren Produzenten während der Aufnahmen zur Weißglut, indem sie ihm unentwegt einen hochgradig übersteuerten Live-Mitschnitt eines Nirvana-Konzerts als Sound-Referenz vorspielte. Tatsächlich hat der ebenso wuchtige wie pappige Klang dieser Platte nichts mit anderen Indie-Veröffentlichungen jener Ära zu tun und diente als Blaupause für weitere Reisen der Band in parallele Klangwelten. „In A Priest Driven Ambulance“ (der Titel!) ist bester existenzialistischer Noise-Bubblegum-Rock, der Spacemen 3, die 39 Clocks, Velvet Underground, Neil Young, My Bloody Valentine und The Who zusammendenkt. Im Weltall. Sonderbarerweise wurde die Band nach diesem Album von Warner unter Vertrag genommen, wo 1992 das nicht minder tolle Werk „Hit to Death in the Future Head“ erschien.

Soviel für heute. Demnächst setzt es im Pop-Tagebuch mehr Lieblingsalben aus 1001 Nacht. Außerdem sei die Etablierung weiterer Sub-Reihen angekündigt, darunter „Fürchterliche Mainstream-Alben revisited“, „Perlen des Achtziger-Deutschrock“ und „Sternschnuppen des Kuh-Punk“. Watch out!

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