Willander sieht fern

„Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum“: Donauwelle und Trockenpocke

Eine crazy Klassenreise auf der Suche nach Liebe: Heidi Klum und die zehnte Staffel ihrer Model-Kür. Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass bei "Germany's Next Topmodel" nicht Zynismus regiert, sondern ein inniger Glaube an Schönheit, Glanz und Erfolg, den man allenfalls noch in Hollywood und Klatschblättern findet.

Es ist zu einem teils albernen, teils nachgerade anrührenden Ritual geworden, dass Wolfgang Joop im Verlauf der anstrengenden Beschau ein Stück Kuchen und Kaffee einfordert. Heidi Klum ordert das Gebäck mit quäkend-unduldsamer Stimme und kräht: „Donauwelle oder Trockenpocke?“ Offenbar hatte Joop vergangene Plunderstücke als zu wenig süffig empfunden. „Und noch einen Kaffee dabei?“ fragt Heidi mit der professionellen Interesselosigkeit einer Kaltmamsell, die weiß, dass der Herr gern etwas zum Herunterspülen hat. Später wird einer dieser Pappbecher mit Deckel und Trinköffnung auf die Bühne gebracht, und Joop nimmt den Becher etwas ängstlich und tatterig entgegen, weil er fürchtet, dass er zu heiß sei. „Ist der Kaffee sehr heiß?“ ruft er vom Podium, wie stets an niemand Bestimmten gerichtet. Und es antwortet auch niemand. Joop leckt am Deckel und grinst die Klum an. „Bitte nicht hinschauen!“ schreit die Vorsitzende.

Die zehnte Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ ist noch am Anfang – noch werden Hallen mit enthusiasmierten jungen Frauen samt Anhang gefüllt und Zirkuszelte, und Rathausplätze und Schulhöfe werden von einem gewaltigen schwarzen Reisebus heimgesucht, dem Heidi Klum und Thomas Hayo entsteigen. Man sollte meinen, dass die Roadshow etwa so aufgefasst würde wie die Ankunft von Gert Fröbe, der lustige Kasperlepuppen und Bonbons für kleine Mädchen mitgebracht hat – aber Klum und Hajo baden in der Menge, sie werden schrill umjubelt, melden sich bei lokalen Radiosendern an und lassen die großgewachsenen Schülerinnen gleich vor Ort eine Strecke staksen. Bereitwillig entledigen sich die frühreifen Jugendlichen ihrer Jacken und Pullover, auch ihrer Tops. Heidi Klum holt die Kundschaft an der Quelle ab. „Um ein Uhr ist Schulschluss“, bemerkt Hayo wie ein Peeping Tom auf dem Weg nach Nürnberg: Schnell, schnell, bevor alle zu Muttis Mittagessen laufen! Aber natürlich hat die ganze Schule gewartet.

Im Bus singt das Paar wie auf einer Klassenreise das Lied von Biene Maja und „My Way“, die Kamera zeigt den treuen Busfahrer. Einmal halten zwei Polizisten den Bus an – ein  willkommenes Intermezzo. Heidi läuft zum Fahrer und fragt mit der ihr eigenen Mischung aus aufreizender Keckheit, aufreizender Einfalt und aufreizender Ahnungslosigkeit: „Warum halten sie uns denn jetzt an? Wir sind nämlich auf dem Weg und suchen Mädchen.“ Die Schutzmänner wollen nicht hinderlich sein, führen aber dennoch die unnötige Routinekontrolle durch. „Was ist denn das für eine komische Drehscheibe?“ fragt Heidi. Ja, damit werden die Fahrt- und Ruhezeiten des Chauffeurs gemessen. Alles in Ordnung! Keiner arbeitet härter als Heidi selbst. Und schönen Abend noch!

Für den entrückt wirkenden Joop, einen knabenhaften Greis in wechselnden, aber verlässlich jugendlichen Kleidern, wäre eine solche Busreise zu strapaziös  – er räkelt sich in den Hallen im Sessel, setzt Sonnenbrillen auf und ab, schlägt die Beine übereinander und lehnt sich nach rechts und links.  Apercus möchte er mokant und elegant wie Oscar Wilde servieren, aber meistens werden es nur Zoten. „Sind die Beine eigentlich gerade – oder bist du viel geritten?“ fragt er eine Bewerberin, und Heidi plappert dazwischen: „Ich krieg‘ die Knie auch nicht richtig zusammen!“ Versonnen erklärt Joop das Wesen des Models: „Kinn, Chest, Waist, Hips, Legs“ – am Ende seien es immer Varianten dieser Körperteile, die es ausmachen. Face sogar!

Und dabei bevorzugt die Jury neuerdings das Schräge, das Freakige, das Androgyne, ja Transsexuelle, ohne sich freilich WIRKLICH für das Schräge, das Freakige, das Androgyne und Transsexuelle zu entscheiden. Heidi fragt jede zweite Probandin: „Machst du dir mal ’nen Pferdeschwanz – oder ’nen Dutt obendrauf?“ Sorgenvoll untersuchen sie die schwarz gefärbten Haare einer Frau, erheben sich dafür sogar von ihren Sitzen. „Das geht schwer wieder raus“, seufzt Joop.  Schminke mögen sie gar nicht: Die soll ja erst später aufgetragen werden. Aber immer wieder erscheinen Bewerberinnen, die sich zugespachtelt haben, Hüte tragen, Brillen oder lange Haare, gar Piercings und Tätowierungen. Teufelswerk! Und niemand will hier TANZEN sehen. während Hayo diese Verirrungen beklagt, teilt Joop unerbittlich Entscheidungen mit: „Wenn man genau hinschaut, bist du ein privates Model, kein Business-Model.“

Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass bei „Germany’s Next Topmodel“ nicht Zynismus regiert, sondern ein inniger Glaube an Schönheit, Glanz und Erfolg, den man allenfalls noch in Hollywood und Klatschblättern findet. Aber recht eigentlich handelt das rabulistische Treiben von Selbstbehauptung und von dem Versuch, sich selbst zu lieben: Ein ehedem dickes Mädchen will es allen zeigen, die sie früher gehänselt haben, eine Transsexuelle will es allen zeigen, die sie früher gehänselt haben, eine blasse Rothaarige will es allen zeigen, die sie noch immer hänseln. Heidi will sich beweisen, dass alle sie lieben. Wolfgang Joop will sich beweisen, dass er sich liebt. Thomas Hayo will Heidi beweisen, dass sie ihn liebt. Mit verwegenem Bartwuchs und grummeligem Pennälerhumor gibt er den stoischen Unterhalter an der Seite der Ballkönigin, die nicht gern allein ist. „War es schlimm mit mir?“ fragt Heidi, als sie in München aus dem Bus steigen, und Thomas hasst diese Frage, denn Heidi weiß, das nichts mit ihr jemals schlimm sein könnte, und Thomas weiß, dass er niemals etwas anderes sagen dürfte.

Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn magere, langbeinige Grazien sich ausziehen, Heidi fragt, ob sie die Haare zum Dutt binden können oder so – und Wolfgang Joop sich zwischen Donauwelle und Trockenpocke entscheidet!

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