Kraftwerk live in Berlin: Auf Überwältigung folgt Übersättigung

Acht Alben an acht Tagen: In der Neuen Nationalgalerie in Berlin führen Kraftwerk die LP "Autobahn" auf, dazu die größten Hits. Die Originale klingen großartig – die stark bearbeiteten Remix-Versionen jedoch angestaubter, als sie sein dürften.

Dass man einem hochkulturellen Weltereignis beiwohnt, wird klar, als nicht nur der Kulturstaatssekretär und das berühmte Model den Saal betreten, sondern auch der bekannte Kunstmäzen und der lässig gekleidete Firmenchef. Die Musealisierung von Deutschlands bedeutendster und wohl auch bekanntester Band schreitet voran.

Kraftwerk in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Die „Beatles der elektronischen Tanzmusik“ (wie die „New York Times“ schwärmt) im „Kunsttempel der deutschen Hauptstadt“ (wie der Reiseführer behauptet).  Oder auch: Eine Band, die nie eine war und ihre besten Tage hinter sich hat, in einem Museum, das marode und sanierungsbedürftig ist.

Acht Alben an acht Tagen, das Konzept ist bekannt, war bereits in Düsseldorf und dem New Yorker Museum Of Modern Art zu bestaunen. Was in Berlin staunen lässt: Der Sound in der leergeräumten und unmittelbar vor einer langjährigen Sanierung stehenden Glas-und-Stahl-Ikone des Architekten Mies van der Rohe ist fantastisch. Damit war nicht zu rechnen, die Akustik in dem Museumsbau ist schwierig, die Lautstärkeauflagen des Ordnungsamtes sind lästig. Trotz allem: Die Pling-Plong-Töne der vier in hautengen Catsuits vor ihren – ja, was? – Computern stehenden Herren klickern kristallklar und in schönster Quadrophonie durch das Museum. Und: Die Lightshow. Es muss eine unfassbare Mühe gekostet haben, für sämtliche Tracks der acht Alben individuelle Filme und Lichtshows zu programmieren. Das Ergebnis ist imposant. Mal ein bisschen albern wie die auf Anti-Atom-Spots getrimmten Icons zu dem 1975 die Atomkraft noch feiernden Song „Radioaktivität“. Mal ganz großartig in seinem strengen, an Bauhaus und Malewitsch erinnernden Design zu „Trans-Europa-Express“.

Aber auch das Konzert – so perfekt durchchoreografiert es ist – schwankt zwischen ganz toll und geht so. Ganz toll dann, wenn Ralf Hütter, letzter verbliebener Original-Kraftwerker, und seine drei Angestellten die Tracks originalgetreu anspielen. Die längst zu elektronischen Volksliedern der nun auch schon der Midlife Crisis entwachsenen Computergeneration gewordenen Übertracks „Computerliebe“, „Trans-Europa-Express“ und „Die Roboter“ sind in ihrer formalen Strenge so überwältigend schön und klar, dass sie zu mittelguten Clubtracks mutieren, sobald sie in die Remixe übergleiten. Das ist dann eher „geht so“. Und tatsächlich wirken die Kraftwerk-Tracks umso älter, je mehr sie aufgemöbelt wurden – all die Endachtziger-House-Grooves und angestaubten Midtempo-Techno-Beats profanisieren die großen Songs.

Dass Ralf Hütter seine Krautrock-Vergangenheit verleugnet wie Demi Moore das Botox, ist ja bekannt. Dass er die ersten drei Kraftwerk-Alben (darunter das tolle „Ralf & Florian“) unter den Tisch fallen lässt, auch. Aber dass die weihevolle Aufführung von „Autobahn“ auf vier der fünf Tracks beschränkt und das wunderbare Titelstück von Flöte und Gitarre gesäubert und um 10 Minuten gekürzt dargeboten wird, stimmt doch ein bisschen traurig. Denn die 22 Minuten von 1974 klingen natürlich rasanter und abenteuerlicher als der geplättete Remix.

Je länger das Konzert dauert, desto stärker wird die Sehnsucht nach dem puren Kling-Klang. Auf Überwältigung folgt Übersättigung.

Natürlich ist es trotzdem toll. Da oben steht Kunstgeschichte. Und Hütter trägt ein kleines Bäuchlein unter seinem Latexanzug. Seine Zeile „Es wird immer weiter gehen / Musik als Träger von Ideen“ ist so genial wie das Melodiepartikelchen aus „Computerliebe“, das Coldplay geklaut hatten oder die untersterbliche Elektroline aus „Trans-Europa-Express“, die sich Afrika Bambaataa für „Planet Rock“ geborgt hat. Großer Pop. Keine Frage. Hätte man so stehen lassen können.

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