Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Rumhängen in den richtigen Schuhen

Nachdem Peter Maffay zahllose Kinder jahrelang mit seinem beknackten Drachen belästigt hat, haben nun auch die schandhaften Schandmusiker Schandmaul erkannt, dass doofe Eltern womöglich die willenlosesten Tonträgerkäufer sind, die man sich wünschen kann. Unser Kolumnist wünscht sich vielmehr: ein Kinderalbum von HGich.t.


Folge 65

Interessant. Eben hörte ich mal wieder die durch und durch erbaulichen Stranglers. Einigermaßen erstaunt nahm ich dabei zur Kenntnis, dass es schon 1977 Songs mit dem gänzlich heutig anmutenden Titel „Hangin’ Around“ gab. Vor allem von, na ja, Semi-Punks. Wusste gar nicht, dass in diesen Kreis Rumhängen so ein Ding war. Tatsächlich kann man zu dem Song ganz gut herumhängen, er ist nicht allzu geschwind. Jedenfalls nicht in der Album-Version. Beim Battersea-Festival 1978 indes spielten die Stranglers das gute Stück um einiges schneller, und auf Zuschauerseite war da gar nichts mit Hängen, eher mit Hüpfen. Aber vielleicht hat man ja früher auch anders rumgehangen als heute.

Noch besser als „Hangin’ Around“ gefällt mir „Being Around“ von den Lemonheads in der ungemein rührenden Akustikversion von Courtney Barnett, die irgendwo im Internet herumsteht. Also, die Version steht da rum, NICHT Courtney Barnett. Ich finde es ungemein – pardon – bezaubernd, wie sie sich da über jede dieser schönen Zeilen freut. Demnächst ist sie bei uns live zu sehen.

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Erwähnte ich heute schon, dass „Bologna“ von der österreichischen Band Wanda mein momentanes Lieblingsstück ist? Nicht? Komisch …

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Neulich habe ich hier meine zehn liebsten Blödel-Musik-Alben aufgelistet. Heute möchte ich zwei kurze selbstverfasste Gedichte vorstellen, die sich mit Blödelbarden beschäftigen. Ich finde, es werden viel zu wenig Gedichte über Blödelbarden verfasst und viel zu viele über Modethemen wie Zahnfäule, nasse Badehosen, die man kaum runtergezogen bekommt oder Bollenhüte. Hier nun also zwei Blödelbardengedichte, die ich übrigens keineswegs mit Blödelgedichten verwechselt wissen will. Das erste Gedicht heißt „Fredl Fesl“. Los geht’s:

Fredl Fesl

Außer Fredl Fesl

Nichts gewesel

Das zweite Gedicht finde ich selbst nicht ganz so gelungen. Es heißt „Hallervorden“. Achtung …

Hallervorden

Ich verleihe alle Orden

Heut an Didi Hallervorden

Nächste Woche gibt es 40 neue Blödelbardengedichte. Versprochen.

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Verdammt. Die Tabalugisierung der deutschen Kinderzimmer schreitet ungebremst voran.

Nachdem Peter Maffay zahllose Kinder jahrelang mit seinem beknackten Drachen belästigt hat, haben nun auch die schandhaften Schandmusiker Schandmaul erkannt, dass doofe Eltern womöglich die willenlosesten Tonträgerkäufer sind, die man sich wünschen kann. Folgendes nämlich erreichte heute morgen meinen Posteingang:

„ …die Münchner Band Schandmaul bringen (sic!) nach ihrem Album „Unendlich“ nun etwas für die kleinen Musikfans heraus. Am 17. Oktober 2014 erscheint das Album „Schandmäulchens Abenteuer“: Ein Hör-, Musik- und Lesevergnügen für Kinder. Auf die Idee ist die Folkrock Band gekommen, nachdem das Thema Familie bandintern zunehmend an Präsenz und Aufmerksamkeit gewann.

Ich finde, dem gilt es dringend etwas entgegenzusetzen. Ich lasse das vielleicht doch mit den Blödelbardengedichten und gründe stattdessen ein Sunn O)))-artiges Doom-Metal-Projekt, mit dem ich das finsterste, grimmigste und böseste Kinder/Familien-Album der Musikgeschichte aufnehme. Das Werk wird von einer Kreatur, halb Schlange, halb amputierter Affe, handeln, die eine achtköpfige Familie aufisst. Ansonsten passiert nicht viel, die Sache funktioniert eher über Atmosphäre. Scott Walker kann von mir aus auch mitmachen.

Das führt mich schnurstracks zu meinem letzten Konzertbesuch: Im Aachener Musikbunker sah ich in der vergangenen Woche den ersten HGich.T-Auftritt meines ereignisprallen Lebens. Der Austragungsort hätte nicht besser gewählt sein können: Der Musikbunker zu Aachen sieht exakt so aus wie er heißt und lädt mit seiner labyrinthischen Struktur zum betrunkenen Umherirren ein.

Freunde warnten mich vor: Bei HGich.T werden nicht nur auf der Bühne Haare abrasiert, die schmeißen auch Zeug ins Publikum, also lieber keine Liebhaber-Kleidung tragen. Ich zog also ein paar Schuhe an, denen ich einiges an Rumsauerei zutraue. Als mich vor Ort Menschen auf den trockenen Schlamm hinwiesen, der an diesen Schuhen klebte, fiel mir wieder ein, wann ich die Schuhe zuletzt getragen hatte: bei einer gemeinsamen Bergwanderung mit Kofelgschroa in Oberammergau. Kofelgschroa und HGich.t: Bands, für die man ganz besondere Schuhe anziehen sollte.

Die ganze Angelegenheit lässt sich wohl unter „angenehm unangenehm“ zusammenfassen: Herumgesaut wurde nicht. Der Rest aber war wohltuend verstörend. Im Publikum: Sehr viele zubetonierte junge Männer in Sicherheitswesten, Kinnbärte, mit Neonstäben bewehrte Kampftänzer. Einer fiel schon vorm Konzert um. Ansonsten: Weitäugigkeiten soweit die Pupille reicht.

Auf der Bühne: Weiße Schutzanzüge, Playback-Metal-Gitarren, Frauen in 90er-Techno-Wear und Herren mit freiem Oberkörper. Fast immer durchs Publikum eiernd: der Frontmann der Band, eine komische Kunstfigur mit der Präsenz eines betrunkenen Kneipenbesserwissers mit kaputtem Akademiker-Hintergrund. Es ist ein bisschen wie im Zirkus oder bei komödiantischen Veranstaltungen: Man lebt als halbwegs gesitteter Beobachter dieses Treibens in der ständigen Sorge, gleich aktiv in die ganze Sache verstrickt zu werden. Eine nicht unbegründete Sorge: Ein ums andere Mal kam der schwankende Künstler (seine Handynummer stets auf der Stirn tragend) auf mich zu und blaffte mir diese beunruhigenden Stammeltexte aus dem Alltag arbeitsloser Pharmazeutika-Fans entgegen. Einmal zerdepperte er gar direkt vor meinen Füßen (Schuhe!!!) eine Bierflasche.

Hinter der ganzen Sache sollen ja Hamburger Kunstfritzen stecken. Ich vermute mal, Christoph Schlingensief hätte an der ganzen Angelegenheit seine Freude gehabt.

Die Schuhe stehen jetzt wieder vor der Tür. Wohin werden sie mich als nächstes führen? Sie werden es erfahren. Darüberhinaus wünsche ich mir ein Kinderalbum von HGich.t. Ich höre jetzt „Bologna“!

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