Lucinda Williams live in Deutschland: Die unbarmherzige Sicht auf das Leben
Die große Lucinda Williams tourt durch Deutschland. Was macht ihre Faszination aus? Eindrücke nach dem Konzert in München.
von Nicola Bardola
„Wir sind hier heute nur zu zweit. Das ziehen Stuart und ich durch und das ist sehr speziell. So habe ich angefangen in den frühen 70er-Jahren. So waren meine ersten Auftritte. Hört man nicht wieder genauer hin?“, fragt Lucinda Williams zum Auftakt ihrer Deutschland-Konzerte im Circus Krone Bau in München. In den Neunzigern bestand die Band der heute 63-Jährigen „Queen of Songwriting“, noch manchmal aus bis zu sieben Musikern.
Der Opener „Can’t Let Go“ rockt, und schnell sind das fehlende Schlagzeug und der fehlende Bass vergessen. Stuart Mathis, der bis 2014 Mitglied bei Jakob Dylans „The Wallflowers“ war, begleitet Lucinda seither und befindet sich mit eigenem Album („Blade of Grass“) auch auf Solopfaden. Lucinda verlässt sich blind auf ihn und konzentriert sich auf die Inhalte.
Als zweiter Song folgt „Pineola“ von 1992, gewidmet dem durch Suizid früh verstorbenen Dichter Frank Stanford, ein guter Freund der Familie damals. Schon nach den ersten Akkorden erkennt das Publikum die meisten der modernen Klassiker. Williams nimmt sich Zeit und erzählt Entstehungsgeschichten und Hintergründe zu den Liedern. Zu dem von ihr vertonten Woody-Guthrie-Text „House Of Earth“ erklärt sie auf Nachfrage nach einigem Zögern, das könne doch ein Symbol für die Vagina sein. „Oh, das habe ich noch nie öffentlich gesagt. Mein Mann sitzt da hinten. Kriege ich jetzt Ärger? Ach, könnte ich nur im Bühnenboden verschwinden. Hey, aber fühlt man sich nicht freier, wenn man so Sachen ausgesprochen hat?“
Helle Freude hinter den Himmelstoren
Zwei Gitarren und Lucindas raue Stimme laden dazu ein, sich auf die Texte ihres neuen, spartanisch instrumentierten zwölften Albums „The Ghosts Of Highway 20“ zu konzentrieren. Fünf Songs daraus spielt sie an diesem Abend, und fast immer handeln sie von ihrem Vater. Früher zeigte Lucinda ihm oft ihre neuen Texte, bevor sie damit ins Studio ging. Das geht jetzt nicht mehr: Der Literaturprofessor, Lektor und Dichter Stanley Miller Williams erkrankte vor einiger Zeit an Alzheimer und starb 2015 mit 84 Jahren. In „Doors Of Heaven“ singt sie: „Open up the doors of heaven, let me in / I think I’m finally tired of living, let me in / I’m gonna walk in the glory and tell everyone my story“, um dann ziemlich zynisch zu präzisieren: „I hear them say that this life is a gift / That it’s as precious as a baby’s breath / Well they can talk to a door when my time has come“.
Vater Williams hat nun dort oben hinter den Himmelstoren seine helle Freude an der Ausdruckskraft der Tochter, die ihm auf dem neuen Album auch den Song „If My Love Could Kill“ widmet, ein Anti-Demenz-Lied, worin das Wort töten unerhört ungewöhnlich intoniert wird: „If my love could kill / I would kill this / Slayer of wonder / Slayer of worlds / Murderer of poets / Murderer of songs / Who robbed me of your memory / robbed me of your tongue“. Und zum Publikum sagt sie: „Ich weiß, dass viele von Euch Angehörige haben, die unter Demenz leiden. Vielleicht lindert dieses Lied auch ein wenig Euren Schmerz.“
Ein weiterer Höhepunkt aus „The Ghosts of Highway 20“ ist „Dust“, ein vom Dichter-Vater aufgewirbelter Gedankenstaub, der von ihr kraftvoll als Album-Opener mit den Virtuosen Greg Leisz und Bill Frisell an den Gitarren gesungen wird: „There’s a sadness so deep the sun seems black / And you don’t have to try to keep the tears back / ‚Cause you couldn’t cry if you wanted to / Even your thoughts are dust“. Der oft gnadenlose Blick ist Vater und Tochter gemeinsam. Hört man Lucindas aktuelle Alben, gewinnt man den Eindruck, es werde immer bedrückender und düsterer um diese aufrichtige Künstlerin. Ihre überwältigende Melancholie sucht kaum noch Trost in schönen Melodien. Die Harmonien der neuen Lieder erinnern an die originelleren der vergangenen Jahrzehnte. Es ist kein kompositorisches Bemühen bemerkbar, ihren alten Rockballaden, ihrem Outlaw-Country und dem tieftraurig-monotonen Blues neue musikalische Ideen hinzuzufügen, im Gegenteil: Lucinda Williams reduziert immer mehr und bewegt sich hin zu einem intimen Knotenpunkt, zu einem minimalistisch-schnoddrigen Folk in Moll, einer Art Americana-Core.
Eine große Flasche Cabernet
Dagegen klingt die vermeintlich traurigste Scheibe der Country-Geschichte, ihr 1992er Album „Sweet Old World“, wie die aufgedrehte Talentprobe einer klugen und liebeshungrigen Karrieristin, die sich als Frau in der männerdominierten Country-Welt mit Honky Tonk und bluesy Roots-Rock behaupten muss. Ein Vierteljahrhundert später fehlt alles Gefällige; jetzt sind Gedanken nichts als Staub. Lucinda Williams‘ Energie und der Ehrgeiz bleiben, aus Hoffnungs- und Trostlosigkeit Kunst zu machen und unabhängige Konzeptalben auf dem eigenen Label „Highway 20“ zu veröffentlichen. Sie ist jetzt ihr eigener Boss und niemand schreibt ihr vor, wie sie ihre Tristesse in Überlänge (zwei Doppelalben in zwei Jahren) mit dem kommerziellen Erfolg in Einklang bringen soll.
Lucinda live ist frech und frisch. Am Ende begeistert sie mit Robert Johnsons „Stop Breaking Down“ und Sam Cooks „A Change Is Gonna Come“. „Ein Biopic meines Lebens müsste ‚Troubled Girl‘ heißen“, sagt Lucinda Williams. „Happiness wäre für mich eine gute Freundschaft und ein große Flasche Cabernet.“ Das klingt vielleicht nach Resignation, aber so lange sie nach über 40-jähriger Karriere weiterhin auf Tour geht, Album um Album aufnimmt und als weiblicher Keith Richards den Alkoholkonsum kontrolliert, so lange verdichten sich ihre Depressionen und die unbarmherzige Sicht auf das Leben zu immer radikaleren und faszinierenden Liedern.
Lucinda Williams auf Tour:
26.6. Hamburg, Kampnagel
27.6. Dresden, Alter Schlachhof
29.6. Berlin, Apostel Paulus Kirche