Lana Del Rey live in Berlin: eine unerreichte Sängerin

Einige Zuschauer sind zu Tränen gerührt. Dennoch beweist Lana Del Reys Auftritt: Ihr Material passt in kein Stadion. Die Songs sind zu düster, zu intim, um sie zwischen Bierzelt und Wurstbude im Scheinwerferlicht in die Welt zu trällern.

Wie ein Engel aus dem Jenseits schreitet Lana Del Rey auf die Bühne zwischen den mittelalterlichen Mauern der Zitadelle in Berlin-Spandau zu ihrem einzigen Gastspiel in Deutschland. Über 6000 Fans jubeln, schwärmen. Einige werden später zu Tränen gerührt sein. Die meisten im Publikum sind um die 30. Vielleicht ertragen Jüngere das Morbide ihrer Musik nicht. „Oh mein Gott, sie ist so hübsch!“, hyperventiliert ein Mädchen, „sie ist so zerbrechlich“, sagt eine Ältere.

Die Setlist bietet eine Aneinanderreihung der Publikumslieblinge wie „Summertime Sadness“ und „Video Games“ aus dem Debüt „Born to Die“, gespickt mit den Hits der EP „Paradise Edition“, etwa dem Opener „Cola“. Vom kürzlich erschienenen Album „Ultraviolence“ gibt es als Kostprobe nur das Titelstück und die erste Single „West Coast“. Wurden die neuen Songs nicht mit der Live-Band geprobt – oder traut Del Rey sich noch nicht zu, ihren Fans das große Unbekannte zu bieten?

Was auffällt: Die Arrangements der Stücke sind stellenweise auf Hard Rock frisiert, wie etwa das Finale der Hymne „Blue Jeans“, als sich  Lana wie ein Rock’n’Roll-Girl an den Gitarristen schmust und sich bei „Born to Die“ eine Zigarette anzündet. Aber es ist ein Trugschluss, dass ihre schlafwandlerischen Lieder stadiontauglicher werden, wenn man die E-Gitarren aufdreht. Sie möchte eine Rockperformance liefern, während die Stärke ihrer Stücke in der Introvertiertheit liegt. Von Lana Del Rey bekommt man, entgegen böser Zungen, keine Show. Für eine Entertainerin ist sie zu sehr bei sich, eine Musikerin, die hier und da höflich ins Publikum winkt und lächelt.

Darin liegt die Schlüssel-Problematik jedes Del-Rey-Konzerts: die Zerrissenheit, weil die Künstlerin ihre in sich gekehrt wirkenden Stücke ja nach außen tragen muss. Es ist ein Problem der Präsentation, nicht die Unzulänglichkeit ihrer Performance. Lana Del Reys Material passt in kein Stadion. Ihre Songs sind zu düster, zu intim, um sie zwischen Bierzelt und Wurstbude, wie in der Zitadelle Spandau, im Scheinwerferlicht in die Welt zu trällern. Schließlich gibt man sich einer Depression auch eher allein im Bett hin.

Es ist Lana Del Reys bemerkenswertes Talent, in diesem Dilemma die Gratwanderung zu schaffen und ihren Liedern trotzdem Ausdruck zu verleihen. Das ist vor allem ein Verdienst ihrer Stimme, die live umhaut: Es ist unerreicht, wie Lana Del Rey es vollbringt, jede Silbe, jede Note mit Bedeutung zu füllen. Sie singt nicht einfach, sie trägt Geschichten vor. Mal interpretiert sie artikuliert, dann spielerisch vernuschelt, schmust sich an die Töne, wimmert, trällert, betört.

Andere singen korrekt. Sie singt wahr. Ihre versierte Stimme ist wie das Farbspektrum: mal abgrundtief dunkel, mal operettenhaft hell. In ihrer Musik institutionalisiert sie Trauer, Wehmut, Sehnsucht – wie ein Foto, dessen Farben man verstärkt. Die Gefühle werden dadurch nicht falscher, sondern intensiver.

Dass Lana Del Rey ihre Songs auf andere Kunstformen ausweitet, sie auf Videokanälen zeigt, oder zu ihren Liedern jeweils einen verschiedenen Look präsentiert –  das ist nicht künstlich, sondern künstlerisch. Wer sich darauf nicht einlassen kann oder möchte, wird sich vermutlich weiterhin mit Lippe, Nase, Künstlername und ähnlich Irrelevantem aufhalten.

Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass gerade ihr, die jede Gefühlsregung aufrichtig besingt und sich bisweilen zu offenherzigen Äußerungen in Interviews hinreißen lässt, immer wieder vorgeworfen wird, ein Fake zu sein. Vielleicht wird Lana Del Rey auch deshalb oft von Kritikern verrissen, weil es schwer zu ertragen, mindestens aber schwer zu verstehen ist, dass diese Frau viel Widersprüchliches gleichzeitig ist: die Femme Fatale, die hörige Hausfrau, die Ghetto-Lolita, die bösen Buben verfällt, das scheue 28-jährige American Girl. Die Lebensmüde, die Liebeshungrige. Das ist kein Entlarven eines unstimmigen Konzepts, sondern schildert die Facetten einer Frau, die nicht so leicht in eine Schublade zu stecken ist wie die Abziehbilder Miley Cyrus oder Lady Gaga. Das ist nicht Retro. Im Pop-Business ist diese Vielschichtigkeit Avantgarde. Die Gegensätze sind sogar in ihrem Konzert-Outfit verbildlicht: das einerseits hochgeschlossene, andererseits beinfreie, dabei unschuldig-weiße Frack-Kleid.

Alle paar Songs wird die Absperrung näher nach vorn geschoben, woraufhin die Massen zur Bühne drängen. Immer wieder steigt Del Rey zu den Fans in der ersten Reihe, trägt Tüten, Pakete, Briefe auf die Bühne, setzt sich den Blumenkranz eines Fans auf.

Der letzte Song „National Anthem“ wirkt neben den neueren Radikal-Slow-Motion-Stücken mit seinen Billig-Beats und Lanas haspeligem Rap wie Trash. Zum Finale schrammelt sich die zurückgelassene Band eine Viertelstunde lang durch Loops, während Del Rey die Fans im Graben knuddelt, küsst, sich knipsen lässt. So viel zum Thema „distanzierte Diva“. Dem restlichen Publikum bleiben von diesen Liebesbekundungen nur Leinwandbilder.

Nach rund 70 Minuten verschwindet Lana mit beiläufigem Winken von der Bühne. Die überrumpelten Zuschauer vergessen, ordentlich zu klatschen. Die Abbauhelfer signalisieren: Auf eine Zugabe dürft ihr nicht hoffen. Elvis has left the building.

„Cola“: 

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