Interview mit Olli Dittrich: „Dylan in Westernhagens Begleitband“

Als Parodist und Imitator ist OLLI DITTRICH ein Meister, seine Imbiss-Lamentos in „Dittsche“ gehören zu den Sternstunden des Fernsehens. In seiner neuen Persiflage auf Talkshows verkörpert er alle Gäste selbst. Ein Gespräch über den „Frühschoppen“, Woody Allen, Udo Jürgens, den HSV und die Wonnen von Schallplatten

Seine Kunst versteht er nicht als bloße Parodie – er möchte Geschichten erzählen. Das ist bei „Dittsche“ so, das war bei den improvisierten Dialogen mit Anke Engelke so. Olli Dittrich, der als Musiker begann und in den 90er-Jahren mit der „Wochenshow“ bekannt wurde, hat ein fast einzigartiges Talent für Imitationen, Tonfälle, Gesten und Marotten: Sein verfranster Franz Beckenbauer ist legendär, sein Dittsche ein Denkmal für den Hamburger Schnacker im Bademantel. In seiner neuen Sendung, „Das TalkGespräch“, stellt Dittrich das gesamte Personal einer Plauderrunde selbst dar – die sorgfältig inszenierte Persiflage wird jetzt in der ARD zu sehen sein. Vorher bat der Feinmechaniker der Groteske zum GesprächsTalk – an einer lieb gewonnenen alten Wirkungsstätte in Hamburg.

Wir sitzen in Hamburg-Winterhude im La Brus-chetta, einem Ort, wo der HSV hingeht, wenn er unter sich sein will. Wo Felix Magath im Hinterzimmer nachdenkt und Alfred Draxler Spaghetti isst. Du hast eine Beziehung zu diesem Ort hier?

Ja. In frühen Jahren, ich würde sagen, das waren die 70er-Jahre, hieß das Lokal noch Weltkeller. Und ein paar Schritte um die Ecke ist der berühmte Peer-Musikverlag und das Peer Studio, in dem ich meine erste Single aufgenommen habe, „Ich bin 18“. Die wurde hier produziert von Ulf Krüger, damals auch Bandleader von Leinemann (Hamburger Beatband aus der Onkel-Pö-Szene – Red.). Den hatte ich über meine Skiffle-Band, Abbey Tavern Skiffle Company, kennengelernt, mit der ich als 16-Jähriger in die Szene gekommen war. Daraus ergab sich eine Freundschaft bis heute.

Er hat Dir auch beigebracht, wie man Waschbrett spielt.

Ja. Er hatte mir eines der ersten professionelleren Waschbretter geschenkt.

Du warst damals 18. Das Genre Talkshow war gerade erst nach Deutschland gekommen, Dietmar Schönherr …

… Dietmar Schönherr, Reinhard Münchenhagen!

Verbindest Du persönliche Erinnerungen mit diesen Sendungen? Hat dich das fasziniert?

Absolut.

Romy Schneider?

Na ja, der Auftritt von Romy Schneider und Burkhard Driest (1974 in „Je später der Abend“, der Talkshow von Dietmar Schönherr – Red.), den erinnert jeder – vielleicht auch nur deswegen, weil er immer wieder gezeigt wird.

Vielleicht gab es das ja nie?

Wer weiß, ja, genau! Ha! Alles nur erfunden, könnte aber wahr sein. (lacht) Genau mein Humor! Also wie weit kann man die Täuschung in der Parodie treiben? Die „richtigen“ Leute erkennen jede Nuance, die „falschen“ glauben, das wäre alles echt. An der Nase herumzuführen, indem man nicht strunzlustig übertreibt, sondern eher aufs Glatteis führt – eine besonders schöne Form. Das erste mir ins Bewusstsein gekommene Talkformat war allerdings „Der Internationale Frühshoppen“.

Werner Höfer!

Daran kann ich mich lebhaft erinnern. Mein Vater war Journalist. Wir waren sicherlich eine der ersten Familien, die einen Schwarz-Weiß-Fernseher hatten. Am Sonntag um zwölf wurde immer Werner Höfer geguckt. Und ich saß daneben und verstand natürlich nichts. Ich war vielleicht sechs, sieben oder acht Jahre alt. Mich haben vor allen Dingen diese ganzen Dialekte interessiert und diese kruden Figuren, die durcheinandergeredet haben. Mal hatten sie einen französischen Akzent, mal einen britischen – es waren ja sechs Journalisten aus fünf Ländern –, und sie haben sich über unverständliche Themen gestritten. Und alle haben permanent geraucht. Auch mein Vater natürlich. Irgendwann war auf dem Bildschirm kaum noch jemand erkennbar, und der Fernseher war auch nicht mehr zu sehen, obwohl er drei Meter entfernt stand.

Es gab Wein.

Also eine Trinker-und-Raucher-Runde mit Themen, die man als Kind nicht versteht, selbst wenn man es erklärt bekommt. Aber mit sehr lustigen Leuten.

Ist deine neue Arbeit, „Das TalkGespräch“, die am 27.12. in der ARD zu sehen sein wird, eine Liebeserklärung an das Genre Talkshow?

Liebeserklärung ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Aber mit allem, was ich parodiere, muss ich auch sympathisieren können. Und es muss natürlich irgendwie Relevanz haben. Im TV-Unterhaltungsbereich ist die Talkshow heute das populäre Fernsehformat – neben Castingshows und Quizsendungen vielleicht. Viele, viele Talkshows – viele schöne Vorlagen. Mich hat es beim Parodieren oder beim Spielen von Figuren nie interessiert, sarkastische Botschaften zu transportieren, Leute doof bloßzustellen oder mit dem erhobenen Zeigefinger durch den Kakao zu ziehen. Wozu? Politiker nachzumachen, tages- oder parteipolitisch den Finger investigativ, „aber mit Humor“ in die Wunde zu legen: Das ist nicht mein Metier, das können andere besser. Mich fasziniert eher die menschliche Schrulle, das skurrile, unfreiwillig Komische oder Entgleiste. Das können Kleinigkeiten im Auftreten sein, ein sonderlicher Sprachduktus, eine besondere Körperhaltung, ein Kleidungsstil, Haar- oder Barttrachten. Wenn jemand ein Glas merkwürdig hält oder komisch im Stuhl sitzt, während er sich bemüht, etwas besonders Wichtiges zu sagen, es aber nicht hinbekommt. Deswegen der Bogen zu Werner Höfer: Das war toll damals, ich habe diese Leute nachgeäfft, ohne zu kapieren, was sie eigentlich zu sagen hatten. Sie waren einfach oft unfreiwillig komisch.

Du legst Wert darauf, keine existierende Talkshow nachzuempfinden, sondern höchstens zu zitieren.

„Das TalkGespräch“ bedient sich der üblichen visuellen Chiffren und ist im Grunde ein Destillat aus dem, was Talkshows heutzutage bieten. Dazu muss man das Fernsehen nicht neu erfinden, man findet aber ohne Mühe eine neue Variante. Gesprächsgäste sitzen halt zusammen und quatschen. Jeder hat ein neues Produkt anzupreisen: Buch, Film, Tournee, CD. Mal sind es kleine Sofas, die über Eck stehen, mal einzelne Sessel im Halbrund. Gäste sitzen nebeneinander oder in einer Reihe, der Talkmaster sitzt links oder rechts oder in der Mitte. Und wie sieht es dahinter aus? Eine diffuse Skyline oder Mauersteine. Oft in Orange oder Weinrot, auch mal Hellgelb, Beige oder, im Late-Night-Bereich, cool in Blau gehalten. Daran haben wir uns orientiert – ein Worst oder Best of Talkshow, wenn man so will.

Eine Qualitätsreferenz war für dich Woody Allens Film „Zelig“. Zelig greift als erfundene Figur in die Geschichte ein. Wir glauben danach, dass er tatsächlich hinter Hitler gestanden hat, und wir glauben, dass Hitler ein mäßiger Witzeerzähler gewesen ist. Dieser Qualitätsreferenz bist du sehr nahegekommen in deiner neuen Parodie.

Das ist jetzt sehr hoch gegriffen.

Keineswegs. Stichwort „Wembley“. Oder verrate ich zu viel?

Talkshowgäste – wer wüsste das besser als du, Hubertus! – sind ja archetypische, immer wiederkehrende Gestalten, nur mit jeweils anderen Namen. Auch bei uns: die reife Alt-Mimin Trixie Dörfel, der nassforsche Eigengewächs-Reporter Sandro Zahlemann aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, der Singer/Songwriter Platzhirsch, der verstrahlte Tierfilmer Andreas Baesecke, der alte politische Haudegen Hauche Roche-Baron. Nach über 50 Jahren Politjournalismus hat dieser Mann ein Buch über seine Begegnungen mit den Großen der Weltpolitik verfasst. Und zeigt bei uns einen Film, den er als junger Journalist während der WM 1966 in Wembley mit einer Schmalfilmkamera gedreht hat. Enthüllungsjournalismus pur.

Und wir dürfen uns auf Material freuen, das bisher …

… das bisher noch keiner gesehen hat. Denn wie er selber sagt: „Das lag bislang in meinem Safe in Straßburg.“

Nach welchen Kriterien suchst du deine Vorlagen aus?

Für diese ARD-Formatreihe ist Ausgangspunkt, dass ich in möglichst vielen Figuren auftauchen kann. Sei es in Einspielfilmen, in Dokumentationen, in Reportagen oder – wie jetzt in „Das TalkGespräch“ – gleichzeitig nebeneinander sitzend und teils miteinander sprechend in einem Bild. Und das nicht nur in festen Close-up-Einstellungen, sondern alle Figuren sind oft gleichzeitig zu sehen. In Totalen und, was das Besondere ist, in Bewegung. Zwei bewegliche Kamerasysteme, ein Kran, eine horizontale Schienenkamera. Hierfür haben wir mit dem sogenannten Motion-Control-System gearbeitet. Weltweit verfügen überhaupt nur fünf Firmen über das Equipment, das wir am Start hatten. Mit Claudius Pläging habe ich die Sendung komplett bis ins kleinste Detail durchgescriptet und entwickelt, jeden Atemzug, jeden Blickwechsel, jedes Reagieren von Person A auf B auf C auf D. Dann habe ich die gesamte Sendung als Hörspiel produziert, um mir später bei der Aufzeichnung die jeweils fehlenden Talkpartner im eigenen Sprachduktus, Dialekt und Timing passgenau zuspielen zu können. Eine unfassbare Tüftelei, ein unfassbares Vergnügen.

Was kommt als Nächstes aus der Dittrich-Werkstatt?

Das Ganze ist als Zyklus von TV-Genreparodien zu sehen. Ein, zwei Sendungen im Jahr, jede ein Unikat. Wir haben 2013 mit dem „Frühstücksfernsehen“ begonnen, jetzt „Das TalkGespräch“. Ich weiß noch nicht, was als Nächstes drankommt. Vielleicht eine Quizsendung, ein Kulturmagazin, ein Politmagazin à la „Monitor“ oder ein tuffiges Lifestyle-Promimagazin. Mal schauen.

Du bist großer Fan von Uwe Seeler und dem HSV, aber was offenbar nicht auf deiner Liste steht, ist …

… eine Sportsendung, ja. Es gibt ein paar Ideen. Aber möglichst viele Figuren beispielsweise in einer typischen Live-Sportsendung zu platzieren macht die Sache sehr, sehr kompliziert. Reizvoll wäre „das aktuelle sportstudio“. Im Original ein tolles Format, eine TV-Legende. Da kämen wir aber sicher sehr schnell an einen Punkt, an dem wir auch bei der Talkshow waren: Funktionieren wird es nur, wenn wir auch möglichst viele Figuren gleichzeitig im Bild haben könnten. Und das ist großer technischer Aufwand: allein wenn drei schnieke Kicker neben- und voreinander stehen und abwechselnd auf die Torwand schießen. Puh. Machen kann man sicher fast alles, aber man muss auch realistisch sein, was das Budget betrifft.

Du kommst ursprünglich von der Musik, und wir unterhalten uns hier …

… eigentlich über Musik …

… für den ROLLING STONE, der sich mit Musik befasst. Wie steht es um die großen Musikformate der Vergangenheit, also „Beat-Club“, „Musikladen“, „Formel Eins“: Ist das auch in Planung?

Fernsehformate, die zu sehr der Vergangenheit angehören, sind für diesen Parodie-Zyklus wohl nicht so geeignet, obgleich es da sicher viele Steilvorlagen gibt. Man muss unter Umständen zu viel erklären. In meinen zwei bisherigen Ausgaben gibt es aber durchaus auch reine Musik-Sequenzen, allerdings Einzelauftritte. Im „Frühstücksfernsehen“ war es eine Bob-Dylan-Parodie, im „TalkGespräch“ präsentiert Platzhirsch sein Debüt-Album und performt den Titelsong. Außerdem dichten wir ihm eine langjährige Mitgliedschaft in der Begleitband von Westernhagen an und haben ihn im Probenraum bei Marius und Band mit der Kamera beobachtet. Absolut authentisch, topaktuell, könnte bei MTV laufen. Marius ist ein absolutes Ass. Er hat sofort zugesagt, als ich ihm erklärt habe, was ich da vorhatte. Der Dreh war schnell, unkompliziert und auf den Punkt.

Im Stil der Zeit.

Genau. Du hast Woody Allens „Zelig“ angesprochen, aber der große Meister dieser Mockumentaries ist natürlich Christopher Guest. „This Is Spinal Tap“ (urkomische Pseudo-Doku über eine fiktive Heavy-Metal-Band – Red.) ist sein Werk, und „A Mighty Wind“, eine Parodie auf die US-amerikanische Folk-Szene. Wenn du das anguckst, denkst du, das wäre wirklich alles echt, das hätte es so gegeben. Auch „The Rutles: All You Need Is Cash“ mit Monty Python Eric Idle ist grandios oder die britische Reportage-Serie „The Living Dolls“ über eine Band, die in England durch die Clubs tingelt. Hervorragende Referenzen, wenn es um Parodien aus der Musikszene geht.

Bist Du noch ein Mensch, der LPs hat, CDs kauft – oder bist du digital unterwegs?

Ich finde es immer mal wieder reizvoll, eine Schallplatte zu hören. Aber es hat in den vergangenen Jahren stark nachgelassen. Ich habe auch keinen wirklich funktionierenden Plattenspieler mehr – aber bestimmt noch rund 500 LPs, die trocken und warm archiviert in meinem Lagerraum stehen, da, wo auch meine Schlagzeuge und eine ganze Menge Gitarren sind. Zu Hause habe ich noch eine kleine Auswahl an CDs, höre aber tatsächlich so ein bisschen von der Hand in den Mund. Und auf das, was aktuell und wirklich hörenswert ist, weist mich mein vierzehnjähriger Sohn hin. Der kennt sich total aus, findet und hört echt gutes Zeug. Und er spielt auch schon spitze Klavier, da kann ich schon lange nicht mehr mithalten. Mit zehn hat er mich mal am Telefon gefragt: „Papa, kennst du ‚Eleanor Rigby‘?“ Da war ich echt baff. Und mit elf hat er mir schon Links zu Videos von Travis, Snow Patrol und Coldplay geschickt. Wunderbar. Die guten Sachen werden irgendwann immer entdeckt, heute findet und verbreitet man natürlich alles viel schneller. Andererseits: Das haptische Erlebnis, die Romantik, die mit dem Erwerb und dem Besitz einer Schallplatte verbunden war, ist natürlich verloren gegangen. Von den Booklets angefangen, die man minutiös studiert hat …

… weil man wissen wollte, wo das Album aufgenommen wurde.

Ja, so etwas wollte man wissen. Und manchmal konnte man das Begleitheft ausklappen, viermal, sechsmal, achtmal auseinanderfalten und hatte dann ein Poster. Und lange auf ein neues Album gespart und gewartet hat man auch. Es besaß eine viel höhere Exklusivität damals, Musik zu besitzen, Platten zu sammeln. Mit 17 hatte ich endlich meinen Dual-Plattenspieler und war stolz wie Oskar, denn ich war damit in meiner Klasse ganz weit vorne. Man traf sich nachmittags, saß zu fünft oder zu sechst um diesen Plattenspieler und die zwei Boxen herum, hörte Musik von Simon & Garfunkel, trank Fanta und lernte Vokabeln.

Wurdest du in der Schulklasse eigentlich wegen deines Musikgeschmacks gehänselt? Elton John, Paul Simon, Udo Jürgens – das war ja bestimmt nicht das, was die Mitschüler cool fanden.

Klar, da wurde schon die Nase gerümpft. Wenn man zu uns nach Hause kam, sah man gleich das große „Udo ’70“-Poster über meinem Etagenbett – da hatten andere natürlich Deep Purple oder Led Zeppelin an der Wand. Aber ich hatte zwei Klassenkameraden, die auch große Udo-Jürgens-Fans waren. Mit den beiden war ich dann auch in der Musikhalle und habe Udo Jürgens auf seiner legendären „Udo ’70“-Tour gesehen. Unvergesslich, ganz, ganz groß! Hinterher habe ich mich dann auch angestellt, um mir ein Autogramm auf meine Eintrittskarte zu holen. Er hat aber nur „Udo“ draufgeschrieben, da war ich etwas geknickt.

Vermutlich warst du der einzige Mann in der Autogrammjägerschlange.

Weiß ich gar nicht, aber denkbar. Allerdings: Vor zehn Jahren, als Udo Jürgens 70 wurde, gab es in der ARD eine Gala, in der ich mit dem Gitarristen Ralf Hartmann auftreten und ein Lied von Udo singen durfte. Anschließend, beim Talk mit Udo und Sandra Maischberger, habe ich die alte Eintrittskarte herausgeholt, und er hat, knapp 30 Jahre danach, den Nachnamen hinzugefügt.

Was ist für dich das Udo-Jürgens-Lied schlechthin?

„Immer wieder geht die Sonne auf“, ein Jahrhundertsong.

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