Live in Wien: Zehn Gründe, weshalb AC/DC mit Axl Rose fantastisch sind

Axl rennt vorsichtig, ist als Sänger in Topform – und die Chemie zwischen ihm und AC/DC stimmt. Brian Johnson fehlt, aber man kommt nicht dazu, ihn zu vermissen

Gut, wir haben es kapiert: Angus Young denkt nicht daran, AC/DC in Rente zu schicken, solange er selbst noch dabei ist. Es hätte aber auch anständig in die Hose gehen können, im Karriereherbst den langjährigen Frontmann mal eben während der laufenden Tour zu ersetzen, und das noch dazu mit einer polarisierenden und nicht allerorts als Wohltäter verschrienen Figur wie Guns-N‘-Roses-Sänger Axl Rose. Young hat es aber ohne großes Drama einfach getan: Hat die Schuluniform und die Gibson SG in den Koffer gepackt und ist mit AC/DC samt Axl – auch Axl/DC genannt – auf Europatournee gegangen.

Am Donnerstag (19. Mai) bewies die gesammelte Mannschaft im Wiener Ernst-Happel-Stadion auf fulminante Weise, dass Young schon recht hatte mit dem Weitermachen. Zehn Beobachtungen zum Thema Axl/DC.

1. Axl Rose‘ Stimme ist live wieder grandios …

Kein Zweifel: Axl Rose ist in den letzten Jahren nicht immer durch gesangliche Glanzleistungen aufgefallen. Viele erinnern sich beispielsweise noch mit Grauen/Häme an die Rock-in-Rio-Performance von „November Rain“ aus dem Jahr 2011, die Rose wirklich epochal zu versemmeln vermochte. Hat er aber schon kürzlich bei der Gunners-Reunion mit Slash und Duff McKagan gezeigt, dass er (wahrscheinlich mit Hilfe von etwas Gesangscoaching und Sport) wieder soweit der Alte ist, wie das mit 54 Jahren eben möglich ist, bringt er auch bei AC/DC über die vollen zwei Bühnenstunden eine grandiose Gesangsleistung. Die ganz hohen Gesangsregister, in die er sich und uns zu Zeiten des Reserve-Line-Ups von Guns N‘ Roses oft durchquälte, inklusive. Wer Axl vorher schon nicht mochte, wird ihn allerdings auch jetzt nicht mögen.

2. … und hat offensichtlich großen Spaß an der Sache.

 Ja, er kam pünktlich. Nein, er hat keine Sachen kaputt gemacht oder ist beleidigt von der Bühne gerannt (beziehungsweise gehumpelt), weil er den Monitorsound scheiße fand. Ganz im Gegenteil: Rose zeigt sich dem Publikum wohlgesonnen-freundlich, beinahe jovial gegenüber. Auch wenn ihm die Gage in Millionenhöhe sicher auch nicht wirklich wehtut: Man merkt, wie viel Spaß er dabei hat, bei einer seiner Lieblingsbands einzuspringen. Rose drängt sich nie zu sehr in den Vordergrund (der gehört bei AC/DC sowieso unbestritten Angus) und zeigt vor der Band-Historie großen Respekt. Vor „Whole Lotta Rosie“ erzählt er, dass das der erste Song war, den er von AC/DC je hörte. „I thought it was life changing“, fügt er bei. Dass er jetzt für einige Zeit Teil dieser für ihn damals lebensverändernden Band ist, dürfte der Grund für das eine oder andere Grinsen sein. Ein anders Mal meint er „That was fun“ – nicht zuletzt, weil er zum ersten Mal nicht ausschließlich im Sitzen singen müsse, auch wenn der Gips noch dran ist. Es macht Spaß, Axl Rose beim Spaß haben zuzusehen.

3. Angus Young bleibt Angus Young…

 Alles wie gehabt: Angus Young ist nach wie vor nicht nur ein grandioser Gitarrist sondern auch ein völlig durchgedrehtes Duracell-Häschen auf der Bühne – und nicht nur durch die grüne Schuluniform für zwei Stunden scheinbar alterslos. Young hüpft und rennt auch mit Anfang Sechzig noch herum, als hätte er in die Steckdose gegriffen und schüttelt sich die Riffs und Licks gewohnt nonchalant aus dem Ärmel. Wer da jetzt am Schlagzeug sitzt oder in das Mikrophon kreischt, scheint ihm wenig Kopfzerbrechen zu bereiten – Hauptsache die Show geht weiter. Der große Gitarren-Solospot gegen Ende des Sets will diesmal allerdings nicht ganz so mitreißend und inspiriert ausfallen. Dennoch: wie gewohnt der Most Valuable Player.

4. Stevie Young ist ein guter Malcolm-Young-Ersatz …

… und sieht, wenn er den Mund beim Singen weit aufreißt, Klaus Kinski ein wenig ähnlich. Außerdem spielt nicht Stevie  nur die gleiche Gretsch-Gitarre wie Malcolm, sondern hat es auch bestens drauf, eins zu eins wie er zu klingen.

5. Chris Slade kann immer noch ebenso gut 4/4-Takt spielen wie Phil Rudd

 Die Marschrichtung der AC/DC-Rhythmus-Einheit ist sowieso einzementiert: ein knochentrockener 4/4-Beat nach dem man die Uhr stellen kann und ja keine Fills oder andere Spirenzchen. Macht Chris Slade immer noch ganz ausgezeichnet.

6. Die Setlist ist einwandfrei …

 Mit „Rock’n’Roll Damnation“ und „Riff Raff“ (haben wir Axl zu verdanken) servieren uns AC/DC Raritäten, ansonsten gibt es die übliche Mischung aus großen Hits und wenig neuem. Habe ich schon „Riff Raff“ erwähnt?

7. Auch mit der Bühnenshow bleiben sie uns nichts schuldig …

Kanonen, Konfettiregen, eine aufblasbare Dame in Überdimension und natürlich die läutenden Höllenglocken: Das ist Stadion-Rock-Entertainment wie man es von AC/DC gewohnt ist. Und schweinelaut ist es auch immer noch. Da fehlt es also an nichts. Halt, es fehlt schon an etwas:

8. Brian Johnson fehlt, aber man kommt nicht dazu, ihn zu vermissen

Brian Johnson fehlt, keine Frage. Seine kumpelhafte Art, seine Interaktion mit Angus – da passiert zwischen Axl und Angus relativ wenig. Allerdings hätte sich Axl mit Gips auch recht schwer getan, Angus auf die Schultern zu nehmen. Ansonsten vergehen die zwei Stunden in dieser ungewohnten Bühnensituation so schnell, dass man gar nicht dazu kommt, viel an Johnson zu denken.

9. Axl hat bei AC/DC keinen Dave-Grohl-Thron, sondern einen höhergelegten Bürosessel

Wäre auch zu viel des Guten gewesen, wenn der Thron des freundlichen Grohls nicht nur bei Foo Fighters und Guns N‘ Roses, sondern auch bei AC/DC zum Einsatz gekommen wäre. Der Gips dürfte bald drunten sein, in Wien wechselt Rose zwischen Sitzen in den Gesangspausen und ein wenig vorsichtig rumrennen. Auf seinen „Tatanka“-Tanz aus alten Gunner-Tagen werden wir aber wohl noch ein wenig warten müssen.

10. Es war auch der Reiz des Neuen, Riskanten

Sehen wir es als das, was es ist: Axl Rose ist bei AC/DC eingesprungen. Axl Rose ist zudem einer der bemerkenswertesten Frontmänner der Rockgeschichte und eine sehr streitbare Person. Angus‘ Beschluss des Weitermachens ist in Stein gemeißelt. Man kam, um sich anzuschauen, ob es in dieser spektakulären Konstellation klappen oder eben völlig in die Hose gehen würde. Es war überraschend fantastisch.

 

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