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Joe Jackson: Das sensible Chamäleon

Vor 25 Jahren versuchte der Querdenker Joe Jackson mit „Laughter & Lust“ zum ersten Mal in seiner Karriere Musik für die Massen zu machen. Ein Album, das der Musiker fast bereut hätte. ROLLING-STONE-Redakteur Arne Willander über den Mann mit den bunten Krawatten.

ROLLING STONE 11/1994 – ein Artikel aus dem RS-Archiv

Der frühvergreiste Säugling windet sich. Er spreizt die Extremitäten wie ein Laokoon. Sein Blick irrt im Zimmer umher. Die Äuglein blicken misstrauisch und lauernd aus dem blassen Gesicht. Joe Jackson fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Er fühlt sich nicht wohl in dem herrschaftlichen Hotel. Er fühlt sich nicht wohl mit dem Fragesteller. Und manchmal fühlt er sich nicht wohl in seinem Leben.

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Es war noch nie einfach mit Joe Jackson, dem Nonkonformisten, dem Chamäleon, dem Sensibilisten. Ende der siebziger Jahre, als die New Wave im Schwange war, überraschte der spillerige Absolvent der Royal Music Academy mit einem harschen Beat-Album voller Zorn und Chuzpe: „Look Sharp!“ hieß die Maxime, und messerscharf schrie Jackson seine gesammelten Bosheiten über „Happy Loving Couples“ und verlogene „Sunday Papers“ hinaus. „Tell me one more time that love was only my illusion“, giftete er trotzig gegen ein imaginäres Objekt seiner Begierde, und die Trauer und Eifersucht in „Is She Really Going Out With Him?“ summierte exemplarisch allen spätpubertären Weltschmerz.

Joe Jackson hatte es bis ins Radio gebracht

Noch im selben Jahr legte Jackson mit „I’m The Man “ ein linkisch hybrides Hassprogramm nach: „Don’t you know you can’t get near me/ You can only hope to hear me on the radio“- das war den Qualen des Schülers geschuldet, der ehrfurchtsvoll Beethoven lauschte, während die Gleichaltrigen den Schmierlappen Eric Clapton für Gott hielten. Die Attitüde war die eines Schlehmils, die Krawatten waren bunt und lustig. Joe Jackson hatte es bis ins Radio gebracht. Er hatte sich gerächt.

Dann kam die Kunst. Mit „Night And Day “ und einem spektakulären Auftritt im geriatrischen „Rockpalast“ wurde Jackson 1983 populär, der Song „Steppin‘ Out“ zum Hit. Danach: Experimente, Vermischtes, Live-Aufnahmen, Kunsthandwerk, Sophismen, Filmmusiken, die Instrumentalplatte „WillPower“, die fiktive Autobiographie „Blaze Of Glory“ und schließlich das letzte, tragisch missglückte Album „Laughter & Lust“, ein Anbiederungsversuch beim Gesamtrocktrottel, den Jackson selbst für „leichtgewichtig“ hält: „Ich habe es beinahe bereut. Einige Songs auf dem Album zählen zu meinen besten, aber insgesamt war es ein Fehler, den Massen etwas bieten zu wollen, das sie verstehen und mögen können. Dabei waren die Verkäufe, jedenfalls in den USA, nicht besonders gut“

So wird es sich auch mit „Night Music“ verhalten, dem bisher konsequentesten, aber auch obskursten Versuch, eine ästhetische Existenz jenseits des Rock zu finden. Der ehedem zornige junge Mann ist jetzt bereits 40, und er will sich nicht zum Clown machen. Stoisch bestreitet er die frühen Wutanfälle, das sei „alles nicht so ernst gewesen, wie es manchem vielleicht erschien“, vielmehr „einfach Spaß“, auch könne er sich „gar nicht so genau erinnern“, und außerdem sei sein vergangenes Schaffen „nicht mehr relevant“.

Mit Elvis Costello kann Joe Jackson nichts anfangen

Auch die Geistesbrüderschaft mit Elvis Costello, dem anderen großen intellektuellen Wilden der britischen New Wave, lehnt Jackson in der Rückschau ab. „Ich habe ihn zweimal getroffen, aber uns hat nichts verbunden. Er war eher der zornige junge Mann als ich. Er ist es wahrscheinlich immer noch.“ Costellos wunderbare Erinnerungsarbeit „Brutal Youth „findet Jackson „häßlich“, die Texte „voller Gemeinheiten, fast nicht auszuhalten“. Er lächelt mokant. Vermutlich kann Joe Jackson es nicht verstehen, daß der eine seine Geschichte integriert, während der andere sie isoliert.

Über „Night Music“ möchte der Künstler sprechen, aber über dieses prätentiöse, überarrangierte Nichts gibt es kaum etwas zu sagen. „Etwas Schönes“ habe er machen wollen, „etwas, das bleibt“. Maire Brennan von der Folklore-Truppe Clannad trällert neben Opern-Diva Rennee Fleming, und auch ein elfjähriges Wunderkind namens Taylor Carpenter erhebt seine süße Stimme. Nocturnes und Lullabies hat Jackson komponiert; in den Texten gehe es um „Philosophisches“ – um „Verluste“ nämlich, „Leben und Tod“, „Älterwerden“, „Entwicklungen“. Schuld und Sühne?

In Würde altern, wenn man nicht Neil Young heißt – das ist auch Jacksons Dilemma und Aufgabe. Natürlich kann er heute nicht mehr „I’m The Man“ singen, und die Variante der Rolling Stones – die ewige Wiederkehr des Gleichen – wäre dem selbsternannten „Student Of Style“ doch ein wenig peinlich. Denn Jackson stellt höchste Ansprüche an seine Professionalität, ans Handwerk, weshalb er „WillPower“ für misslungen hält: „Ich war damals noch nicht reif genug für die Kompositionstechnik. Vor allem die Arbeit mit synthetischen Instrumenten erfordert genaue Kenntnisse.“

Interesse für die jungen Menschen

Trotzdem klingt auch die Orchester- und Elektronikmusik auf „Night Music“ eklektrischer als Jacksons immer etwas saloppe Adaptionen lateinamerikanischer Stile, Jazz und Pop. Das Verfeinerte an seiner Musik und seinem Habitus, das demonstrative Außenseitertum eines Eremiten hat ihm den Blick auf die Welt nicht verstellt. „Ich lebe in New York“, erklärt er kategorisch als Abwehr gegen Isolationstheorien. „Mich interessieren die 20jährigen, die Generation nach uns Baby-Boomers. Ich gehe auf die Straße, in Clubs, ich spreche mit Menschen. ,Generation X‘ ist ein Schlagwort, das wie alles Pauschale sein Ziel verfehlt Ich glaube, daß die jungen Leute nicht im mindesten daran glauben sie spielen mit dem Image, das ihnen von MTV und Werbung oktroyiert wird. Sie sind schlauer, als die Marketing-Strategen meinen.“ Auf dem Album „Big World“ von 1986 kommentierte Jackson die Zeichen der Zeit mit dem Slogan: „And all the Hippies work for IBM.“ Dafür hat er nur noch ein Lächeln. „So ungefähr lautete das wohl.“

Der früh vergreiste Säugling ist müde und ungeduldig. Er sei jetzt hungrig und müsse sich entspannen. Zur Bekräftigung seiner Hinfälligkeit massiert er seinen Nacken und wendet hektisch den Kopf. Auf dem Weg in die Hotel-Lobby erfahrt er vom Aufenthalt des Kitsch-Pärchens Claudia Schiffer und David Copperfield im selben Gebäude. Da blitzt plötzlich der alte Sarkasmus auf – die Erleichterung eines Mannes, der nur noch in Ruhe gelassen werden will. „Ich habe mir überlegt, was ich noch tun könnte, damit mich die englische Musikpresse endlich zur Kenntnis nimmt Es gibt nur eine Möglichkeit: Ich muß Claudia heiraten.“

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