Im Headquarter der Toten Hosen

Leicht fiel ihnen das nicht. Im Studio lassen sich die deutschen Punk-Routiniers ungern stören zumal sie gerade hoch motiviert und voll konzentriert an ihrer neuen LP "Auswärtsspiel" arbeiteten. Und bei ihren Businesskonferenzen, den ominösen "blauen Stunden" in denen über Promotion-Strategien, Plattenverkäufe und Parties debattiert wird war bis heute noch kein schreibender Beobachter geladen. Dabei gibt's in der Zentrale der Düsseldorfer Punk-GmbH eigentlich nur Knuffiges zu entdecken...

Die Stimmung war schon mal besser. Heute morgen ist das Video zur neuen Single „Was zählt“ angekommen, und es gefällt nicht. Muss noch mal umgeschnitten werden. Außerdem ist ein Flugzeug auf Queens gestürzt, und in den Dierks-Studios bei Köln läuft seitdem CNN. Wie soll man sich da konzentrieren können? Die Toten Hosen versuchen es trotzdem. Ihr Album muss fertig werden.

Seit sechs Wochen hocken sie hier in der Pampa rum, in Studioräumen ohne Fenster, ohne frische Luft, dafür mit einer Menge 70er-Jahre-Muff. Die Türen sind so klein, dass sich Gitarrist Breiti bücken muss. An den Wänden hängen viele vergoldete Scorpions-„Scheiben“, überall stehen Instrumente herum. Kuddel singt gerade Background-Stimmen ein, der Rest sitzt herum, liest „Süddeutsche“, „Spiegel“ oder „Köhler Express“, ausgerechnet. Campino ist zwar anwesend, aber mit SMSen beschäftigt „I’m not in right now“, raunzt er, nach seiner Meinung zu einem Riff gefragt. Kuddel grinst verständnisvoll und macht alleine weiter. Die Toten Hosen kennen sich nach 20 gemeinsamen Jahren so gut, dass eine kleine Missstimmung keine Katastrophe mehr auslösen kann. „Unser Umgangston ist rau, für Sensibilitäten ist nur auf den Weihnachtsfeiern Platz. Manche Menschen sind schon pikiert, dass wir so wenig höflich untereinander sind“, lächelt Campino – und freut sich, dass er sich nicht mit Floskeln und Formalitäten aufhalten muss. Bei den Hosen braucht es einfach keine tägliche Bestätigung, wie lieb man sich hat.

„Es gibt nur eine Regel, die heißt: Alles oder nichts“, heißt es in einem Song, der heute fertig werden soll und später ,,Du lebst nur einmal“ heißen wird. Und nach dem Motto wird auch aufgenommen: Mit halben Sachen geben sich die fünf nicht zufrieden.

Falsche Vorstellung, die Erste: Die Hosen brauchen doch sicher nur drei Minuten, um ein Lied einzuspielen. Weit gefehlt! Da wird gefeilt und getüftelt – und diskutiert. Gitarrist Kuddel und Schlagzeuger Vom versuchen herauszufinden, warum das Tambourine sich nicht spannend anhört. „Ohne die Betonung vielleicht?“ fragt Kuddel. „Lahm“, konstatiert Andi. Vom nickt. Er redet nicht viel, und wenn, dann nur englisch, obwohl er eine Menge Deutsch versteht. Da Dauer-Produzent Jon Caffery auch Brite ist, kommt im Studio oft ein lustiger Sprachen-Mischmasch zustande. Satze wie „Wie is’n das Timing now?“ wundern einen nach ein paar Stunden nicht mehr. Es dauert lange, bis entschieden ist, ob ein Gitarrenlauf nur „schon hart“ (Kuddel) ist, „gar nicht geht“ (Andi) oder „schräg, aber deswegen doch nicht unmöglich“ (Campino) klingt. Zum Abendessen, pünktlich um 1830 Uhr, gibt es Schweinebraten und Klöße. Campino bemerkt, „dass Rotkohl unterschätzt ist“. Viel geredet wird nicht, alle scheinen ein bisschen müde und ein bisschen geschafft – und sehr angespannt. „Wenn du so lange hier sitzt, weißt du irgendwann gar nicht mehr, was gut ist und was nicht“, seufzt Breiti. Gerne erinnert man sich an die Aufnahmen in Spanien zurück – „da konnte man wenigstens durchs Fenster die Sonne sehen“. Außerdem musste man sich da noch nicht abschließend und endgültig entscheiden, welche Songs nun auf dem neuen Album sein sollen. Damak hieß das Werk auch noch „Depression Deluxe“, inzwischen wurde es in „Auswärtsspiel“ umgetauft – klingt nicht so negativ, und außerdem „wurde der Begriff deluxe‘ zuletzt inflationär benutzt“, meint Andi. Und wenn die Hosen eins nicht wollen, dann Teil der Masse sein. Falsche Vorstellung, die Zweite: Die Hosen sind inzwischen doch so routiniert, da laufen die Aufnahmen sicher wie von selbst. „Die Panik wird immer schlimmer“, sagt Campino, und eine Garantie, dass man immer wieder ein respektables Album zustandekriegt, hat der Band auch noch keiner gegeben. So legen sie sich von Album zu Album immer mehr ins Zeug – und sind spätestens seit „Kaufmich“ nicht mehr die „Fun-Punks“, die bloß von der „Opel-Gang“ oder diversen Alkoholika singen.

Was nicht bedeutet, dass es keine albernen Songs mehr geben soll. Campino will sich da nicht festlegen: „Beide, die ernsten und die lustigen Lieder, haben ihre Berechtigung. Die unbequemeren Lieder möchte ich nicht fallen lassen, aber wir bauen auch gerne mal einen flachen Partyknaller ein, die fallen uns einfach in den Schoß. Wir haben auch diesmal ein Liedchen dabei, das den Intellektuellen manch schwere Minute im Radio bereiten wird.“ Wie sich später herausstellt, heißt dieser Song „Kein Alkohol (ist auch keine Lösung)!“ und übertrifft die „Bommerlunder“ und „Jägermeister“ der Vergangenheit um Klassen. Wer da nicht lacht, ist selber schuld.

Über ihre Rezeption ärgern sich die Düsseldorfer manchmal schon. „Wir werden von Leuten angeschossen, die dann aber die Pogues und deren Weintrinker-Hymnen mögen. Ich kann daraus nur schließen, dass man über die englische Sprache einen anderen Zugang zu Liedern hat“, sagt Campino und zuckt mit den Schultern. Er ist sicher, dass das neue Album gut werden wird, aber manchmal, wenn die Band den ganzen Tag und die halbe Nacht im Studio war, weiß er doch nicht mehr, ob man „alles wegwerfen oder doch veröffentlichen“ soll.

Dann tröstet er sich damit, dass es auch keine Tragödie wäre, wenn die Hosen nicht an die Erfolge von „Opium fürs Volk“ und „Unsterblich“ anknüpfen könnten. „Man muss da runterkommen und sagen: Es ist ja nur eine Platte. Selbst wenn es mal nicht so gut läuft, na und. Du kannst nicht immer in Hochform sein. Auch die Rolling Stones haben mehr als eine Scheiß-Platte gemacht -und überlebt.“ Was nun wiederum nicht heißt, dass Auswärtsspiel“ eine Scheiß-Platte ist Die Toten Hosen stecken nur noch zu sehr in der eigenen Materie, um es beurteilen zu können. Dabei gehören einige Songs zu den besten – und härtesten! – , die sie je aufgenommen haben. Als „Cokaine In My Brain“, einer der englischen Songs, läuft, grinst Caffery ganz begeistert: „Much heavier than the last one!“ Bei „Graue Panther“ muss schließlich jeder feixen, denn da erlauben sich die Hosen ein weiteres Späßchen – auf eigene Kosten. Es geht um Alt-Punks und die undankbare Jugend von heute, die Revolution von einst und die sich langsam einstellenden Altersbeschwerden.

Bei der Auswahl der Lieder, die schließlich auf dem Album landen, gilt: Jeder hat eine Stimme – und im Notfall Veto-Recht. Bloß Vom hält sich ein bisschen zurück – die Qualität der deutschen Texte möchte er nicht beurteilen. Manchmal mischt sich auch Manager Jochen ein, aber meist wissen die Hosen selbst ganz genau, was sie wollen – oder das Zeitgeschehen diktiert es ihnen. Ein Song mit kontroversem Inhalt hat es nicht aufs Album geschafft, der 11. September kam dazwischen. Besonders rührend ist diesmal dagegen „Das Mädchen aus Rottweil“, ein ulkigerweise südamerikanisch angehauchter Song, der von einer Zufallsbegegnung an einer Tankstelle handelt und der verpassten Chance auf ein ganz anderes Leben, das sich Campino durchaus auch vorstellen kann: „Wir sind extrem engagiert, was diese Band betrifft. Es hat wahrscheinlich schon seinen Grund, dass Breiti, Andi und ich nie eine Familie gegründet haben. Ich will jetzt nicht so pathetisch sagen, das sei der Preis, den man bezahlen muss. Aber es ist bestimmt kein Zufall, dass Kuddel, der als Einziger eine Familie hat, viele Dinge um einiges lockerer nimmt.“

Lässigkeit ist die Sache der Hosen nicht, zumindest nicht in Bezug auf ihre Ambitionen. Deshalb fallen ihnen beim Stichwort „Bereuen“ auch gleich ein paar Dinge ein. Andi würde im Nachhinein gern auf „Battle Of The Bands“ verzichten, Campi auf„einiges, was wir gespielt und gesagt haben“ – und vielleicht auf das Weihnachtsalbum „Wir warten aufs Christkind“. Die Idee war ja gut, es sollte ein Spaßprojekt werden- schnell eingespielt, schnell wieder vergessen. „Aber dann haben wir es doch wieder zu ernst genommen und Interviews gegeben und all das. Da hätte man lockerer rangehen müssen.“ Der Aufnahmetag geht heute schon früh zu Ende. Um 21 Uhr ist Schicht. „Das Beste an diesem Studio ist, dass wir alle in der Nähe wohnen“, freut sich Campi. Zu Hause geht es bei ihm zurzeit wohl ruhig zu: „Wenn du elf Stunden lang Kopfhörer um die Ohren hast, fährst du nicht heim und drehst zuerst die Stereoanlage auf. Da sind die Ohren überreizt.“ Kurzfristig entschließt er sich, doch noch mit in eine Kneipe zu gehen – nur auf drei Weinschorlen, der nächste Tag wird schließlich wieder anstrengend. Man redet über Bücher, Bush und Bin Laden, langsam fallt die Anspannung ab. Da kommt ein Obdachloser an den Tisch und will seine Zeitung verkaufen. „Hey Campino“ ruft er – und geht fast selbstverständlich davon aus, dass der schon ein Blatt nehmen wird. Die Hosen sind doch als Helfer aller vom Leben Benachteiligten bekannt. Tatsächlich kratzt Campino sein letztes Kleingeld zusammen. Auf manche Menschen kann man sich eben verlassen.

Gewerbegebiet Düsseldorf, 11Uhr. Drei Etagen hat JKP, die Plattenfirma der Toten Hosen, in einem alten Fabrikgebäude okkupiert. Davor stehen mehrere Autos mit „D-TH._“-Kennzeichen“, drinnen hängen überall Poster, liegen stapelweise Zeitschriften und Zettel herum, Postkarten von Fans und Freunden, Bürokram eben. Die Toiletten sind unisex, „wie bei Ally McBeal“. Ähnlich chaotisch geht es manchmal zu. Heute allerdings nicht. Dienstags gibt es immer eine „blaue Stunde“, die dann gerne auch mal drei Stunden dauert und in der alles besprochen wird, was es zu besprechen gibt. Seit die Toten Hosen JKP gegründet haben, kümmern sie sich um die wichtigsten Geschäftsbelange selbst Kein Spaß, aber eine Entscheidung, die sie laut Andi nie bereut haben: „Manchmal, vor allem wenn man gerade ,nebenbei‘ ein Album aufnimmt, nerven all die Kleinigkeiten schon mal, aber wir wollten es ja so. Wir wollten selbst entscheiden, was wie gemacht wird.“ Campino stimmt zu, mit einer kleinen Einschränkung: „Manchmal sitzt man allerdings schon in den Besprechungen und verzweifelt, weil darüber entschieden wird, ob ein neuer Drucker ins Haus kommt oder nicht. Da fragt man sich schon, was das noch mit Rockmusik zu tun hat Aber wenn man sich nur noch auf die Musik konzentriert und eine große Firma für sich arbeiten lässt, dann muss man schon schmerzfrei sein. Da wachst du vielleicht plötzlich auf und hast einen Riesen-Pro7-Sticker auf deinem Album und bist noch nicht einmal gefragt worden.“ Und das sollte nich tsein.

Im Konferenzraum stehen Brötchen und Obst auf dem Tisch, IKEA-Becher und ein Perry-Rhodan- Wimpel. Der singende Weihnachtsbaum, den sie damals als Rote Rosen als Werbegag verschickten, ist auch noch da. Außerdem anwesend: die Band minus Vom, der nur auftaucht, wenn es um Tour-Angelegenheiten oder ähnliches geht. Manager Jochen Hülder, JKP-Geschäftsführer Patrick Orth und sein Promoter Tim Wermeling. Einen leichten Job haben die drei gerade nicht

Zunächst diskutiert man über die Trikots, die es angesichts des Titels „Auswärtsspiel“ natürlich geben muss. Aber wer bekommt wie viele und kostenlos oder wie? Selbst Die Toten Hosen spüren die Rezession am Plattenmarkt, auch hier wird jetzt schon mal auf die Mark geschaut.

„Wenn Ihr eine Party macht, kostet das doch immer 50 000 Mark“, behauptet Jochen. „Ach Kinder“, sagt Patrick gerne mal, wenn es zu lustig wird und die Konzentration nachlässt Jochen will indes mit Campino wetten, dass dieser garantiert nicht sofort nach der Aufzeichnung der Verleihung der „Eins Live Krone“ nach Hause fahren wird, ohne die Party zu besuchen. 1000 Mark! Aber Campino möchte nicht mitmachen- „hinterher streiten wir uns wieder, was ‘sofort‘ bedeutet“. So angespannt alle sind, so relaxt sind sie doch im Umgang miteinander. Das ist wohl der größte Vorteil daran, wenn man hauptsächlich mit Freunden zusammenarbeitet und solchen, die nicht nur wegen der Qualifikation eingestellt wurden, sondern auch, weil sie verstehen, wie die Hosen ticken.

Zu „TV Total“ ist man eingeladen – ein Vier-Minuten-Auftritt, aber die neue Single „Was zählt“ ist 4.40 Minuten lang. „Spielen wir eben ein bisschen schneller“, schlägt Kuddel vor. Wichtiger ist: Auf blöde Scherze soll verzichtet werden. Verzichtet werden soll von Seiten der Hosen außerdem auf: Interviews mit etlichen Lifestyle-Magazinen, auf manche „Arschloch-Zeitung“ und Auftritte bei den einschlägigen TV-Boulevard-Sendungen. Gut, wenn man es sich leisten kann, wählerisch zu sein! Zu Michel Friedmann wird Campino wohl gehen, aber im Grunde interessiert ihn der Zirkus nicht: „Mir macht es keinen Spaß mehr, im Fernsehen aufzutreten. Ich fühle mich ganz wohl dabei, mich mal etwas zurückzuhalten. Mich hat genervt, dass Leute mir unterstellen, ich wolle mich nur produzieren und es ginge mir nur um mich selbst. Aber darauf kann ich scheißen. Ich kann meine Meinung auch nur für midi aufm Klo aufsagen, dann bin ich genauso glücklich.“ Manchmal sei er auch mit einer gewissen Intention in eine Sendung gegangen, konnte sie dann aber – wegen Zeitmangel oder Misskommunikation – nicht richtig rüberbringen. „Nachher habe ich mich oft gefragt, warum ich eigentlich dort hingefahren bin.“ Also nur noch wenige Talkshow-Auftritte, und zwischen all die Promotion-Aktivitäten bitte immer wieder einen „Durchdrehabend einplanen“. Und Pillen bereitstellen. Nein, nur ein Scherz.

Nebenbei erfährt man noch, dass es die eine oder andere Sprachregelung gibt bei JKP. Einer sagt „Mucke“, da korrigiert Andi sofort: „Musik“, und Jochen ergänzt: „Mucke gibt’s auf der anderen Seite des Rheins.“ Mit Proll-Rock hat das hier nämlich nichts mehr zu tun. Am Ende, nach mehr als zwei Stunden, gehen alle einigermaßen zufrieden auseinander. Campino sorgt sich, ob man nicht zu viel erzählt habe. Schließlich sei bisher noch nie jemand bei der „blauen Stunde“ dabei gewesen, und „manchmal vergisst man, dass da noch einer da ist, der nicht wirklich dazugehört“. Keine Sorge – welche die „Arschloch-Zeitung“ ist und was die Hosen von Cem Özdemir oder Mehmet Scholl halten, wird ja nicht verraten – man würde sich wahrscheinlich wundern.

Die Geschäftsangelegenheiten sind für diese Woche geklärt, zurück zur Musik. Einige Wochen später. Die ersten offiziellen Interviews stehen an. Alles begann mit einem Scherz angesichts des Titels „Auswärtsspiel“: Warum nicht mal eine umgekehrte Homestory machen – Campino besucht einige Journalisten zu Hause, spielt ihnen die fertigen Songs vor, und man spricht bei Kaffee und Plätzchen. Tatsächlich dachte bei der „blauen Stunde“ noch jeder, das sei zu aufwendig, aber nun ist es doch so gekommen: Campino sitzt auf meinem Sofa, man hört sich einige Lieder noch mal an. „Kannst auch die überspringen, die du schon kennst“, offeriert Campino netterweise, dabei ist das gar nicht nötig. Man kann die Songs auch mehrmals hören, ohne dass einem langweilig wird. Wirklich! Bei „Nur zu Besuch“ schießen mir fast die Tränen in die Augen, bei anderen muss ich immer noch schallend lachen. Anschließend besprechen wir noch einmal ausführlich, was vom Jahre übrigblieb.

Nach wiederholtem Hören von „Was zählt“ und auch „Rottweil“ könnte man schon auf die Idee kommen, dass es Dir manchmal leid tut, dass Du keine Familie hast und die Musik für Euch immer noch Priorität hat.

Das ist schon so. Für mich hat es in diesem Jahr (2001) einen Punkt gegeben, an dem ich erkannt habe, dass wir auch einen Preis zahlen für das Leben, das wir da durchziehen. Ich sehe an Kuddel, wie sehr ihm die Familie geholfen hat und welch starker Rückhalt sie sein kann. An der Oberfläche rumlatschen und sich abfeiern lassen, geht auch allein hervorragend, aber wenn mal ein Magenschlag kommt, dann ist es schon schwieriger, wenn man nicht nach Hause fahren kann und da eine Frau hat oder Kinder, die dir zeigen können, dass sich das Leben noch um andere Dinge dreht. Aber bei Andi, Breiti und mir ist das eben nie passiert. Das Leben wäre sicher anders gelaufen, wenn man einen anderen Job gemacht hätte, aber das bedeutet nicht, dass ich das bereue. Ich habe nur gemerkt, dass es schwer ist, Freundschaften aufrecht zu erhalten – mit Frauen oder Männern. Man ist so viel unterwegs und rast durchs Leben und wird oft unsensibel gegenüber langjährigen Beziehungen, die man intensiv pflegen könnte, wenn man häufiger in der Stadt wäre. Irgendwo ist eben immer ein Haken!

Wahrscheinlich führst Du ja auch ein ganz anderes Leben als viele Deiner Freunde von früher.

Aber das ist gar nicht der Grund. Irgendwann, als ich 20 gewesen bin, habe ich gesagt: Musik ist das Wichtigste für mich in meinem Leben – und habe mich einfach geweigert, in den nächsten 20 Jahren darüber nachzudenken, sondern das immer wie so ein Mantra gesagt und geglaubt. In den letzten Monaten ist mir dann aufgefallen, dass dieser Satz total dumm ist. Völliger Schwachsinn. Ich werde das nie wieder sagen. Musik bedeutet mir sehr, sehr viel, aber wie kann einem sowas wichtiger sein als irgendein Mensch? Jetzt muss nur noch der richtige Mensch kommen, zu dem ich dann sagen kann: Für dich hat sich der ganze Weg gelohnt Das wäre dann das Wesentliche, nicht welche Plättchen man gemacht hat. Das soll nur ein Abschnitt gewesen sein – ein schöner.

Könntest Du Dir vorstellen, einfach von heute auf morgen mit der Musik aufzuhören?

Ja. Aber ich kann mir auch vorstellen, auf dem Mars zu leben. Man sollte nichts ausschließen. Für mich wird allerdings immer klarer, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir so lange zusammen und immer noch echte Freunde sind. Das ist etwas ganz Besonderes, das ich nie leichtfertig aufs Spiel setzen würde. Aber Musikmachen und diese Freunde – das sind verschiedene Dinge. Auch wenn es die Band nicht mehr gibt, werde ich immer noch mit den Jungs zu tun haben. Der Ist-Zustand ist aber noch so, dass ich brenne und immer noch mir selbst was beweisen will – dass man es noch kann, dass es noch knallt Dass man, obwohl man auf die 40 zugeht, noch Power hat und nicht satt wird. Klar ist aber auch: Wenn es die Band irgendwann nicht mehr gibt dann werde ich auf keinen Fall ein Solo-Projekt machen oder mit anderen Leuten etwas starten wollen. Daran habe ich überhaupt kein Interesse.

Das Aufnehmen wird ja anscheinend nicht leichter, aber innerhalb der Band wird die Zusammenarbeit doch sicher einfacher, wenn man sich so gut kennt?

Das kann ich so nicht sagen. Diese Platte hat sehr viel Energie gekostet, das war keine lockere Party von 14 Tagen, und da ist gar keine Scheiß-drauf-Einstellung dahinter. Das Album ist mir sehr wichtig. Das Zusammensein ist zurzeit schon sehr entspannt das stimmt 2001 war musikalisch gesehen für uns ein gutes Jahr, in Spanien war es wie in einer Jugendherberge. Wir kennen uns in- und auswendig – und wir können uns aus dem Weg gehen, wenn wir wissen, dass der Andere gerade angespannt ist Die Schwierigkeit ist die eigene Messlatte. Man will einerseits die Energie von früher erhalten und weiter kultivieren und andererseits noch mal die Leute überraschen.

Geht Euch Kritik überhaupt noch zu Herzen? Es kommen ja immer wieder Menschen, die sagen, ihr hättet den Punkrock verraten…

Kommt darauf an, von wem das kommt. Manchmal werfen dir Leute vor, du hättest nichts mehr mit Punkrock zu tun, die selbst schon seit 1979 gar nichts mehr damit zu tun haben. Ich laufe wie jeder andere Mensch Gefahr, manchmal nostalgisch zu werden. Aber ich verbiete mir, über die Zeit damals zujubeln und sagen, das sei das Größte gewesen. Ich schaue nach vorne. Ich habe auch kein Problem, Fehler zuzugeben. Irgendwie sind wir eben übriggeblieben. Wobei man nicht vergessen sollte, dass es, als wir 1982 angefangen haben, dermaßen unhip war, noch in einer Punkband zu sein. Da haben alle über uns gelacht Alle waren schon eine Stufe weiter – und wir die Deppen. Und wir sind lange die Deppen geblieben mit dem Zeug, sind sechs, sieben Jahre durch kleine Clubs getourt. Das machst du nicht, wenn du karrieregeil bist. Das machst du, weil du darauf Lust hast. So kalkulierend, wie das heute manchmal dargestellt wird, sind wir jedenfalls bestimmt nicht. Aber es ist mir egal, was andere Leute sagen. Hauptsache, ich weiß das für mich selbst. Wenn ich mir mein Umfeld ansehe, dann sehe ich da Leute, die uns seit 15, 20 Jahren begleiten. Wenn die keinen Spaß daran hätten, wären sie längst abgehauen. Ich weiß nicht, ob wir die Ideologie verraten haben, wenn es die noch geben sollte. Ich kann nur sagen, dass es viele Leute lange mit uns ausgehalten haben, und das ist schon was wert.

Warum seid wohl gerade Ihr „übriggeblieben“?

Wir haben eben einfach immer weitergemacht, auch bei Durststrecken. Und ich kann für mich sagen, dass ich mit Leidenschaft harte Musik mag. Das ist mein Ding, keine modische Erscheinung oder eine Phase. In den 80er Jahren fand ich sogar WASP okay, heute Papa Roach. Natürlich ist das manchmal Kinderkacke, was die singen. Aber ich liebe auch bis heute Social Distottion und Green Day und Bad Religion. Das war nie eine Frage von Durchhalten, sondern einfach Leidenschaft.

Wieviele Kompromisse muss man denn im Laufe von 20 Jahren im Musikgeschäft machen?

Für mich ging es eigentlich nie um die Kohle. Ich fand es schon toll, berühmt zu sein und volle Hallen zu haben. Das genieße ich noch heute. Natürlich haben wir auch Fehler gemacht. Aber ich glaube, wenn man mit der Plattenindustrie nicht arbeiten will und sich in keiner Weise darauf einlassen will, dann darf man gar keine Platten machen. Dann muss man für sich im Proberaum bleiben. Am Anfang haben wir selbst gar nicht an die Charts gedacht, aber mit der Zeit fanden wir es schon gut, dort vertreten zu sein. Und heute sind die Charts eben der einzige emotionslose Maßstab, der nicht bestochen werden kann. Wenn die Leute keinen Bock auf deine Platte haben, wird sie nicht gekauft, und du bleibst darauf sitzen. Das ist dein Zeugnis. Aber wenn sie gekauft wird, dann stopft das schon auch einigen Leuten die Fresse. Die Kritiker können bellen, wie sie wollen, wenn das Album trotzdem auf die Eins geht

Gerät man nicht irgendwann in Versuchung, eine Nummer eins schreiben zu wollen?

Egal, welche Fehler wir gemacht haben, eins weiß ich hundertprozentig: Wir haben nie Musik für Zielgruppen geschrieben und nie Musik für Erwartungshaltungen. Wir haben immer im Proberaum unsere Stücke gemacht und ausgeblendet, was andere davon halten werden. Wenn das Album fertig ist, fragt man sich natürlich, ob das einer hören will. Aber im Studio halten wir solche Überlegungen raus.

Aber bestimmte Erwartungen sind ja durchaus positiv. Man kann sich zum Beispiel kaum vorstellen, Euch in der Werbung zu sehen oder zu hören.

Das stimmt und es macht mich glücklich, dass unsere Anhänger in uns mehr sehen als eine Band, die nur ein paar Liedchen abliefert. Die können durchaus noch von uns enttäuscht werden – etwa, wenn wir unsere Musik für Werbung hergeben. Ich kann mich nicht hinstellen und für Hamburger werben, das geht nicht Wir wurden schon von großen Firmen in der Liga von Coca Cola gefragt, aber wenn wir sowas machen, dann nur, wenn das Geld nicht in unsere Taschen wandert. Wenn wir jetzt mit einer Altbier- Brauerei einen Sponsoren-Deal machen, dann deshalb, weil dieses Geld komplett an die Fortuna Düsseldorf geht. Daran haben wir uns nicht bereichert. Ich lebe ja so ganz gut – warum soll ich Werbung machen? Unser Name steht noch für etwas, das nicht so leicht zu bestechen ist. Warum sollen wir den für Geld hergeben? Ich weiß natürlich nicht, wie ich reagieren würde, wenn die Band konkurs wäre und die Steuerfahndung hinter uns her… Aber so ist es nun mal nicht Und ich sehe auch nicht, dass wir in der Zukunft zu kriegen sein werden.

Im Frühjahr geht Ihr wieder auf Tournee. Ist Dein Kreuzbandriss, den Du Dir bei „Rock am Ring 2000″zugezogen hast, wieder völlig ausgeheilt?

Manchmal denke ich nicht mal mehr daran, das Thema ist durch. Dabei hat mir der erste Arzt nicht viel Hoffnung gemacht Er sagte, ich solle eben das Fußballspielen vergessen, das Herumspringen lassen und vielleicht irgendwann mal wieder ein bisschen joggen. Keine tollen Zukunftsaussichten. Dem wollte ich dann beweisen, dass man auch mit Ende 30 das Bein wieder voll herstellen kann. Ich war ein echter Streber in der Reha – ein halbes Jahr lang montags bis freitags fünf Stunden Sport samstags zwei. Das war ein völlig anderes Leben. Und ich bin sehr froh, dass es vorbei ist!

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