Gemma Ray: Keine Klagen

Die Suche nach dem perfekten Pop gibt Gemma Ray nicht auf - einem geheimnisvollen Leiden zum Trotz.

Das leuchtende Blumenkleid, das zwei Stunden später einen Hauch von Girl-Group-Glamour ins Hamburger Knust wehen wird, hat ihr die Mama gemacht. Hausfrau in Essex, fingerfertig. Der Papa macht in Autos. Klasse bedeutet hier noch etwas. „Es ist immer noch komisch für mich, mit Musik Geld zu verdienen“, sagt Gemma Ray (und später noch, dass sie jetzt im teuren London nur ausgeht, wenn sie irgendwo auf der Gästeliste steht und dabei einen Drink abstauben kann.)

„Ich wollte erst mal Geld verdienen, so lernte man das in unserer Familie.“ Mit 15 schmeißt Gemma (sprich: Dschemma) die Schule, nach drei Monaten auch die Kunstschule, ein halbes Jahr hält sie es für 30 Pfund die Woche in einem Reisebüro aus, bis sie schließlich alles auf die Karte Musik setzt. Bei einem Freund hört sie die Platten seiner Eltern, „psychedelische Sixties-Musik und viel frühe Pink Floyd. Ein Teil in mir will den perfekten 2:30-Popsong schreiben- und der andere halt diese zehnminütigen Prog-Epen. Schon ein bisschen pervers.“

In London lernt sie dann ihre Background-Sängerin kennen (die auch aus Essex stammt) und als wichtigen Kollaborateur Michael J. Sheehy. Nicht im Pub um die Ecke, sondern „tatsächlich auf MySpace. Ich brauchte Hilfe, es klappte mit einem Song auf Anhieb, und ich dachte: Mhh, das war schmerzlos!“ Apropos: Man kann nicht über Gemma Ray schreiben, ohne ihre Krankheit zu erwähnen. Noch immer nicht ausdiagnostiziert, läuft es wohl auf ein chronisches Ermüdungssyndrom hinaus.

Die Veröffentlichung des letzten Albums „The Leader“ erlebte sie im Krankenhaus. Inzwischen geht es besser, „ich kann meine Kräfte besser einteilen“. Studioschluss fürs aktuelle Album „Lights Out Zoltar!“ immer Punkt 18 Uhr! „Ich fühle mich wie eine Songmachermaschine, seit ich krank bin. Ich will hier nicht alarmierend optimistisch klingen, aber ich bin sogar ein bisschen dankbar dafür, denn musikalisch hat es mich vorangebracht, weil ich nichts anderes mehr mache. Ich bekam das Gefühl, keine Zeit mehr einfach so verschwenden zu können. Mag mein Leben sonst fast zum Stillstand gekommen sein, da war immer die Musik, fast wie eine Religion.“

Im Knust predigt Gemma Ray nicht, sondern steht einfach da oben in ihrem Blumenkleid und lässt sich in ihre dunkel schimmernden und dann doch oft noch hell strahlenden Songs fallen. Erst am Schluss passt das Kleid wirklich zur Musik. Da zerlegt sie „Walking In The Sand“ von den Shangrilas- aber mit allem Respekt eines eigenwilligen working class girls aus Essex.

Jörg Feyer

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