Hole – Hamburg, Docks; Bush – Hamburg, Logo; Elastica – Austin, Liberty Lunch, Berlin, Loft

Hamburg, Docks Warten auf Courtney. Getuschel geht durch das Publikum. Was wird sie tragen? Wie wird sie fluchen? Wird sie etwas über Kurt sagen? Womöglich einen Song von Nirvana spielen? Erstmals seit dem Suizid von Kurt Cobain tourt Courtney mit ihrer Band Hole wieder in Deutschland. Sie tritt als Erbschleicherin an, wurde in Amerika als Gattenmörderin beschimpft – als Heroin-Hexe galt sie schon immer. Wer einen Superstar heiratet, hat Schlagzeilen und den Schaden dazu. Die Bühne ist ihr Katharsis und Scheiterhaufen zugleich. Von Beginn an wird niemand enttäuscht Scheinbar benommen stakst Courtney auf Pumps aus ihrer Garderobe. Ihr Kleidchen ist knapp, natürlich zu knapp, und mit einem Bein auf der Monitorbox entblößt sie ihren Oberschenkel. Das Weiß schimmert in der Dunkelheit, der Stoff auf ihrem athletischen, fast hageren Körper fluoresziert in den Lichtkegeln der Spots. Ganz bleicher Trash-Engel, schleudert Courtney die Riffe in die Halle. Der verhaltene Jubel animiert sie zu Pöbeleien. „Kiss my ass“, faucht sie und wirft trotzig den Kopf in den Nacken. Dann stimmt sie „Miss World“ an, den besten Song von Hole, ein Stück von schonungslosem Sarkasmus und schmerzlichem Stolz, womit den Gaffern und Geiferern ins Gesicht spuckt und gleichzeitig die Spielregeln für diesen Abend bestimmt, ,,1’m the girL you know, can’t look you in the eye“, wispert sie, dann schlägt ihre Stimme in ein stakkatohaftes Schreien um. Der Lärm verebbt, und Courtney sucht auf dem Boden nach einer Kippe. Sie ist perfekt. Vor allem ist sie, was sie ist, und sie ist es immer auch im Auge der Betrachter. Den Begriffsstutzigen ist sie ein blondes Biest, die Rock-Schlampe und Yoko Ono des Punk. Empfindsame spüren in ihr den bodenlosen Abgrund. Die Hure als Heilige: blond und berühmt und besessen. Den Klischees entgeht sie nicht, die setzt sie selbst Niemals originell, bewußt ordinär. Sie reibt ihre Brust, stöhnt ins Mikrophon. „Louder… looouder“, kreischt sie. „Fuck you.“ Schließlich wirft sie ein Feuerzeug ins Publikum. Weil es zurückfliegt, greift sie zu einer gefüllten Plastikflasche. Courtney Love, die den Sehnsuchts-Schrei bereits im Namen trägt, taugt zur billigen Sensation. Das hat Methode und verheißt noch immer Beachtung. „I want to be the girl with the most cake“, singt sie in „Doll Parts“, was als sehnsüchtig-selbstironisch gebrochenes Bekenntnis zu verstehen ist Crazy Courtney a rebel without a cause. Nur einige verstörte Teenager flüchten vorzeitig zu ihren Eltern vor der Tür. Oliver Hüttmann BUSH Hamburg, Logo Jemand rief Grunge, und viele kamen zu Bush in die Hamburger Konzert-Bude Logo. Sanft bittet Sänger Gavin Rossdale das Publikum trotzdem, nicht so weit weg von der Bühne zu stehen. „1 hate it“, flüstert er nach dem surrealen Sehnsuchts-Song „Alien“. Dann bricht der Lärm herein. Bush stammen aus London und haben Erfolg in Amerika. Weil ein Sender in Los Angeles mehrfach ihre Single „Everything Zen“ auflegte, kam ihr Debüt-Album“Sücteew Stone“ in die Charts. Mit dem historischen Hype um Grunge hat dies schon nichts mehr zu tun, eher folgen Aufstieg und Attitüde der alten College-Rock-Schule. Das Quartett vereint die Entrücktheit britischer PopBands mit der Energie des amerikanischen Punk-Rock – und wieder einmal verfangt das Paradox als Prinzip. Rossdale ist alles zu glauben. Der Schönling hat Schleier im Blick und trägt die Haare wie Prinz Ebenherz. ,J’m never alone/ I’m alone all the time“, nölt und fleht er in „Glycerine“. Und so schlachtet ihr Auftritt besonders das Rohe, den klassischen Rock und die Brüche in der Wucht aus. In diesem Donnerhall geht fast alle Zuflucht in die Melodie verloren – kaum jemand tritt jedoch die Flucht an. Bush musizieren wie ein Mann, kompakt, düster, atemlos. Selbst bei morbiden Zeilen wie „Sing with me in the gasoline chair“ hebt Gavin Rossdales Stimme noch zur Melancholie an. Das ist nicht neu, aber immer gut OUVER HOTTMANN ELASTICA Austin, Liberty Lunch Berlin, Loft Der Pulk texanischer Butt-heads am Tresen des Liberty Lunch war sich einig: Monster Magnet kicked ass. Die habituell halluzinierenden Hippies aus New Jersey hatten mit ihrer Freakshow mächtig abgeräumt Nun würde der schlagende Beweis dafür folgen, daß die Brits keine Ahnung haben, was das bedeutet: to kick ass. „Elastica?“, wußte ein Wortführer, „they suck!“. Denn erstens sei nicht auszumachen, ob der Sänger eine Sängerin sei oder umgekehrt Und im übrigen habe England eh nichts mehr zu bieten. „The last great band they sent over“, erinnerte sich ein 2Ojähriger Ziegenbart, „was Zeppelin.“ Zustimmendes Nicken und eine Runde Biet. Eine halbe Stunde später stand den Jungs in den karierten Flanellhemden ein großes Fragezeichen in den Gesichtern; die Konversation war merklich kleinlauter geworden. Elastica hatten ihnen Feuer unterm Arsch gemacht Justine Frischmann, vier Wochen später in Berlin von beinahe stoischem Gleichmut, hatte ihre Songs wie Blitze ins Publikum geschleudert; das hohe Tempo tat allen gut, nicht zuletzt der Band selbst, die sich in Siegerpose verabschiedete. Elastica in Austin waren Pop nur im trashigsten Sinne und romantisch nur in ihrer Vier-gegen-den-Rest-Attacke. Auch in Berlin vermißte man die Süßstoffe, auch hier waren ihre Melodien pures Koffein, und der Migräne-Baß rumpelte hart am Abgrund doch war die Atmosphäre weitaus freundlicher, und das Quartett nahm sich mehr Zeit Justine, ganz in Schwarz und das Gesicht verborgen hinter diesem Schleier aus Strähnen, verzichtete allerdings auch hier auf jeglichen verbalen Rapport mit dem anglophilen Publikum. Sie stand nur da, ließ ihren nicht unbeträchtlichen Sex-Appeal wirken und sang meist selbstverloren, selten selbstbewußt Im Vforgarten des Liberty Lunch war das Stimmengewirr nach dem Auftritt heftig geworden, und zwischen die „crap“- und „shit“-Verdikte hatten sich andere gemischt: „cool“ und „amazing“. Immerhin. Wolfgang DoebblingTHE CHIEFTAINS Berlin, Hochschule der Künste Der Kontrast hätte größer kaum sein können. Eben erst waren die Chieftains zurückgekehrt von einer triumphalen US-Tour, wo man sie mit Gold- und Platinplatten überhäuft hatte, wo Berühmtheiten aller Provenienzen Schlange gestanden hatten, um ihre Aufwartung zu machen, wo ihr neues Album „The Long Black Htil“ von der Kritik beinahe einmütig gepriesen wurde und wo die Schöpfer des zigfach gecoverten Titelsongs, das Songwriter-Gespann Wilkin und Dill, bewegt kundtaten, ihre, die Chieftains-Version featuring Mick Jagger, sei von allen die beste. Die höchsten Weihen, Paddy Moloney auf Wolke neun, und nun das: eine halbleere HdK und ein halbgares Publikum. Merkwürdig. Nicht, daß sich die Chieftains ihre Enttäuschung hätten anmerken lassen, Professionalismus ist ihnen Ehrensache. Und so führten sie routiniert und doch konzentriert durch ein reichhaltiges Repertoire aus alten Favourites wie „Bonaparte’s Retreat“ und „Changing „Vbur Demeanor“ sowie ein Medley aus den Songs des neuen Albums. Die Rolling Stones, erklärte Paddy Moloney augenzwinkernd, seien selbst gerade auf Tour und könnten deshalb für,,Rocky Road Tb Dublin“ nicht dabeisein, was die Chieftains jedoch nicht hinderte, das „Satisfaction“-Riff in ihren Vortrag einzubauen. Köstlich. Die Chieftains spielen keine Gigs, sie geben Konzerte. Selbst ihre Jigs und Reels kommen konzertant Die seit über 30 Jahren währende Pflege irischer Folk-Traditionen hat im virtuosen Ensemble-Spiel der Chieftains Entwicklungen genommen, die manchmal allzu sehr ausgeklügelt und durcharrangiert wirken, aber im Rückblick auf ihr Gesamtwerk dennoch frappieren. Dabei überkam sie nie die Abenteuerlust von Planxty oder die genialischen Einfalle einer Bulhy Band. Die Stärke der Chieftains lag stets im disziplinierten Erstellen eines Klangkörpers, im krassen Gegensatz zur Säufer-Folklore der Dubliners, obschon ihre Botschaft letztlich dieselbe ist: Irish FolkMusic isgoodforthe world. Wolfgang Doebeung PJ HARVEY & TRICKY Hamburg, Grosse Freiheit s chweiß, Erde und all die anderen Begriffe gängiger Rock-Kultur verloren an diesem Abend ihre Bedeutung. PJ Harvey und Tricky ließen sich in der Großen Freiheit zwar von Gitarre, Baß und Drums begleiten, auf die Beschwörung herkömmlicher Reiz-Reaktions-Schemata aus dem Rock-Zirkus verzichteten sie jedoch. Die Theatralik der Aufführung war wichtiger als die Transpiration der Aufführenden. Tricky verbot sich Spotlights, manchmal kauerte er im Dunkeln auf dem Bühnenboden. Das Ableuchten von Chanteuse Martina, bei Shows solcher Größenordnung gern benutztes Mittel, den Augen Futter zu geben, wurde ebenfalls tunlichst vermieden. Wer nichts sieht, muß sich an den Sound halten. Der DJ-Star aus Bristol überführte die somnambulen Dancefloor-Tracks seines Debüt-Albums in eine klassische Instrumentierung. Ohne dabei klassisch zu sein. Das DAT-Gerät war hier Stichwort-Geber, das Element des Blues wurde stärker hervorgehoben. Trotzdem gab Tricky den HipHop-Beat nicht preis. Eine sehr verwinkelte Angelegenheit. Das kann über den anschließenden Auftritt von PJ Harvey nicht gesagt werden. Sie betonte das Gerade und strich, zumindest für die Dauer eines Konzertes, alles Widersprüchliche aus ihrer Musik. Die Engländerin, eine ehemalige Schauspielerin, spielte vor einem roten Samtvorhang mit den Symbolen der Weiblichkeit: Die übergroßen Wimpern klimperten, ihr mondänes Abendkleid funkelte, und einmal fuhr sie vieldeutig mit einem Holzstäbchen über den leicht gewölbten Bauch. Songs aller drei Alben wurden dargeboten, meist in ein mächtiges Rhythmus-Gewand gekleidet. Hervorragend: „Bleeding“ in der Bo-Diddley-Version. Dabei gab es – richtig so – nicht den Anflug von Improvisation. Jede Geste war hier Zeichen einer festen Inszenierung. In Zeiten, da die Worte Ehrlichkeit und Authentizität ins Pflicht-Repertoire jedes Musikjournalisten gehören, gibt PJ Harvey als perfekte Performerin ein wichtiges Signal: Rock nach Grunge ist möglich. Als Theater. Christian Buss DAVE MATTHEWS BAND London, Marquee er Londoner Marquee Club bietet ein ungewohntes Bild: Hier sieht es heute aus wie bei einer amerikanischen High School Party – und es klingt auch so. Der Club ist brechend voll mit jungen weißen Amerikanern in weißen T-Shirts mit College-Logos. Ihre weißen Zähne, die im UV-Licht malvenblau leuchten, heben sich gut gegen die schwarzen Wände ab, wenn sie Song für Song Wort für Wort mitsingen. Die vor drei Jahren gegründete Dave Matthews Band erspielte sich daheim eine so große Anhängerschaft, daß sie mittlerweile in Virginia Hallen mit 4000 Plätzen füllt. Sie veröffentlichte das obligate Indie-Album („Remember Two Things“), bevor sie einen Industrie-Vertrag unterzeichnete und das hervorragende Album „Under The Table And Dreaming“ aufnahm. Heute abend spielt man Material aus beiden Alben. Die Songs sind durchweg lang, originell und intelligent. Zeitweise klingen sie wie nicht ganz so introvertierte R.E.M., oder vielleicht wie die Talking Heads nach einer College-Injektion ein sattes Saxophon und ein fetter Baß über einem kantigen Groove. Frontmann und Songschreiber Dave Matthews, ein weißer Südafrikaner, dessen Stimme die für die 90er Jahre perfekte Mischung aus pessimistischer Langeweile und Auf-geht’s-Optimismus hat, preßt die Gitarre gegen seinen Brustkorb, und das grelle Spotlight über ihm beleuchtet seine bei Gefühlsausbrüchen hervortretenden Venen. Die Band spielt wunderbar kompromißlos und treibt die Musik nach vorn, während der charismatische Geiger Bord Tinsley und Saxophonist und Flötist Leroi Moore die ohnehin schon bunte, vielschichtige und komplexe Musik noch bunter, vielschichtiger und komplexer werden lassen. Trotz einer unglücklichen, pannenbedingten Unterbrechung frißt das Publikum der Dave Matthews Band aus der Hand. Ein College im Banne des Groove. Sylvie Simmons

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