Fußball-WM-Blog: Sechs großartige Jahre …

…sind zu Ende. Spanien am Tag danach: WM-Blog, Folge 7

Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

Fußball-WM-Blog: Sechs großartige Jahre …

„Außer Argentinen“ sagte Lionel Messi, „habe ich nur Deutschland und Holland in Weltmeisterform gesehen.“ Die Spanier hat Barcelonas Star in seiner Pressekonferenz am Mittwoch nicht genannt.

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Alles oder nichts hatten wir vorgestern über Spanien geschrieben. Also nichts! Eine Katastrophe für Spanien!! Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende. Ausgerechnet am Tag, an dem König Juan Carlos nach über 30 Jahren auf dem Thron zurückgetreten ist, fliegt Spanien aus der WM. Zum zweiten Mal hintereinander scheitert ein Weltmeister bereits in der Vorrunde. Aber Italien 2010 hatte immerhin noch bis zum Ende des dritten Spiels zittern können. Absurd, dass Spanien gegen Chile überhaupt zwei Tore rein bekommt. Das spanische Scheitern ist die erste große Tragödie dieser WM, die, wenn die Anzeichen nicht täuschen, noch einige mehr parat haben wird.

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„Sich von der Macht der anderen und auch nicht von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen.“ – die Forderung des auch für Fußballangelegenheiten durchaus lesenswerten Theodor W. Adorno hatten sich die Spanier nicht zu eigen machen können.

Erwartungsgemäß hatte del Bosque neue Leute gebracht: Martinez und Pedro, der im Holland-Spiel noch eingewechselt worden war, von Anfang an. Klar das er nicht so defensiv spielen würde wie die Knalltüten der ARD-Redaktion glaubten, die den wendigen Außenstürmer von Barcelona allen Ernstes als rechten Außenverteidiger in ihre Mannschaftsaufstellung eingescannt hatten.

Die Spanier waren von Anfang an allerdings nicht weniger konfus wie die ARD-Kollegen und es war schnell klar, dass Pedro tatsächlich nicht so nach vorn würde stürmen können, wie er es gewohnt ist. Nur 46 Sekunden dauerte es, da war bereits erkennbar, wie getroffen und verunsichert Spanien durch das Holland-Spiel gewesen war, und dass auch diesmal ein Knoten im spanischen Spiel war, der nur schwer platzen würde. Wie nervös Spanien spielte!

Die Chilenen agierten wie die Holzhacker und verhinderten, dass Spanien ins Spiel fand. Die wichtigste Frage war, ob und wie Chile diesen Kraftfußball durchhalten könnte, und was Spanien dem entgegenzusetzen hätte.

Wer würde in Führung gehen?

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Die Antwort war schnell zu ahnen. Die „Furija Roja“ spielte wie in Trance, das 1-5-Desaster gegen Holland war offenkundig nicht abzuschütteln. Chile witterte von Anfang an seine Chance. Chiles Fußball ist grobschlächtig und keineswegs schön anzusehen, aber effektiv.

Spaniens Spiel – im Prinzip ein 4-4-2, das in der Offensive zum 4-3-3 wurde -, krankte an einem massierten Mittelfeld, wo Silva, Costa, Iniesta und Pedro sich stellenweise gegenseitig auf den Füßen standen, wenn auch Iniesta gelegentlich nach links, Pedro nach rechts auswichen. Busquets und Xavi Alonso rückten dann nach und fehlten hinten, was die chilenischen Gegenstöße immer wieder hochgefährlich machte. Erst recht, weil vor allem die Außenverteidiger Ramos und Azpillicueta rabenschwarze Tage erwischt hatten: Chiles 1-0 gingen gleich zwei Ramos-Fehler voraus. Und Azpillicueta verlor immer wieder Bälle und Zweikämpfe und war ein massiver Schwachpunkt, den man sofort hätte auswechseln müssen.

Ein bisschen zu viel Mittelfeld, ein bisschen zu wenig Bereitschaft, sich beizeiten vom Ball zu trennen. Dazu frühe Ballverluste und individuelle Schwächen – das war das eine.

Das andere war das nie erkennbare Spielkonzept. Wollte man nun den Ball halten und auf Chiles Energieabfall warten, oder selbst früh in Führung gehen, und dadurch den Druck erhöhen. Letzteres war eigentlich nötig, wurde aber schon durch die Spielaufstellung dementiert: Zu wenig Offensive, und zugleich zu wenig Veränderung. Schleierhaft blieb mir, warum del Bosque auf Athletico-Stürmer Duego Costa gesetzt hatte? Der ist zwar sehr gut, aber Costa passt nicht in dieses System.

Will man objektive Ursachen für Spaniens Scheitern nennen, dann wären an erster Stelle die lange Liga-Saison und das Champions-League-Finale zu nennen: Spanien fehlten zwei bis drei Wochen Vorbereitung. Hinzu kommt, dass alle drei Spitzenteams auf Mitte Mai hintrainiert hatten, nicht auf einen Saison-Höhepunkt in der zweiten Juli-Hälfte.

Der Meister-Titel für Athletico Madrid maskiert zudem vielleicht nur eklatante Schwächen beim FC Barcelona und Real Madrid, die beide 2013/14 durchwachsene Saisons mit Übergangscharakter gespielt hatten.

Und auch Portugal ist überraschend schwach aufgetreten: Mit gleich drei Spielern von Real Madrid.

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Wie spielt man aber nun richtig gegen Spanien? Diese Frage ist auch nach dem gestrigen Ergebnis nicht so leicht zu beantworten. Pressing, Forechecking, wenn das so einfach wäre … Dann hätten es andere, bessere Gegner schon längst gemacht. Fußball ist reine Psychologie. Es war der „negative Druck“ (Mehmet Scholl) auf Spaniens Elf, und der Verlust des Glaubens an die eigene Unbesiegbarkeit, der den Weltmeister entscheidend schwächte.

Dass jetzt gleich vom „Ende einer Generation“ die Rede ist, vom Abschied, das finde ich falsch. Da wäre ich vorsichtig. Die Spanier haben einen desaströses Turnier gespielt, das stimmt, das ist aber auch alles. Erinnern wir uns an die Niederlande bei der EM vor zwei Jahren. Als Vizeweltmeister angetreten scheiterten sie mit drei Niederlagen in der Vorrunde. Auch da glaubte man das Ende von Robben, van Persie, Sneijder, de Jong und Kujt sei gekommen. Und jetzt? Spielen genau die wieder mit und demütigen den Weltmeister mit 5-1.

Auch Spanien könnte es ähnlich gehen. Sie sind auch für die kommenden zwei Jahre amtierender Europameister. Man vergisst jetzt, das Ramos erst 28 ist, Pique erst 27, Busquets erst 25, Pedro erst 26. Selbst Iniesta, Genie, Hirn und Herz des spanischen Spiels der letzten Jahre ist erst 30. Allein für Xavi und für Xabi Alonso dürfte die Zeit zuende gehen.

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Holland gelang gegen Australien mit 3-2 nur ein Pflichtsieg, der angesichts des Feuerwerks gegen Spanien enttäuschte und überdies immer gefährdet war. Aber auch ein Pflichtsieg ist ein Sieg und damit ist Holland vermutlich Gruppensieger.

Später am Abend dann hauten die kroatischen Dreschflegel Volker Finkes Kamerun mit 4-0 vom Platz, und auch ein 6-0 wäre nicht zu hoch gewesen. Viele deutsche Innenstädte waren dann mindestens eine Stunde lang verstopft von Autokorsos, in denen glatzköpfige Muskelpakete ihre lächerlichen weißrot-karierten Flaggen küssten. Jetzt kommt es zum Endspiel gegen Mexiko, und wir hoffen mal auf Montezumas Rache.

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Juan, unser Wirt im Andalucia, wo man natürlich jetzt erst recht ganz neutral alle Spiele gucken wird, war durch das Desaster weniger frustriert, als erwartet: „Es ist ok. Wir hatten sechs großartige Jahre. Das muss eine Nationalmannschaft erst einmal hinkriegen Spanien hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.

Drei Titel hintereinander. Welche andere Nationalmannschaft hat das je geschafft? Und es wird nie wieder eine schaffen. Noch in 100 Jahren wird man von dieser Mannschaft sprechen!

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