Kritik: Pixies live in Berlin – Jetzt pfeift er auch noch!






Kritik: Pixies live in Berlin – Jetzt pfeift er auch noch!


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Das jüngste Pixies-Album ist sehr gut, das beste – allerdings auch einzig gute – seit der Reunion von 2004. Aber das reicht nicht, um so gut zu sein, wie die Pixies vor ihrer einstigen Trennung waren. In keiner der 42 Minuten und 4 Sekunden des Albums klingt „Doggerel“ nach den Pixies, als sie von 1987 bis 1991 die Welt verzauberten: nach Kindermelodien zu Texten, in denen es um Selbstkasteiung geht, nach Satanismus und Selbstbefriedigung, nach allem, was man nicht fassen kann, wonach man die Eltern aber nie befragen würde. „Doggerel“ klingt nicht nach Black Francis, sondern nach Frank Black, der Robbie Robertson, oder noch lieber Neil Young sein möchte, und nun zu „Pagan Man“ glückselig seine Melodie pfeift.

Pixies und Pfeifen? Ja, das ist die Diktatur nach Black Francis 2023 (in „Bailey’s Walk“ pfiff er 1989 zwar auch schon, aber das war eher ein drohendes Pfeifen). Weil er als Solomusiker mit Blues und Country keinen Erfolg hatte, muss seine alte Truppe nun diejenigen Lieder intonieren, die er sonst mit seinen Mietmusikern spielen würde, die er „The Catholics“ nannte, denen aber der Trademark-Bandname fehlte. Fällt es Black Francis denn nicht selbst auf? Von den rund 36 Songs eines jeden Pixies-Konzerts sind rund ein Drittel für aktuelles Album-Material reserviert: Und denen wird zwar freundlich applaudiert, aber sie heißen „Haunted House“ und sind nicht „Debaser“, sie heißen „Nomatterday“ und sind nicht „Bone Machine“. Nun kann man sich fragen, ob Bands nicht das Recht haben, selbstbewusst vor allem ihr aktuelles Album promoten zu dürfen – aber mal eben neun neue Songs am Stück darzubieten, die die Pixies bei der nächsten Tour garantiert nicht wieder spielen werden – wem ist damit geholfen? „The Lord has come back today“? Kann man machen, aber das Moshpit löst sich dabei auf, und alle gehen Bier holen.

Joey Santiago

Die Band-Dynamik sieht auf der Bühne außerdem sehr ungesund aus. Der Diktator am Mikrofon hat seinen Liebling – Bassistin Paz Lechantin, das Nesthäkchen, das er immer wieder anstrahlt, weil sie der Neuling ist, nachdem er Kim Deal, wiederum einstiger Publikumsliebling, vor vielen Jahren aus der Band verabschiedet hatte; und er hat mit Joey Santiago einen höchst begabten Leadgitarristen – in einer Liga mit Andy Summers, The Edge und Johnny Marr –, den er durch Ignoranz abstraft, weil der seit seiner Rehab vor einigen Jahren noch immer nicht ganz auf Höhe ist. Und es stimmt ja auch: Santiago verschludert stets einige Nummern, wie an diesem Abend in der Columbiahalle, „Ana“ zum Beispiel, auch „Blown Away“, das die Pixies schon oft in Berlin spielten, weil es 1990 in den Hansa-Studios aufgenommen wurde. 1990 bekam das schon keiner mit, so wenig, wie am heutigen Abend Francis‘ um Geschichtsschreibung bemühte Ansage zu diesem Lied honoriert wird. Wann immer er etwas Wichtiges sagen möchte, „West-Berlin“, „The Wall“, nuschelt er es weg.

Apropos „Ana“ und „Blown Away“: Beide sind von dritten Pixies-Album „Bossanova“, und es darf sich die Frage stellen, warum Black Francis glaubt, dass seine Fans von diesem Werk – und dem nicht minder unterschätzen vierten Album „Trompe Le Monde“ – seit der Reunion 2004 immer nur das Minimalprogramm hören wollen: „Planet of Sound“,  „Cecilia Ann“, ein Instrumental, das am Anfang, nicht inmitten des Sets intoniert werden müsste – und das war’s meist. Kein „Hang Wire“, „Lovely Day“, „The Happening“ oder „The Navajo-Know“ – alle das letzte Mal 1992 aufgeführt und längst überfällig. Kim Deal mochte diese Songs nicht, deshalb wurden sie, solange Deal Teil der Reunion war, ignoriert. Kim Deal ist aber schon lange weg. Der Weg für die Secret Classics wäre frei.

Zurück ins Jahr 1987. Fünf Jahre lang waren die Pixies die vielleicht atemberaubendste Band der Welt. Sie ließen sich nicht in Worte fassen. David Bowie traf es vielleicht ganz gut, er nannte sie die „Psychedelic Beatles“. Eine ihrer unzähligen Stärken lag darin, in jedem Song schnell ein Ende zu finden. Aufhören, wenn es am schönsten ist.  In ihrem Repertoire befinden sich perfekte Pop-Songs, die nur 1 Minuten und 18 Sekunden dauern, wie „Allison“, und Aggressionsschübe, die jeden Wacken-Song verblassen lassen, wie „Tame“, das 2 Minuten und 2 Sekunden dauert.

Was gut ist, muss nicht verlängert werden, nur weil irgendjemand vielleicht mal gesagt hat, ein Hit müsste mindestens 2:30 lang sein. Und genau hier begeht Black Francis seit vielen Jahren einen großen Fehler. Er zerdehnt seine Klassiker. Ob „Nimrod’s Son“ oder „Mr. Grieves“ – aus den einstigen, schockartigen Eruptionen sind elegische Zerstreuungen geworden. Vielleicht hat Black Francis ja erkannt, dass er Evergreens geschaffen hat. Stücke für das Great American Indie Songbook, die er nicht mehr so schnell loslassen möchte und minutenlang zirkulieren lässt. U2, einst die prominentesten Pixies-Fans, tun das leider auch – auf dem bald erscheinenden „Songs of Surrender“ zerdehnen, zerkauen, schmecken sie ihre Lieder ab, und berauben sie damit ihrer Magie. „Re-Imagening“ hat noch nie funktioniert, das ist ein großer Quatsch.

Mauricio Santana Getty Images