Gemeinsame Rituale

Rom, Januar 2006.

Morrissey is not amused.Gerade hat er erfahren, was es mit diesem Open-air in Germany auf sich hat, für das er gebucht ist und das er in seinem Kurzzeitgedächtnis als „Rockringpark“ gespeichert hat. Massenauftrieb, Moshpits, Metallica? „Genug, genug“, fleht er theatralisch, wirft die Hände vor das Gesicht und sagt mit Bittermiene, ganz ruhig und gefasst: „Irgendjemand wird dafür zahlen müssen, spätestens dort vor Ort. Ich denke, ich werde mich in einen Anzug werfen und ein weiteres schmerzvolles Mal mit Anstand den Fremdkörper geben. Darin habe ich mittlerweile eine gewisse Übung.“

Eine Untertreibung natürlich, Koketterie ohnehin. „Heavy words are so lightly thrown“, dichtete er einst, „but still I’d leap in front of a flying bullet for you“. So und nicht anders verhält es sich zwischen Mozzer und seinem Publikum. Unverbrüchlich scheinen diese Bande, weil sie nicht bloß aus Dankbarkeit und Idolatrie bestehen, beides schnell vergänglich, sondern aus Ehrlichkeit und Empathie. Wer Morrissey einmal in Manchester erlebt hat, vor mehr als 20 000 singenden, tanzenden, lachenden und heulenden Fans, wird das nie mehr vergessen. Es ist wie „Old Trafford“, nur überdacht. Und wie bei Manchester United beginnen die Gesänge, lange bevor die Arena gefüllt ist, enden erst auf dem Nachhauseweg, wenn die Kehlen partout nicht mehr können. Die Insassen eines voll besetzten Busses unisono und textsicher „There Is A Light That Never Goes Out“ singen zu hören, treibt Tränen in die Augen. Eigentlich schon zu Beginn: „Take me out tonight where there’s music and there’s people who are young and alive.“ Spätestens an der berühmt-berührenden Stelle, die selbst dem Busfahrer, besonders ihm, Schauer den Rücken hinunter jagt: „And if a doubledecker bus crashes into us, to die by your side… such a heavenly way to die.“

Diese verzückt Singenden als Fans zu bezeichnen, wäre läppisch. Fans hat Morrissey auch, überall auf der Welt. Und „erfreulich viele, sogar in Amerika“, wie der Charismatiker befriedigt feststellt. Diese Leute indes sind supporters. Noch eine Fußball-Parallele, die dem ManU-Sympathisanten Morrissey nicht schlecht gefällt, obwohl er gleich abwehrt: Eine Gefolgschaft wolle er schon deshalb nicht, weil ihn eine solche Verantwortung ersticken würde. Schließlich, ergänzt er kichernd, sei es ein Fulltime-Job, die schwere Last der Verantwortung für sich selbst zu tragen. Er komme sich dabei vor wie Atlas. Morrissey, so much to answer for? Unsinn, es gibt schlechtere Vorbilder als unseren Mozzer, bessere müssten noch erfunden werden.

Immerhin mimt er den Unnahbaren, den Misanthropen nur in der Gesellschaft von Menschen, die er lieber meidet. „Celebrities aus dem Weg zu gehen, will gelernt sein“, verrät er – und fügt maliziös grinsend hinzu: „Oder sie zu düpieren.“ Dies sei jedoch eine Kunst, die er gemeistert habe. Mehr noch, es sei geradezu ein Imperativ des Überlebens im Show-Geschäft. Je eitler die Person, desto härter der Treffer. Meinen Einwand, er selbst könne als praktizierender Dandy doch nicht ganz frei von Eitelkeit sein, wischt er beiseite. „Aber nein“, lächelt er nachsichtig, „das sind Herdentiere. Wir Einzelgänger sind dagegen gefeit, wir biedern uns nie an.“ Allerdings, so räumt er ein, habe er in schwachen Momenten diesen Grundsatz auch schon mal verletzt. Wie, wobei, wem gegenüber? „Oh, Kither and thither.“

Seine vitriolischen Kommentare bei Konzerten dagegen, so der gern Missverstandene, dürfe man ebenso wörtlich nehmen wie seine Tiraden wider Bush ist Blair oder sein Eintreten für die Rechte von Tieren. Vor allem das unsägliche Leid letzterer lässt ihn nicht ruhen. Die kanadischen Dates der laufenden Tour sagte er wegen der alljährlichen Robbenschlächterei ab, wohl wissend, dass eine derartige Geste nichts ändert. Im Dezember wird der Moralist uns heimleuchten, die neuen Sones von „Rindeader Of The Tormentors““

präsentierend, aber vermutlich auch alte Smiths-Favoriten wie „Girlfriend In A Coma“, „How Soon Is Now“ oder „Still 111“. Ein paar Blumen werden vermutlich auf die Bühne fliegen, ein paar verschwitzte Hemden zurück. Zur Einstimmung sei ein Film von Pasolini empfohlen, zu einer Tasse Tee.

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