Typewriter

Jenni Zylkas Typewriter: Latte, laktosefrei

Ob man will oder nicht - man ist immer Teil der Gentrifizierung. Gilt sogar für Superhelden

Die 14. deutsche Monopoly-Meisterschaft wurde von einer Berlinerin gewonnen. Die 25-Jährige fährt im August ins chinesische Macao, um gegen die monopolistische Weltelite anzutreten. Und glücklicherweise kommt sie aus Berlins Lieblingsbrennpunkt Gropiusstadt. Für alle Nichtberliner: Da waren die Investoren noch nicht. Da stehen Hochhäuser, keine Altbauten mit „romantischen“ Kohleöfen, die man prima sanieren kann. Da heißt Caffè Latte Milchkaffee. Da gibt’s beim Bäcker gratis Gluten. Auch moderne Soziologen können die Dynamik gentrifizierter Stadtteile nicht schlüssig erklären – in die weit entfernte Gropiusstadt wird es aber voraussichtlich niemanden so schnell ziehen, dafür hängt den Älteren unter den Jungen einfach zu viel original Icke-ditte- Molle-Berlinertum, zu viel Christiane F., zu wenig Stuck/Parkett im Bild.

Die Gewinnerin wird sich hoffentlich etwas zurückhalten mit dem Kauf der Bad- und der Turmstraße und dem anschließenden Weg- gentrifizieren des Nordbahnhofs, um dort ein paar Backpacker-Hostels und Franchise-Coffeeshops aufzumachen. Schließlich hat sie ein Herz für ihre Stadt. Nicht auszudenken, wenn beispielsweise ein Däne gewonnen hätte. Denen, also den Dänen, hatte man ja vor ein paar Jahren nachgesagt, sie eigneten sich mit einem toleranten Skandinavier-Smile die komplette Hauptstadt an. Stimmt wohl gar nicht mehr – wer alles heute in Berlin die Mieten hochtreibt, ist kaum noch auszumachen. Aber falls das beantragte Volksbegehren zum Thema Mietendeckelung kommt, ist klar, wie entschieden wird: Kein Mensch, ob reicher Erbe oder armer Alleinerziehender, will mehr bezahlen, als so eine verdammte Zweiraumwohnung wert ist.

In Michelangelo Antonionis „Blow-Up“ von 1966 fährt David Hemmings als Modefotograf die verschlafene Gegend rund um den Londoner Maryon Park ab, schaut sich einen Antiquitätenladen an, beobachtet Passanten und sagt kurz darauf seinem Manager, dass er diesen vergessenen Laden doch bitte kaufen soll, denn: „Hier gibt’s schon Schwule und Pudel.“ Ein elementarer Fingerzeig in Richtung Hipness. Hemmings, im Film der Held, ist der klassische Gentrifizierer. Er ist genauso schlimm wie Dänen, deutsche Startups und sonstige Risikoinvestoren, auch wenn er um Längen cooler aussieht und der Film ohnehin über jegliche Kritik erhaben ist.

Trotzdem ist jedes Wettern gegen Gentrifizierung, gegen unverschämt steigende Mieten und Versnobisierung geliebter, schmud- deliger Stadtteile notwendig. Wer dabei allerdings eher leisetreten sollte, sind die Ersten, die gekommen waren. Das ist nämlich das größte Problem der Schuldzuweisung: Wer hat’s erfunden: die Schwulen mit Pudeln aus Antonionis Film, die sich bezahlbaren Wohnraum in Charlton ausgeguckt haben? Die „Besserwessis“, die nach 1989 straßenzugweise günstige Häuser in Berlin-Mitte besetzten und sich jetzt aufregen, wenn ein noch größerer Fisch sie ausbootet? Oder doch nur die Fremden aus anderen Ländern, gegen die man am besten wettern kann, weil sie angeb- lich nichts mit der Stadt verbindet?

In der aktuellen, mit spitzenmäßig choreografierten schwingenden Fäusten garnierten Netflix-Serie „Daredevil“ geht es um die Gentrifizierung im New Yorker Stadtteil Hell’s Kitchen, wo die Mieten inzwischen höher sind als in Manhattan: Der blinde Rechtsanwalt Murdock kämpft gegen den miesen Miethai Fisk, am Tag mit Paragrafen, des Nachts mit seinen übersensiblen Sinnen und seiner beeindruckenden Linken. Klar kann man nur auf Daredevils Seite sein: Wer will schon, dass ein Irrer wie Fisk süße puertoricanische Zuwanderer aus der Wohnung drängt?

Dennoch: Auch „Daredevil“ Murdock und seine Freunde, die ihr Büro in Hell’s Kitchen eröffneten, werden bald nach laktosefreiem Latte für ihre Mittagspause schreien, nach veganen Snacks und WLAN auf dem Klo. In dem Augenblick, da Murdock und Nelson sich beruhigt zurücklehnen, weil die Gegend endlich „sicher“ geworden ist, sind sie selbst ein Teil der inkriminierten Veränderung geworden. Man nennt das einen doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus. Und es ist sehr, sehr schwer, nicht daran teilzunehmen. Denn wer will schon in die glutenreiche Gropiusstadt ziehen, wenn man doch woanders zu jeder Zeit eine Tüte vitaminreicher Grünkohlchips futtern kann.

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