Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Non Stop Midwood in Worpswede

Pop-Tagebuch on the road: Unser Kolumnist tourt derzeit mit Erdmöbel durch das Land. Als allabendlicher Support-Act der Gruppe bringt er Frauenaugen zum Leuchten.

Folge 99

Dies ist die 99. Ausgabe des Pop-Tagebuchs beim ROLLING STONE. Ich stehe, was den nächsten Eintrag angeht, mithin unter einem gewissen Jubiläumsdruck. Wie damit umgehen? Soll ich die Sache einfach übergehen und stattdessen über Xavier Naidoo, Weihnachtsmusik oder David Bowie schreiben? Die Folge überspringen? Den Hinterausgang nehmen und ins Ausland flüchten? Oder doch eine große Jubiläumsfolge verfassen und darin teure Stereoanlagen, Geräte zum Trainieren bislang gänzlich unerforschter Muskelgruppen oder weite Teile meiner Plattensammlung verlosen? Ich werde darüber noch weiter meditieren müssen.

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Um diesen Text mit ein wenig Glamour auszustatten, sei angeführt, dass ich diese Zeilen im Tourbus verfasse. Gemeinsam mit der weltberühmten Weihnachtsband Erdmöbel reise ich derzeit durchs Land und bemühe mich allabendlich als Support-Act der Gruppe landauf landab Frauenaugen zum Leuchten zu bringen. Gestern waren wir in der Music Hall zu Worpswede, wo ansonsten bevorzugt Veteranen wie die Edgar Broughton Band, The Soft Machine Legacy, Anne Haigis und, äh, Karl Dall zu Gast sind. Zudem eindeutig der Club, in dem es die faszinierendste Backstage-Toilette des Landes zu besichtigen gibt, aber das ist eine andere Geschichte (vielleicht ein würdiges Thema für die Jubiläumsfolge?).

Lieber möchte ich kurz von meinem Mitwirken im letzten Weihnachtsvideo von Erdmöbel berichten. „Non Stop Christmas“ heißt das Stück, und ein derart benanntes Lied verlangt natürlich nach einer zünftigen James-Last-Referenz. Und so kam es, dass die Band mit der Bitte an mich herantrat, im Clip doch den Geist des kürzlich verschiedenen Bandleaders zu spielen. Durchsichtig natürlich, wie das bei Geistern eben nun mal so ist. Da James Last im musikalischen Kosmos meiner Eltern während der sogenannten Siebziger Jahre eine nicht unbedeutende Rolle spielte und mit seinen „Non Stop Dancing“-Platten im Partykeller meiner Familie etliche Male für brennende Plateausohlen gesorgt haben dürfte, nahm ich die Offerte gerne an.
Flugs wurde eine entsprechende Perücke besorgt und im lokalen Kostümhandel ein cremefarbener Dreiteiler erstanden, in dem sich der gute James vor vierzig Jahren sicher pudelwohl gefühlt hätte. Auch der eigentliche Dreh verlief gewinnbringend, so dass bald eine Special-Effects-Firma sich daran machen konnte, mich durchsichtig erscheinen zu lassen.
Das Endergebnis ist im Netz zu bestaunen, sorgt für fortgeschrittene Weihnachtsstimmung und ist ansonsten dazu geeignet, meinen Ruf auf Jahre zu ruinieren. Aber, mein Gott: Wenn Karl Dall so gedacht hätte, wäre die hiesige Kulturlandschaft um einige Unterhaltungstiefpunkte ärmer. Getrübt wird die freudige Stimmung einzig dadurch, dass es mir bislang nicht gelungen ist, auch bei meinen Vorgruppenshows (nicht im James-Last-Outfit, wie ich hier mit Nachdruck betonen möchte!) durchsichtig zu sein. Das hätte mir wirklich etwas bedeutet. Aber obwohl wir mit einigen der gewieftesten Bühnentechniker durchs Land touren, wollte uns dieser Effekt bislang nicht glücken.
Ich habe James Last übrigens vor ein paar Jahren mal live in der durch und durch fürchterlichen Kölner Lanxess Arena gesehen. Es war sehr schön: Der mächtige Happy-Sound schmetterte ungebremst durchs Rund, Polonäsen bohrten sich durch die Stuhlreihen, und Käpt’n James selbst tätschelte unter unablässigem Fingerschnippen auf dem Bühnenrand sitzenden Kindern beiläufig den Kopf. Es war besser als bei Muse oder Radiohead.

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In Tourbussen geht es übrigens genau so zu, wie man sich das vorstellt: Es wird dauernd irgendwas gegessen, man diskutiert über die angemessene Einstellung der Heizung, einer hat Magendarm, ein anderer hustet plötzlich auffallend stark, wieder ein anderer lacht ständig unpassend, weil er eine lustige neue Netflix-Serie schaut. Anders als bei der Edgar Broughton Band, Muse oder Karl Dall werden bei uns allerdings keine Drogen genommen (bislang). Immerhin wurde schon mal über Drogen diskutiert, wenngleich das Gespräch rasch versuppte, da sich bald interessantere Themen (die Heizung im Bus) aufdrängten.

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Mein Lieblingsdetail in Noah Baumbachs Film „While We Were Young“: Das spießige Freundespaar, dessen Leben sich nur noch um das neugeborene Kind dreht, hört Wilco.

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Wenn ich alleine toure, steht mir kein komfortabler Tourbus zur Verfügung. Ich reise stets mit meinem roten VW Lupo, auch wenn mich der Zustand der Kupplung ein wenig melancholisch stimmt. Neulich fuhr ich ausnahmsweise mal mit einem Freund zu einem Auftritt. Dieser Freund gebot über eine beeindruckende Musikauswahl im Wagen und machte mich mit einem mir bislang gänzlich unbekannten Musiker bekannt, den ich seitdem fast ausschließlich höre.
Ramsay Midwood heißt der Mann. Seine Alben tragen anbetungswürdige Titel wie „Shootout at the OK Chinese Restaurant“ oder „Larry Buys a Lighter“. Man sollte die Platten alleine wegen ihrer Namen tagtäglich anbeten und mit Freunden umtanzen. Midwood selbst beschreibt seine Musik als „Psychedelic Country Blues“ und hat damit vermutlich vollkommen recht, wenngleich ich dazu rate, das Wort „Psychedelic“ hier nicht allzu wichtig zu nehmen, bezieht es sich doch wohl vornehmlich auf die recht surrealen Texte. Midwood, ein in Austin, Texas ansässiger Typ vom Schlage Kauz, macht auf den oben genannten beim deutschen Indie Glitterhouse erschienenen Alben hoffnungslos konservative, dabei aber stets von schrulligem Eigensinn durchdrungene Musik, die meist klingt, als hätte er sie in der Hängematte eingespielt. Man stelle sich vor, J.J. Cale und Michael Hurley machten gemeinsame Sache – genauso, aber ganz anders klingt Ramsay Midwood.
Midwood ist offenbar genau so verschlurft wie sein lässig tuckernder Country-Boogie und ist unter Interviewpartnern gefürchtet für bestechend unpräzise Satzanfänge wie „Es war entweder 1991 oder 1996, als ich …“. Ursprünglich war der Mann wohl mal Schauspieler, wobei er seine erfolgreichste Rolle scheinbar in einer Bierwerbung hatte. Von allen Menschen, die je Bierwerbung gemacht haben, ist mir Ramsay Midwood der Allerliebste. Von allen Menschen wiederum, die je Wurstwerbung gemacht haben, ist mir Jörg Pilawa der Unliebste, aber das nur am Rande.

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Gerade sehe ich, dass ich weiter oben schrieb: „ … und Käpt’n James selbst tätschelte unter unablässigem Fingerschnippen auf dem Bühnenrand sitzenden Kindern beiläufig den Kopf“. Es ist mir wichtig, klarzumachen, dass James Last keineswegs mit ein und derselben Hand schnippste und Kinderköpfe durchstrubbelte. Das würde vermutlich gar nicht gehen. Vielleicht schreibe ich ja in der 100. Folge meiner Kolumne irgendetwas über den Zusammenhang von Wurst und Rockmusik. Ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Reinhold Beckmann macht Jörg Pilawa in seiner vermutlich karg bemessenen Freizeit keine Rockmusik. Das ist möglicherweise gut so. Beckmann hat übrigens auch schon in Worpswede gespielt, wie ich der Autogrammsammlung im Backstageraum (der mit der Toilette) entnehmen durfte. Was macht eigentlich Anne Haigis so?

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