Folge 3: Lana Del Rey. Interview: „Die Entscheidungen fälle ich“

Am 27.01. erscheint Lana Del Reys Debütalbum "Born To Die". Torsten Groß hat die Künstlerin zum ausführlichen Interview getroffen und mit ihr über den Del-Rey-Mythos, ihre Jugend und die 50er Jahre gesprochen.

Lana Del Rey, bereits Monate vor der Veröffentlichung Ihres Albums „Born To Die“ waren Sie Gegenstand zahlreicher Spekulationen im Netz und in der Presse. Was war das lustigste, das sie in dieser Zeit über sich selbst gelesen haben?
Oh, da gab es einiges, das können Sie mir glauben. Leider war das meiste erfunden, weshalb sich der Spaß für mich in Grenzen hielt.

Haben Sie sich denn die Mühe gemacht, all die Artikel und Blogs zu lesen?
Nein, das habe ich irgendwann aufgegeben. Bis vorigen September bin ich dran geblieben, aber spätestens im November war ich dann raus. Ganz einfach, weil ich absolut keine Ahnung hatte, wovon all diese Leute reden. Zumal ich bis zu diesem Zeitpunkt kaum Interviews gegeben hatte, in Deutschland vielleicht drei oder vier, drei für englischsprachige Medien und noch mal drei in Frankreich, das war‘s. Und dann hat jeder vom anderen abgeschrieben und jedes Mal kam noch irgendeine abstruse Theorie hinzu.

Was ist grundsätzlich besser, immer alles zu erklären, oder sich Geheimnisse zu bewahren und einen Gutteil der Vorstellungskraft der Journalisten zu überlassen, um den Mythos zu nähren?Ich bin hin und hergerissen. Bei jedem Interview lernt man verschiedene Dinge, das hängt sehr vom Fragesteller ab. Bei den meisten Leuten ist es leider so, dass es überhaupt keine Rolle spielt, wie aufrichtig man ihre Fragen beantwortet, sie schreiben sowieso das, was sie wollen. Und das ist wirklich die interessanteste Erkenntnis aus diesen wenigen Karrieremonaten: Dass man der Presse offenbar nicht trauen kann. Nur weil etwas in einer landesweit erscheinenden Zeitung erscheint, muss es noch lange nicht stimmen. Früher habe ich etablierten Medien absolut vertraut, heute weiß ich: die Art, wie berichtet wird, hängt einzig und alleine von der Integrität des einzelnen Reporters ab.

In Ihrem Fall ist die Fantasie mit einigen Kollegen tatsächlich ein bisschen sehr durchgegangen…
(lacht) Allerdings, die meisten Artikel über mich lesen sich eher wie fiktionale Kurzgeschichten statt wie ein Porträt.

Was natürlich auch ein bisschen daran liegt, dass es bislang kaum einen konkreten Gegenstand gab, über den man schreiben konnte. Nachdem Ihr Album erst jetzt erscheint und zum Zeitpunkt dieses Gesprächs immer noch nicht gehört werden kann. Haben Sie manchmal Angst, als Thema eventuell schon wieder durch zu sein noch bevor es richtig losgeht?
Manchmal schon. Ich versuche mich davor zu schützen, indem ich nur wenige Interviews gebe. Aber den Rest kann ich natürlich nicht kontrollieren, der Hype ist überwiegend ein Internet-Selbstläufer. Von Natur aus bin ich eine sehr zurückhaltende Person und nicht besonders mittelpunktsbedürftig. Ich ziehe mich lieber zurück und arbeite an meiner Kunst.

Dann gehen wir mal die gängigen Lana-Del-Rey-Gerüchte durch. Hand auf‘s Herz: Sind Ihre Lippen nun echt oder nicht?
Natürlich sind sie echt, ich habe nun einmal schon immer relativ voluminöse Lippen. Keine Ahnung, wo dieses Gerücht herkommt. Es gibt eine Zeichnung, die meine Schwester von mir angefertigt hat, auf der die Lippen sehr deutlich herausgestellt werden und die am Anfang überall zu sehen war, vielleicht hat das da ihren Ursprung. Aber das ist wie gesagt eine Zeichnung, kein Foto.

Des Weiteren heißt es, Sie seien „gemacht“. Ein von vorne bis hinten durchkalkuliertes Produkt, ein Pop-Püppchen mit einer Klassemannschaft von Produzenten, Managern und Arrangeuren.Das ist wirklich Quatsch. Ich bin in sämtliche Aspekte meiner Arbeit involviert und alle zentralen Ideen kommen von mir. Ich mache das seit vielen Jahren, habe schon in der Schule im Chor gesungen und Gitarre gespielt. Ein Beispiel: Für „Born To Die“ habe ich unter anderem mit Larry Gold gearbeitet, der in den Sechzigern diesen orchestralen Philly-Soul miterfunden hat und heute renommierter Film-Komponist ist. Da ich meine Ideen nicht notieren kann, lief es mit Larry eher so, dass ich ihm ein Bilder gab: „Beginne in A und stell dir dabei eine Mischung aus „American Beaty“ und Bruce Springsteen vor. Oder ein lebenshungriges High-School-Mädchen, das in einer heißen Sommernacht in Miami von zuhause abhaut.“ Dann sage ich ihm noch, in welcher Tonart das Ganze sein soll, in welcher Oktave ich die Geigen haben will und so weiter. Grundsätzlich gilt, dass ich diejenige bin, die im Studio sämtliche Entscheidungen fällt. Was an den Gerüchten stimmt: Ich bin von sehr guten Musikern und tollen Produzenten umgeben, mit denen ich wunderbar zusammenarbeiten kann.

Springsteen, das Vorstadt-Amerika in „American Beauty“ – das sind ikonische amerikanische Images, von denen Ihr gesamtes Werk und Auftreten durchdrungen sind. Insbesondere scheinen Sie ein beinahe zärtliches, wehmütig-romantisches Verhältnis zum Amerika der 50er-Jahre und dem alten Hollywood zu haben, wo kommt das her?
Eigentlich beschränkt sich das nicht auf Amerika. Ich mag diese Arä und die Filme der Zeit, das gilt aber auch für europäische Filme, ich liebe zum Beispiel Fellini. Ganz allgemein inspiriert mich der Stil dieser Zeit. In meiner Fantasie betrachte ich die Fünziger außerdem als eine Phase der Unschuld, was vermutlich Quatsch ist, aber mir gefällt die romantische Vorstellung.

Was ist denn übrig geblieben vom amerikanischen Traum und der Lebenswelt der 50er-Jahre?Das ist eine sehr individuelle Frage in dieser überbevölkerten Welt mit all ihren Problemen. Es ist definitiv leichter geworden, unterzugehen oder sich selbst zu verlieren. Für mich persönlich gilt aber immer noch die Kernbotschaft, dass man seines eigenen Glückes Schmied ist. Und auch sonst gibt es Überbleibsel. Schauen Sie sich den Präsidenten an: Obama und seine Familie führen ein traditionelles 50er-Jahre-Leben. Sie spielen mit der ganzen Familie Brettspiele auf dem Fußboden des Weißen Hauses, pflegen konservativ-liberale Ansichten.

Sie selbst wuchsen in einer amerikanischen Idylle auf. Nachdem Sie in New York geboren wurden, zog Ihre Familie in den Wintersportort Lake Placid, was für eine Kindheit und Jugend haben Sie dort verlebt?
Zunächst mal ist es dort unfassbar kalt. (lacht) Und natürlich gab es dort nicht viel zu tun außer Skilaufen. Ich war nicht unbedingt anders als die anderen Kinder, aber ich habe doch sehr in meiner eigenen Welt gelebt, war mehr mit mir selbst beschäftigt als mit meiner Umgebung. Ich habe eine Menge gelesen, beschäftigte mich mit philosophischen Theorien, was mir geholfen hat, mich weniger alleine zu fühlen. Die meisten Leute unterhielten sie ständig nur übers Wetter oder irgendwelche Klamotten, was mit absolut nichts bedeutet hat. Selbst die Musik … Ich meine, ich habe natürlich Musik gehört. Aber ich fand dort keine Antworten auf diese bohrenden Fragen: Warum sind wir hier, wohin entwickelt sich unsere Zivilisation. Da waren philosophische Bücher hilfreicher. Generell hatte ich viele Ängste, so dachte ich zum Beispiel, ich müsse später einen traditionellen Beruf ergreifen wie alle anderen, was mir große Angst eingejagt hat, das konnte ich mir nicht vorstellen.

Wie sehr hat Sie ihr Vater in dieser Phase unterstützt? Wie zu hören ist, ist er ja eine überaus wichtige Bezugsperson für Sie und außerdem unfassbar reich …
Mein Vater hat mich immer unterstützt, er ist wahrscheinlich der netteste Mensch der Welt und bis heute einer meiner absolut besten Freunde. Der Rest ist ein weiteres Gerücht: Alles sagen, mein Vater sei Millionär und würde meine Karriere leiten und mich managen. Alles Quatsch. Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr auf mich selbst gestellt, damals ging ich auf ein Internat. Ich hatte viel Ärger an meiner alten Schule und musste deshalb wechseln. Und nach der High-School zog ich direkt nach New York. Mein Vater hatte zwar einigen beruflichen Erfolg in seiner Karriere, aber wir waren alles andere als Millionäre. Und mein Manager ist ein ganz normaler unabhängiger Agent aus der Branche.

New York passt eigentlich gar nicht so sehr zu Ihnen, eigentlich müssten Sie in L.A. leben, Sie gehören nach Hollywood!
(lacht) Ich mag L.A. auch sehr, alleine schon, weil es dort so warm ist und ich wie gesagt meine gesamte Kindheit über gefroren habe. Davon abgesehen ist es witzig, dass mich vor allem europäische Journalisten andauernd auf Amerika und die 50er-Jahre ansprechen. Mein Look, der Sound und die Bildsprache meiner Videos haben sich einfach so aus persönlichen Vorlieben ergeben, ich hab da wirklich nie groß drüber nachgedacht und diese Phase nicht bewusst zitiert. Das hat sie irgendwie ganz langsam zu einem Stil entwickelt. Wenn es denn einer ist, ich bin mir nicht so sicher, ob man das überhaupt als eigenen Stil bezeichnen kann, das müssen andere entscheiden.

Gemessen an den ganzen Gender-Theorien, die sie begleiten, texten Sie eigentlich relativ konventionell, wenn auch gut, über die Suche nach Mr. Right und die damit einhergehenden Enttäuschungen – wie etwa in ihrem Song „Million Dollar Man“.
Ja, in diesen Songs geht es um meine persönlichen Erfahrungen. Ich fühle mich sehr schnell von extrovertierten Menschen mit besonderer Ausstrahlung angezogen. Im konkreten Fall ging es um einen Typen, der auf den ersten Blick wirklich wie ein Hauptgewinn wirkte und ganz toll aussah, sich später aber als ziemliche Niete erwies. Er sah aus wir ein „Million Dollar Man“, aber das war eine einzige Lüge. Manchmal haben Menschen eine extrem magnetische Wirkung, führen einen aber an dunkle Orte. Man muss es aber trotzdem immer wieder versuchen.

Lana Del Reys Debütalbum „Born To Die“ erscheint am 27.01.2012.

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