Keith Richards im Interview: „Es gibt keinen neuen Rock’n’Roll – nur den Synthetikfleischwolf“

Der Gitarrist über die Arbeit an der neuen Stones-Platte, seine X-Pensive Winos und Streit mit Chuck Berry

Nach einer sechsmonatigen Pause ist Keith Richards nun wieder sehr aktiv. „Im Moment bin ich dem Himmel dankbar, dass ich überhaupt arbeiten kann“, sagt er. „Da draußen in der Welt gibt’s erschreckend wenige Dinge, mit denen man sich sinnvoll beschäftigen kann.“ Die Rolling Stones hatten im Frühjahr bereits „Living In A Ghost Town“ veröffentlicht und seitdem die Arbeit an einem neuen Album vorangetrieben: Richards in den USA, Jagger in Europa. „Wir kommunizieren digital und warten auf den Impfstof“, sagt Richards und grinst. „Ich habe inzwischen Tausende von Songs. Ich weiß schon gar nicht mehr, wohin damit.“ Ein anderes Projekt, das ihn derzeit auf Trab hält, ist die Wiederveröffentlichung von „Live At The Hollywood Palladium“, einem Konzert, das er 1988 mit seiner damaligen Begleitband spielte und drei Jahre später als Album veröffentlichte. „Für die X-Pensive Winos wird der alte Keith immer einen besonderen Platz in seinem Herzen freihalten“, sagt er. „Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich überhaupt nicht mitbekommen, dass das Konzert mitgeschnitten wurde. Als neulich jemand zu mir sagte: ,Hey, weißt du eigentlich, dass wir noch zusätzliches Material haben?‘, fiel ich aus allen Wolken. Es war eine verdammt gute Band, die man dort spielen hört!

Sie arbeiten weiterhin an Stones-Aufnahmen, werden bald aber auch wieder mit Steve Jordan von den Winos zusammensitzen. Ist das Ihre Art, neue musikalische Herausforderungen zu suchen?
Herausforderungen? Um ganz ehrlich zu sein, habe ich damit nichts mehr am Hut. 2020 war ein seltsames Jahr. So ein Jahr habe ich schon sehr lange nicht mehr erlebt. Man improvisiert eben und versucht irgendwie seinen Weg durch das Chaos zu finden.

Was ist für Sie der unangenehmste Aspekt der Quarantäne?
Dass es kein Publikum mehr gibt. Was natürlich für jede Band ein Problem ist, vor allem für junge Bands, die nun überhaupt keine Gigs mehr spielen können. Das ist schon hart, aber irgendwie müssen wir uns da durchbeißen. Musik für andere Menschen zu machen ist nun mal unser Beruf.

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Auf dem Album erwähnen Sie, dass Sie einmal von der Bühne des Palladium geworfen wurden, und zwar, als Sie dort 1972 mit Chuck Berry auftraten. Er behauptete später, dass er Sie nicht erkannt habe.
Jajaja, wobei ich meinerseits genauso kurz davorstand, ihn von der Bühne zu werfen. Chuck und ich hatten schon eine sehr  bodenständige Beziehungzueinander. Am Ende mochten wir uns sehr gern, aber um an diesen Punkt zu kommen, mussten wir uns erst mal gegenseitig den Stinkefinger zeigen. Weil … Ach, ich weiß auch nicht warum. Ich bin jedenfalls stolz, dass ich mit diesem Mann arbeiten durfte.

Sie haben sich in Ihrer Karriere immer besonders für schwarze Musiker stark gemacht. Warum?
Weil sie der Grund dafür sind, dass ich überhaupt hier sitze.

Wie haben Sie denn die Black-Lives-Matter-Proteste in der ganzen Welt erlebt?
Das wurde verdammt Zeit! In diesem Land spitzen sich die Dinge zu. Und irgendwie muss man natürlich dazu Stellung beziehen. Aber ich tue mich schwer, mit meiner Meinung dazu hausieren zu gehen, weil ich nun mal kein Amerikaner bin. Ich lebe hier und fühle mich wie einer, aber ich will mich nicht einmischen. Ich klinge fast schon wie Putin: Ich würde es nie wagen, mich in die Wahlen Ihres Landes einzumischen!

„Talk Is Cheap“, 1988 veröffentlicht, war Ihr erstes Soloalbum. Was waren Ihre wichtigsten Erfahrungen aus der Zeit mit Mick, die sich auf diesem Album niederschlugen?
So was wie Erleichterung. (Lacht) Nein, es war einfach nur anders. Es ist eine Gnade, mit den Stones spielen zu können, aber die Band mutiert auch schnell mal zu einem Monster. Wir beide verspürten damals den Wunsch, irgendwas außerhalb der gewohnten Fabrikhalle in Angriff zu nehmen. Wir beide gingen davon aus, irgendwann wieder zusammenzukommen.

Einer der Bonus-Tracks auf dem Album ist „You Don’t Move Me“, womit Sie wohl Mick meinten. Muss man gewisse Grenzen respektieren, wenn man eine derart lange Beziehung am Leben erhalten will?
Nein, da gibt’s keine Grenzen. Der nächste Blechschaden ist immer nur eine Ecke entfernt. Machen Sie sich da mal keine Sorgen, das sind nun mal die Rolling Stones. Das Verrückte an der ganzen Geschichte ist letztlich die Pointe, dass der Song eigentlich gar nicht von der Person handelt, die alle immer dahinter vermuten. Aber ich werde ihren Namen nicht verraten, okay?

Gibt es neuen Rock’n’Roll, der Sie noch bewegt?
Es gibt keinen neuen Rock’n’Roll! (Lacht). Man braucht nicht erst zu suchen. Es gibt großartige Musiker, großartige Sänger, aber für meinen Geschmack wird die Musik heute zu sehr durch den Synthetikfeischwolf gedreht. Wenn man mit dem Synthetisieren anfängt, kann man nicht erwarten, dass am Ende the real thing rauskommt. Aber ich will keine Vorträge halten. (Lacht) Nur so  viel: Sie klingt billig und abgedroschen.

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