Jan Costin Wagner – Traurigkeit, die glücklich macht

Die Lieblingslieder des Schriftstellers Jan Costin Wagner sind sehr lang - am liebsten mag er die von Talk Talk.

Als ich etwa 15 Jahre alt war, fragten mich meine Freunde gerne, warum ich ständig diese melancholische, um nicht zu sagen depressive, schlechterdings nicht zu ertragende Musik höre – und ich antwortete wahrheitsgemäß, dass mich diese Musik aufbaue und zu einem zufriedenen Menschen mache.

Tatsächlich haben mich die Musiker aus meiner Jugendzeit bis in die Gegenwart hinein begleitet und ich ertappe mich dabei, dass ich im CD-Regal nach neuen Werken von Bands suche, die es längst nicht mehr gibt – da war der artifizielle, aber eben doch ehrlich emotionale Existenzialismus der frühen Genesis (mit Peter Gabriel als Blume); die Dynamik von Marillion (vor allem der ursprünglichen Band, mit Fish, versteht sich); die rein akustischen Songs von Jethro Tull, und von denen natürlich auch „Thick As A Brick“, überhaupt Konzeptalben, ich erinnere mich noch daran, wie ich meinen Freunden stolz mitteilte, dass mein Lieblingslied nicht billige drei, sondern zehn, 20, ach, was sage ich, 40 Minuten lang sei. Der Musik, die ich selbst komponiere, kommt vermutlich Nick Drake am nächsten, der wie kein Zweiter das ganz große Gefühl in reduziert instrumentierte, unmittelbar ins Herz zielende Melodien gebannt hat.

Mein absolutes Lieblingsalbum stammt aber von einer Band, von der ich nur dieses eine Werk habe und die ich wohl Ende der 80er-Jahre nicht weiter beachtet hätte, wenn sie nicht auf der Höhe des Erfolges auf die interessante Idee gekommen wären, den Pop-Beat in den Müllkorb zu werfen und die Plattenfirma in den Wahnsinn zu treiben. Es ist tatsächlich überliefert, dass die Bosse des Labels von einem Missverständnis, einer fehlerhaften Tonspur oder Ähnlichem ausgingen, als sie „Spirit Of Eden“ ihrer Erfolgsgaranten Talk Talk zum ersten Mal hörten … den langen, gefühlte Minuten langen Ton zu Beginn, das sanfte, auf zwingende Weise zufällig wirkende Einstimmen der Perkussion, das aus dem Off zu kommen scheint, und dann das ganze ungeheuerliche musikalische Kammerspiel, das Klänge aus dem Nichts heraus zu dem großen Ganzen zu formen scheint, nach dem ich mich immer gesehnt habe. Das nächste Album von Talk Talk erschien nicht mehr beim Giganten EMI, sondern bei Polydor, und ein übernächstes hat es nicht gegeben. Doch „Spirit Of Eden“ ist unvergänglich, und auch bei der Antwort auf die Frage meiner Freunde ist es geblieben – die Traurigkeit dieser Musik macht mich glücklich.

Jan Wagners aktueller Roman

„Das Licht in einem dunklen Haus“

ist im Galiani Verlag erschienen. Als Songwriter hat er kürzlich das Album „Behind The Lines“ bei acousticland veröffentlicht.

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