Neunte Kunst

Es ist lustig, sich vorzustellen, dass Karl Marx mal jemandes Boyfriend war

Die Comics der Schwedin Liv Strömquist sind mittlerweile Standardwerke des Feminismus. Vielleicht auch, weil sie sich mit dem (Liebes-)Leben Prominenter auseinandersetzt.

Wissen sie, wer Josef Stalins Frau war? Keine Angst, das wird hier keine Geschichtsprüfung! Aber die schwe­dische Comiczeichnerin Liv Strömquist wird Sie mit viel Witz und Wut auf­klären, damit Sie nicht länger im Dunkeln tappen: Nadeschda Allilujewa-Stalina heiratete den Diktator, als sie 18 und er 41 Jahre alt war. 14 Jahre später ­entschied sich die junge Frau für den Freitod, buchstäblich gefangen in der Beziehung und ­zudem eifersüchtig auf die zahlreichen Geliebten ihres Gatten (der Machthaber warf etwa beim Abendessen Brotstücke in die Dekolletees anderer Frauen).

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Mag die Geschichte von Nadeschda Allilujewa-­Stalina auch sehr dramatisch sein, so sind ähnliche ­Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau in der Geschichte durchaus verbreitet, besonders wenn der Mann in der Öffentlichkeit als Genie galt. ­Diesem Ungleichgewicht widmet sich Liv Strömquist in ihren Comics stets aus einer ungewöhn­lichen Perspektive. Das macht sie so kompromisslos und bissig, dass ihre Bände „Der Ursprung der Welt“ (eine Erzählung über das weibliche ­Geschlecht) und „Der Ursprung der Liebe“ (­eine Abrechnung mit Beziehungskonstrukten) inzwischen als feministische Standardwerke gelten.

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Mit ihrer Aufklärungsarbeit überzeugt Strömquist viele Menschen: „Einmal kam eine junge Französin auf mich zu und sagte, dass sie nach der Lektüre von ,Der Ursprung der Liebe‘ mit ­ihrem Freund Schluss gemacht habe. Das Buch gab sie ihrer Schwester, die daraufhin ebenfalls ­ihren Partner verließ, und die gemeinsame Freundin der ­beiden tat dasselbe.“ Manchmal erzählen Leser ihr, dass sie wegen der Bücher Beziehungen eingegangen seien oder feministische Lesesalons gestartet hätten. Strömquist hat einen eher unakademischen Anspruch und will junge Schülerinnen und deren Mütter genauso erreichen wie Teilnehmer von Gender-Seminaren.

„Meine Mutter gab sich kreativ völlig auf“

Die 41-Jährige spürte dieses kulturelle Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bereits als Kind: Beide Eltern sind ausgebildete Künstler, doch Strömquist schaute nur ihrem Vater bei der Arbeit zu – die Mutter unterbrach ihre Karriere für die vier Kinder. „Mein Vater saß ständig am Klavier, spielte Gitarre oder machte Kunst“, sagt sie. „Meine Mutter dagegen gab sich kreativ völlig auf.“ Jahre später –Strömquist war inzwischen selbst eine erfolg­reiche Künstlerin – inspirierte diese Be­ob­achtung sie zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Kunst: Die Frau sollte mehr sein als eine ­Muse, die sich dem Mann hingibt; eine ­Mutter, die sich auf­opfert; eine Geliebte oder schlicht ein ­Objekt.

Auszug aus dem Comic „I'm Every Woman“ von Liv Strömquist (avant-verlag, 20 Euro)
Auszug aus „I’m Every Woman“ von Liv Strömquist (avant-verlag, 20 Euro)

Für ihr Buch „Einsteins fru“ („Einsteins Frau“) nahm sich die studierte Politikwissen­schaftlerin 2008 die Biografien berühmter Männer vor und erzählte deren Leben aus Sicht ihrer Partnerinnen. Die Auswahl erklärt Strömquist unter Bezug auf ein schlichtes Hauptmerkmal: „Ich wollte, dass die Geschichten witzig sind. Es ist ­lustig, sich vorzustellen, dass Karl Marx mal ­jemandes Boyfriend war!“ Die Künstlerin zeich­nete für das Buch etwa eine Liste der ­unsäglichsten ­Lover der Geschichte, darunter Einstein und eben der Verfasser des „Kommunistischen Manifests“.

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Der Band bescherte Strömquist den Durchbruch. Erst zehn Jahre später erscheint er nun auf Deutsch: unter dem Titel „I’m Every Woman“ (Avant, 20 Euro), ein Verweis auf den 1978er-Hit von ­Chaka Khan. Viele der von Strömquist aus­gewählten Fallbeispiele sind in popkulturellen Kontexten angesiedelt: Priscilla Presleys Ehe mit Elvis, Marge und Homer Simpson oder auch John Lennon und Yoko Ono. Das liege nicht daran, dass die Unter­haltungsindustrie besonders frauenfeindlich wäre, ­erläutert die Künstlerin. Die gleichen Strukturen seien auch in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft erkennbar. Die Popkultur sei nur besonders gut darin, Stereotype und Muster, die für Frauen alles andere als vorteilhaft seien, ­öffentlich zu reproduzieren.

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