Johnny Cash – Berlin, Tempelhof; Stoppok – Hamburg, Große Freiheit; Pulp – London, Shepherds Bush Empire

Ein gar schrecklicher Husten hatte Johnny Cash, den Älteren, geplagt, als er das letzte Mal Station machte in dieser Stadt. Unpäßlich war der man in black, untröstlich, trostlos am Abend. Denn John R. Cashjr. trat mannhaft in des Vaters Fußstapfen und gab dessen Hits zum besten. Eine Heimsuchung der unvergeßlichen Art, so rührend wie komisch.

Diesmal bekommt der mäßig begabte und inzwischen Vollbart-bewehrte Sproß nur zehn Minuten des Rampenlichts und Mutter June Carter derer gnädige 20, die sie wie gehabt dazu nutzt, sich durch „Wabash Cannonball“ und andere alte Favourites zu knödeln und den Glorienschein von Mother Maybelle zu polieren. Eine überflüssige Übung, weiß man doch, wie wunderbar und wichtig die Musik der Carter Family war, damals, vor mehr als einem halben Jahrhundert.

Zur Zeit der legendären Bristol Sessions, dem Zeugungsakt des Country & Western, war Johnny Cash, Jahrgang 1932, noch nicht einmal auf der Welt, und dennoch ist seine Erscheinung eine ehrfurchtgebietende. Der Ritt ins Walhalla der unsterblichen Songs beginnt mit „Fulsom Prison Blues“, der Rapport ist unmittelbar und die Stimmung im Zelt eine feierliche. Dabei ist das Publikum so bunt gemischt und Generationen-übergreifend wie sonst nur bei den Stones und Willie Nelson. Das ist schwer zu erklären, und auch Cash himself hat nur eine dunkle Ahnung davon, was es ist, das ihn zum Helden macht und seine Aura so hell erstrahlen läßt. Tatsächlich ist Johnny Cash viel größer als die bloße Summe seiner Repertoires der letzten Jahrzehnte.

Und als ob er das nicht wüßte, sagt er, als er zur Gitarre greift, entschuldigend und kokett: „Eric Clapton ich nicht bin.“ Praise the Lord.

Er hatte die Wohnküche dabei, komplett mit Kühlschrank, Spiegelkugel und Stehlampe. Wobei letztere so aussah, als sei sie eine Persiflage auf das riesige, Kobra-ähnliche Beleuchtungsgebilde, das die Stones auf ihrer Voodoo-Lounge-Tour durch die Lande schleppten. Nur seinen Gitarristen Mario Schulz, der seit Monaten an einer Rückenkrankheit herumlaboriert (gute Besserung!), hatte er leider nicht dabei.

Doch dafür brachte Stefan Stoppok allerbeste Laune und seine Perlen deutschen Liedschaffens mit in die nächtliche Freiheit. Vor einem fachkundigen Publikum, das fast jede Strophe aus dem Effeff kannte und mitsang, schüttete er das Füllhorn seiner Gassenhauer aus – mal augenzwinkernd verschmitzte, mal brüllend komische und manchmal auch ans Herz gehend traurige.

Kompetent begleitet von Keyboarder Danny Dziuk, Schlagzeuger Hans Wallbaum und Bassist Peter Kühmstedt, zog Maestro Stoppok Song für Song andere Saiten auf. Mal war es die berühmte elektrische Mandoline, ein Hackbrett, das ihm ein enthusiastischer und in puncto Instrumentebau versierter Fan bastelte und das von Geige bis Synthesizer so ziemlich jeden Klang abzusondern vermag, dann wiederum waren’s die antiken Klampfen aus seiner Hagstrom-Kollektion, auf denen Stoppok reife Fingerfertigkeit und Finesse bewies.

Vermissen allerdings tat man hin und wieder einen vernünftigen Mix der Gesangsanlage, denn was der Mann am Pult da gelegentlich zusammendrehte und -schraubte, ließ einen Song wie „Aus dem Beton“ etwa wie „Aussm Kartonng“ klingen oder aus „Wenn du weggehst“ „Bissu sechzehn“ werden. Hatte der Tonkutscher aber mal den richtigen Dreh gefunden, dann konnte man sich genüßlich an der Stoppokschen Liedertafel delektieren.

Pulp kommen durch die Hintertür. Nach 15 Jahren scheint ihnen nun endlich der große Erfolg beschieden. Ihr aktuelles Album „Different Class“ schimmert aus Chart-Höhen herab, und die Tickets für das Londoner Konzert sind rar. Die Weiß-wo’s-langgeht-Postille „The Face“ als stummer Seismograph: Auf dem Cover blickt mürrisch und selbstgewiß Oasis-Rüpel Liam Gallagher auf die Brit-Pop-empfängliche Leserschaft herab. „Mad for it!“ überschlägt sich die Euphorie. Doch alles hat zwei Seiten, auch „The Face“ – denn auf der Rückseite wird dezent „Different Class“ beworben. Im Moment, das ist kein Geheimnis, eher schon eine Phrase, überstrahlen Oasis alles – doch was ist, gemessen an 15 Jahren Pulp, schon ein Moment? Musizierend sagen sie uns viel – und dann noch das trockene Rundum-Statement im Booklet: „Please understand. We don’t want no trouble. We just want the right to be different. That’s all.“ Reizend.

An diesem Abend könnten Pulp auf der Bühne Fußball spielen oder auch Sandwiches mit Biolek kreieren – hier in London gibt es für sie nichts mehr zu tun, nicht mal mehr die Erwartungen zu erfüllen. Das bunt zusammengewürfelte, jedoch durch sakrale Spannung unsichtbar verwobene Publikum ist zur Messe erschienen: Bier-Fontänen zu Weihwasser, Schwerter zu Mikroständern und Sänger in den Himmel! Oder aus dem Himmel weg direkt auf die Bühne. Genau die Portion zu wenig düster, die den Begriff Pop noch statthaft sein läßt, überstrahlen Pulp hymnisch all das, was dem Brit-Pop derzeit zugemünzt wird. Hier haben wir es nicht mit Modernem zu tun – hier ist die Zeit nicht von Bedeutung. Glückliche Menschen tragen T-Shirts mit dem Aufdruck „I’m common“ von dannen. In der Tiefe des Raumes blicken glasige Augen gen Bühne – war es das? Und: Was war das? Das war was.

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