Free Deniz: Punkrock am Brandenburger Tor

Allein logistisch ein irres Pop-Crossover – wenn der Grund der Sause nicht so traurig wäre. Unter dem Motto „Auf die Presse“ fand am Brandenburger Tor in Berlin ein Soli-Konzert für den in der Türkei inhaftierten Reporter Deniz Yücel und Kollegen statt. Mit dabei u.a. Die Sterne, Notwist und Antilopen Gang.

Historischer Ort, legendäre Kulisse. Während sich auf der Tiergarten-Seite des Brandenburger Tores der Feierabendverkehr massiv staute, tat sich auf der mittelgroßen Festivalbühne unterhalb des Star Spangled Banners der streng bewachten amerikanischen Botschaft einiges.

„Auf die Presse“ war dort auf zwei großen LED-Leinwänden zu lesen. Unter Breakbeat-Sounds vervielfachten sich die Namen von erst zwei, dann vier, dann acht, dann 32, dann über hundert Journalisten: Inhaftierte der türkischen Regierung, mit dem früheren „taz“- und heutigen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yüksel im Zentrum. Eine mehr oder weniger spontan organisierte Veranstaltung unter dem Motto „Free Deniz“, die gestern Abend, quasi After-Hour, die gewohnte Berliner Mittwochabend-Routine aufmischte. Während sich gegen 17:19 Uhr ein Wutbürger in Funktionsjacken-Outfit lauthals bei den locker umherstehenden Kollegen beschwerte, dass sich in der Hauptstadt „für jeden Scheiß tausende Leute finden ließen“, aber hier nur paar hundert Leute zusammengekommen seien, knackte und knixte es aus den Lautsprechern. Das Knistern vor dem großen Sturm.

Supergroup am Tag der Pressefreiheit

„Taz“-Redakteurin Doris Akrap und Politik-Publizist Michel Friedman betraten überpünktlich um kurz nach Halb Sechs, begleitet von über einem Dutzend Mitstreitern die Bretter vor geschichtsträchtiger Kulisse. Kurzes Aufstellen fürs „Familienfoto“, wie Doris Akrap es der minütlich größer werdenden Menge verkündete. „Hallo Fanmeile“, rief sie. Eine historische, eher selten gesehene Allianz zwischen der BILD-Zeitung und der linksradikalen „Jungle World“, einer ohne große Hauptstadt-Formalitäten zusammen gekommen Supergroup am Tage der Pressefreiheit.

Michel Friedmann

Vereint mit Schreiberkollegen, Künstlern, Schauspielern und Musikern sollte in den nächsten Stunden eines der ungewöhnlichsten Pop-und-Politik-Events der vergangenen Jahre seinen Lauf nehmen. Schwer zu sagen, ob der seit fast drei Monaten im türkischen Silivri einsitzende Denis Yücel diese erneute Soli-Zusammenkunft mitbekommen hat. Schon vor einigen Wochen, im ausverkauften Festsaal Kreuzberg, kam ein gute Tausendschaft von Szene-Menschen zusammen, um auf diese so verstörend ernste Sache aufmerksam zu machen. Rock’n’Roll gegen Gefängnismauern.

Ein stilistisch freigeistige Mischung aus The Notwist, Sookee, Die Sterne, Andreas Dorau oder der Düsseldorfer Antilopen Gang mahnte die Pressefreiheit in der Türkei und anderswo an. Ein über Satellit zugeschalteter Udo Lindenberg beschwor ein Grundrecht. Viele umher bummelnde Touristen stutzten über diese crazy Germans. Ringsumher RemmiDemmi-Infrastruktur mit Bierstand, Slow Food und „#Free-deniz“-Shirts. Selten ungewöhnlich auch die (zugeschaltete) Kombi mit RTL-Mainstream-Legende Peter Klöppel und Kreuzberger Krawallos.

Allein logistisch ein irres Pop-Crossover – wenn der Grund der Sause nicht so traurig wäre. Man kann sich natürlich fragen, was dieses „Mega-Konzert“ konkret gebracht hat. Nichts tun und diplomatische Kanäle wirken zu lassen, kann aber auch keine Lösung sein. Oder, wie „taz“-Redakteurin Akrap es ausdrückte: Vor einigen Jahren stand Deniz noch ganz normal IN einer Protestlermenge.  Sätze wie „Presse- und Redefreiheit ist die DNA jeder Demokratie“, mögen etwas pathetisch daherkommen, hier spürte man die Wichtigkeit dieser Aussage.

The Notwist

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„Wenn ich zu wählen hätte zwischen einem Land mit einer Regierung, aber ohne Zeitung, und einem Land mit Zeitung, aber ohne Regierung, dann würde ich mich für das Land ohne Regierung entscheiden“, sagte Michel Friedman zum Auftakt.

Und: Selten ein derart gemischtes Publikum gesehen! Alle Schichten, alle Alterstufen, alle Styles, alle irgendwie bewegt. Während vom Foodtruck eine Käsewolke über ihre Köpfe zog.

Die hier proklamierte „internationale Arschlochkrise“ wird uns leider noch lange beschäftigen. Passend, dass die Antilopen Gang anschließend „Beate Zschäpe hört U2“ zu Gehör brachten. Ein irrer Open-Air-Abend. Oder es in den Worten des durchaus berührten Spaßprofis Oliver Polak zu sagen: „Seid Vorbilder, lasst euch nicht einschüchtern!“

Die Sterne

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Antilopen Gang

https://youtu.be/-kqZbODygHs

Maurizio Gambarini picture alliance / Maurizio Gambarini/dpa
Sean Gallup Getty Images
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