KATELL KEINEG ist stilistisch vielseitig, die Hingabe ihres Gesangs aber einmalig

Eine mittlere Katastrophe bahnt sich an. In wenigen Stunden soll Katell Keineg einen ätzend langen Transatlantik-Flug antreten. Und ihr Valium-Vorrat ist erschöpft. (Diesbezüglich empfahl das Soap-Opera-Sternchen Tori Spelling unlängst – frei nach Emmanuelle – den Quickie auf der Bord-Toilette als das probate Mittel gegen Flugangst.)

Keineg sollte sich vielleicht selbst in Trance singen, denn wer je gesehen hat, mit welcher Hingabe sich die junge Waliserin auf der Bühne mit geschlossenen Augen in einen alten Al Green-Song „versenkt“, der ahnt nicht nur, was gemeint ist, wenn sie „Erotik und Spiritualität“ als die zentralen Antriebsfedern ihres Schaffens benennt.

Daß beides vielleicht sogar eins ist, dämmerte Keineg erstmals mit 16, als sie sich den Led-Zep-Film „The Song Remains The Same“ ansah. „Völlig hin und weg“ wollte sie fortan „nur noch Robert Plant sein“. Doch zunächst reichte es nur zu einer kleinen lokalen Karriere als Straßenmusikerin im heimischen Cardiff – nach der Schule und an den Wochenenden. Nächste Stationen nach Schulabschluß: Dublin (wo sie immer noch gern und häufig zu Besuch ist). Nein, ein „rootless drifter“, für den die unstete Wanderschaft identitätsstiftend sei, wäre sie nicht. Pragmatik regierte ihre Ortswechsel: Der nächste Auftritt wollte absolviert, die nächste Liebe gelebt und genossen werden.

Allerdings entbehrt es angesichts ihrer Flug-Phobie nicht einer gewissen Ironie, daß Katells aktuelles und zweites Album ausgerechnet „Jet“ getauft wurde. Ein Titel, der nach dem beachtlichen, aber auch etwas unentschlossenen Debüt „0 Seasons, O Castles“ (1994) eigentlich nur für den kreativen Höhenflug stehen kann: Keineg, weder eine stilistische, Flickenteppiche knüpfende Postmodernistin, noch eine bloß traditionalistische Nachbeterin, gelingt die Gratwanderung zwischen filigranem Folk-Pop und wuchtigem Vollgas-Rock, zwischen Vocal-Mantra und verblüffendem Instrumental-Metal. Alles nur eine Frage gesteigerten Selbstbewußtseins.

Heute habe sie „keine Angst mehr davor, anderen Wünsche nicht zu erfüllen“, wäre gerade deshalb „offen für die Ideen anderer“, weil sie ihre eigenen besser durchsetzen könne. Die Hypothek jener anerzogenen Frauenrolle, die lediglich auf „reagieren und unterstützen“ geeicht ist, hat Keineg abgelegt. Lamentieren ist ihre Sache nicht. Weder führe sie „ach-meine-grausame Kindheit“-Interviews (die auch so völlig „normal“ grausam war wie zig andere), noch könne sie mit Horrorepisoden aus dem bösen Business dienen. Keineg, lachend: „Ich mag mein Label sorry!“

Mag sie auch John Hiatt? In dessen Vorprogramm wird sich Katell Keineg im September auf einer Europatour auch dem hiesigen Publikum erstmals in größerem Rahmen präsentieren. Auf den ersten Blick mag diese Kombination etwas unpassend erscheinen. Doch immerhin: „Bring The Family“ hat Katell im Plattenschrank, und „Stood Up“, John Hiatts grandioses Alkoholiker-Epos, ist ihr davon als „wunderschöner Song“ bis heute in Erinnerung geblieben. Hauptsache, sie hat für den nächsten Abstecher genügend Valium gebunkert. Oder versucht’s tatsächlich, sich im Flieger in Trance zu singen.

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