Knapp anderthalb Jahre nach seinem letzten Album hat Elvis Costello schon das nächste fertig. Die persönlichen Songs für die neue Kammermusik entstanden auf Tournee

Flughafen Dublin. Leicht bewölkt. 15 Grad – 18 Grad kälter als in München an diesem Nachmittag. Der Taxifahrer begrüßt mich trotzdem im T-Shirt mit einem „Nice weather, eh?“ So ist das im Norden nun mal, und ich bin ja auf dem Weg zu einem Interview mit Costello, dessen neues Werk J^orth „heißt.

Auf der Fahrt zum Hotel kommen wir an einem Innenausstatter vorbei, vor dem ein großes Schild prangt: „Costello“. So heißen hier viele, denn unser Elvis ist irischer Abstammung, den Künstlernamen borgte er von seiner Großmutter väterlicherseits. Costello wuchs als Declan Patrick MacManus in einer sehr musikalischen Familie zunächst in London und nach der Trennung der Eltern in Liverpool auf. Vater Ross war Trompeter, Sänger und ßandleader, Mutter Lillian betrieb einen Schallplattenladen. Eines der ersten Wörter, das der kleine Declan lernte, war „Skin“, weil er im elterlichen Haus so oft Cole Porters,JVe Got You Under My Skin“ gehört hatte. Er kannte Porter, Nat King Cole, George und Ira Gershwin, bevor er seine erste Beatles-Platte kaufte. „North“ist näher an der Musik semer Kindheit ab alles, was er zuvor aufgenommen hat. Die Texte kreisen allesamt um die Trennung von seiner Frau, der Ex-Pogues-Bassistin Gut O’Riordan, und der neuen Liebe zur kanadischen Jazz-Chanteuse Diana Krall.

Im letzten Jahr tourte Costello für Interviews zu seinem rabaukigen „When I Was Cruel“ um die Welt. Um Näheres zu „North“ zu erfahren, muss man nach Dublin fahren – sein Haus liegt von dort nur eine halbe Autostunde entfernt. Diese Nähe zwischen Privatsphäre und Promotionverpflichtung kann man durchaus als Tribut an die Intimität des Albums verstehen.

„North“ kommt über das Klassik-Label, .Deutsche Grammophon“, bei dem vor zwei Jahren auch „For The Stars“, die Zusammenarbeit mit der schwedischen Sopranistin Anne Sophie von Otter erschien, die so manchen Fan irritiert zurückließ. Doch dieses Mal ist nichts verkünstelt, kaum etwas prätentiös. Direkter und bescheidener war Costello selten. Im Hotel wird mir zunächst mein Promo-Zettel abgenommen. Ich bekomme einen neuen. „Eine Formulierung aus der alten Version war Mr. Costello zu persönlich. Es wäre gut, wenn er nicht gleich erführe, dass du das gelesen hast“, flüstert die Promoterin vertraulich.

Auf dem ursprünglichen Blatt stand auf die Frage, was denn der Albumtitel JVorth “ zu bedeuten habe: „That is the direction my heart took me.“ Und nun: „That’s where I’m headed.“ Der Wechsel zwischen euphorischem Mitteilungswahn und späterer Reue thematisiert auch einer der schönsten neuen Songs: „Let me teil you about her/ Hush now, I’ve said too much/ There’s something indescribable I can’t quite catch/ Let me teil you about her/ The way that she makes me teel/ Then draw a curtain on this scene I shan’t reveal.“ Man könnte fast glauben, Costello hätte dieses Szenario passend zum Album inszeniert.

Auf dem Wfegzum Hotelzimmer begegnen wir zig Security-Leuten, die aber nicht für Costello, sondern für den gleichzeitig im Hotel abgestiegenen Pierce Brosnan aufgelaufen sind. Ich würde gerne einen von denen mitnehmen, man weiß ja nie, wie Elvis so drauf ist. „Mach dir keine Sorgen, er hat heute schon zwei Japaner überstanden, die mit ihm über die Zukunft des Rock ’n’Roll reden wollten, und gestern eine deutsche Journalistin, die wissen wollte, was seine Lieblingsfarbe ist Den haut so schnell nichts mehr aus der Bahn.“

Costello lehnt auf einem Stuhl und bestellt sein Mittagessen. Dann nimmt er am Tisch Platz und beginnt mit Korrekturen am von der Plattenfirma herausgegebenen Textblatt. Er trägt einen schwarzen Anzug, eine hässliche violette Krawatte, im Gesicht schimmert ein rötlicher Dreitagebart. Die Haare stehen aufrecht Er hat abgenommen, wirkt nervös, fast verletzlich, bildet man sich ein.

Es ist nicht leicht, dieses Album nach allem, was man weiß, nicht mit der Privatperson Elvis Costello zu verbinden. „Weißt du“, sucht er fast hilflos einen Ausweg, um sich dann doch mit gewohnter Eloquenz zu retten, „es gibt dieses Sprichwort: Schriftsteller ermorden in ihren Büchern ständig Leute, müssen aber dafür nicht ins Gefängnis (versucht ein Lachen, ich versuche auch eins). Bei Musikern denken immer alle, dass die Texte gelebt sein müssen, um authentisch zu sein. Doch wenn du so denkst, versagst du dir eine Menge Möglichkeiten, das auf deine Art zu lesen, eine eigene Bedeutung in den Texten zu finden. Natürlich sind das sehr persönliche Songs, aber es ist letztlich eine Frage der Haltung. Du kannst als Songwriter sagen: ‚Schau dir mein Leben an‘ oder du sagst: ‚Ich weiß, dass diese Sachen wahr sind, denn ich habe sie erlebt Vielleicht findest du dich in diesen Erfahrungen selbst wieder.‘ Das ist mein Ansatz auf diesem Album.“

Die Texte sind auf „North“ so direkt und einfach, wie man das vom Meister des eloquenten Wortwitzes (der im Gegensatz zu etwa Randy Newman, eher zu viele als zu wenige Wörter benutzt) bisher nicht kannte, „Wenn ich einen komplizierten Song schreibe, lade ich die Leute ein, ihren Intellekt und ihre forstellungsgabe einzubringen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, worum es da geht. Die einfacheren Songs auf diesem Album sind eher eine Frage der Emotion als des Intellekts.“

Entstanden sind die neuen Stücke alle während der „When I Was Cruel“-Tour mit den Imposters. „Die meisten Songs habe ich nach den Shows am Piano geschrieben, bis sie mich aus der Halle geworfen haben, oder spät nachts im Hotel. Ich hab sie mir dann selbst leise vorgesungen und das hat mir so gefallen. Daher singe ich sie auf der Platte quasi mit meiner Sprechstimme. Ich wollte, dass das ganze Album so nah wie möglich an meiner natürlichen Persönlichkeit ist Früher habe ich häufig versucht, beim Singen höhere Tonlagen zu erreichen, was mir nicht immer gelang. Das brachte eine gewisse Dramatik. Manchmal war das auch etwas überambitioniert. Doch diese Songs sind ganz im fertrauen auf meine Stimme entstanden.“

Wie ein Getriebener habe er an diesen Stücken gearbeitet. Zunächst in einem Schub geschrieben, dann acht bis zehn Stunden täglich Aufnahmen im Studio und danach ein paar Stunden im Hotelzimmer Ausarbeitung der sparsamen, aber wirkungsvollen Arrangements. „Es ist gut, wenn dich etwas antreibt und du keine Kontrolle mehr hast, sondern deine Idee dich zur Arbeit zwingt Auch wenn du dann nicht mehr zum Schlafen kommst.“ Anders kann man sich den Workaholic Costello auch gar nicht vorstellen. Er scheint ja immer zu arbeiten, schreibt Songs für Soundtracks, andere Künstler (jetzt etwa für Diana Krall) und hat auch schon wieder jede Menge Material für ein Album, das er – bevor „North“ dazwischen kam – mit den Imposters in einigen kleinen amerikanischen Clubs live aufnehmen wollte. „Eigentlich bin ich faul“, wehrt er ab. „Neulich habe ich zu Hause aufgeräumt und Dutzende nicht zu Ende geschriebener Songs gefunden.“ Dann kommt das Essen.

Elvis räumt das Haus auf? Ja“, sagt die Promoterin nach dem Interview, „er sitzt aufgepackten Koffern. Er zieht hier weg.“ Noch ein Stückchen weiter in den Norden? Nach Kanada vielleicht.

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