Es nölt und müllert

Vollkommen unzynisch kämpfen Musiker weltweit gegen Armut und Krankheit. Seit Neuestem singen die Chöre auch gegen Ebola. Und was sagt Jesus dazu?

Der Zyniker ist eigentlich auf den Hund gekommen, also runtergekommen, denn „Zynismus“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Hund“. Der Zyniker beißt, während er redet, und will die Gefühle anderer Leute verletzen; die meisten Zyniker (etwa Harald Schmidt, Randy Newman oder Sibylle Berg) halten Zynismus für eine Qualität an sich. Morrissey und seine Anhänger meinen, er sei der auferstandene Oscar Wilde, der ja ununterbrochen was Zynisches sagte, er konnte nicht anders. Der Zyniker sagt die Wahrheit, glaubt er, und er verkündet, ein Doofer sei zum Zynismus unfähig. Elvis Costello gehörte lange zu den Zynikern – aus Rache dafür, dass er früh so viel Häme wegen seiner Brille ertragen musste. Aber Costello erkannte plötzlich seinen Lebensirrtum in einem von Nick Lowe komponierten Lied, er hat es selbst aufgenommen und geweint und gesungen: „(What’s So Funny ’Bout) Peace, Love, and Understanding“.

Der Gegenentwurf zum Zyniker ist nicht der Allesgutfinder, sondern ein Mensch, der sich fragt: Was würde Jesus sagen, wenn ich jetzt dies und das sage und tue bzw. unterlasse? Bob Geldof musste vor 30 Jahren kotzen, weil, wie er urteilte, die Zyniker unter den Journalisten über ihn und sein Projekt spotteten, obwohl er doch nur das Gute wollte und auch erreichte. „Do They Know It’s Christmas?“, lautete die Scheinfrage des Songs, natürlich hungerten die Elenden in Äthiopien zu sehr, um Weihnachten mitzukriegen, und es schneit dort auch nicht. Die Benefiz-Band (u. a. mit Sting, Phil Collins, Paul Weller) und ihr Lied erwirtschafteten zwölf Millionen Euro, das meiste von dem Geld ist damals wohl wirklich nach Äthiopien gegangen, Jesus hätte genickt. Was Cooles kann so ein Charity-Schlager nie sein, jetzt geht’s um eine andere Seuche als Hunger.

Wieder hat Bob Geldof reagiert und seine Kolleginnen und Kollegen aufgefordert, „Do They Know It’s Christmas?“ zusammen zu singen (Adele zeigte ihm jedoch einen Vogel; dabei diesmal: Ed Sheeran, Chris Martin, One Direction), sie kämpfen so gegen Ebola. Der Virus wütet besonders in Westafrika, aber der Weihnachtsklassiker soll alle Afrikaner der 55 Staaten trösten und ihnen helfen. Carla Bruni hat mit ihrer Version sofort die Franzosen aufgerüttelt, und Campino, schon länger Geldofs verlängerter Arm in Deutschland, konnte ziemlich viele Popstars überreden, Geldofs Song einzudeutschen. Geblieben ist der Titel: Aus dem Slogan „Feed the world“ wurde „Heal the world“. Es nölt (Lindenberg) und rappt (Cro), es rockt (Thees Uhlmann) und knödelt (Max Raabe), und Ina Müller müllert. Die Beteiligten lachen viel, das soll Zuversicht vermitteln, Peter Maffay, um den Ernst der Lage zu betonen, trägt eine Brille (keine Sonnenbrille!), der „Tatort“-Krimi ist vertreten durch Jan Josef Liefers, der nebenbei ja auch musiziert.

Jan Delay unterdrückt den Reim „Ebola– krasse Gefahr“, doch der Song beginnt mit einer Phrase: „Die Nerven liegen blank“, eine andere Zeile lautet: „Der Tod kennt keine Feiertage.“ Könnte von Helge Schneider sein, aber der fehlt ebenso wie Grönemeyer, Westernhagen, Kunze. Die Chöre bei Campino und Geldof können das Gestelzte nicht vermeiden und erinnern deshalb an die Fußballnationalmannschaft, wie sie 1978 mit Udo Jürgens singt („Buenos Dias, Argentina“). Wenn’s Geld bringt, okay, Jesus würde wieder nicken. Der Zweck heiligt das Beschämende. Allerdings starteten die Videos ohne Musik, zwei Typen in Schutzanzügen schleppen eine Afrikanerin aus ihrem Dreckbett, sie stirbt – Jesus wäre entsetzt, das Lied so zu vermarkten, und deshalb haben Geldof und Campino sich besonnen und die Szene gestrichen.

Der Spruch „Da will einer die Welt retten“ kommt oft, seit Bruce Willis 1997 in dem Film „Das fünfte Element“ mit einer Außerirdischen kooperierte und tatsächlich die ganze Welt rettete (vorher hatte er nur ein Hochhaus, einen Flughafen und New York gerettet). Auch Geldof hörte wieder den Vorwurf, er würde sich als Weltenretter aufspielen – dabei geht’s ihm um einen Weltausschnitt; der einzige Mensch, der bisher die Welt und alle Menschen gerettet hat, ist ja wohl immer noch Jesus Christus.

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