Madonna – Kalkutta Calling

Als kleines Mädchen mußte ich jeden Sommer im Gemüsegarten meines Vaters arbeiten. Gemessen an seiner Arbeitsethik bin ich der geborene Faulpelz, aber die typischen „School’s-out-for-summer“-Freiheiten mußte ich mir wohl oder übel abschminken. Entweder ich durfte zuhause Unkraut jäten und Pflanzenschutzmittel spritzen, oder wir fuhren zu den Großeltern nach Pennsylvania und brachten dort Haus und Garten auf Vordermann. Als ich älter wurde, ging ich einen Sommer lang aufs College in der Nähe und nahm Tanzunterricht – alles, nur nicht Rasenmähen! Sommer verbinde ich also nicht gerade mit Spaß und Freizeit – nicht als Kind zumindest. Vielleicht sind deswegen alle meine liebsten Sommer-Songs mit Erinnerungen an Angst und Paranoia verknüpft. Obwohl ich den Sommer definitiv lieber mag als den Winter. Erstmal ist mir Hitze lieber als Kälte – ich benutze bis heute keine Klimaanlage. Ich hasse Klimaanlagen! Weil ich mich nichts vormachen lassen will. Ich will genau wissen, wie heiß es ist, um mich dann auf die Hitze einzustellen – so will’s die Natur. Davon abgesehen gefallt mir, daß man im Sommer besser checken kann, wie Leute sich kleiden. Man kann keine modischen Statements machen, wenn’s draußen saukalt ist Man sieht im Sommer mehr von den Leuten – auch sie können einem nichts vormachen.

Meine beiden intensivsten Sommer-Erinnerungen drehen sich um New York. Ich bin übrigens davon überzeugt, daß es im Sommer keinen besseren Ort gibt als New York, selbst wenn es so schwül sein kann, daß die Leute etwas grantig werden. In Kalifornien geht’s vielleicht zivilisierter zu – da wird’s zumindest nachts kühler. Aber es ist langweilig. In L.A. gibt’s das ganze Jahr Sommer – die Leute wissen ihn nicht mehr zu schätzen. Wenn der New Yorker Sommer kommt, hat man das Gefühl, daß ihn alle zelebrieren; es ist, als würde die Stadt aufwachen. Wfenn ich mir überlege, was eigentlich einen Sommer-Song calling aber das trifft’s nicht ganz: Ich hatte auch Sommer-Favoriten, die in dieser Beziehung genau das Gegenteil waren. Unverzichtbar ist auf jeden Fall ein phatter Groove; der Sommer ist nicht gerade die beste Jahreszeit, um jemand wie Enya zu hören— „Don’t You Want Me“ von Human League erinnert mich an die frühen Jahre der „Danceteria“ in New York. Ich wohnte in einem Appartement auf der Lower East Side, Ecke 4th und Avenue B – ohne Klimaanlage natürlich. Meine ersten Demos waren gerade fertiggeworden, und so ging ich am Wochenende in die „Danceteria“, um sie dort irgendwelchen A&Rs oder DJs in die Hand zu drücken. Ich tanzte die ganze Nacht in einem fürchterlichen Aufzug, und all die dünnen Modepüppchen bespritzten mich mit ihren Drinks. Aber wenn dieser Song von Human League kam, war alles vergessen. Dann war mir scheißegal, daß ich klatschnaß und mutterseelenallein war.

„When Doves Cry“ von Prince war ein anderer Song, in den ich mich flüchten konnte. Die Platte war damals gerade rausgekommen, ich hatte selber einen Vertrag und war in eine schöne Wohnung Ecke Broome und West Broadway gezogen. Einen Aufzug gab’s allerdings auch nicht, also mußte ich die sechs Etagen zu Fuß gehen. Ich fuhr damals alles mit meinem Fahrradmit Kopfhörer und Walkman -, und eines heißen Tages kam ich nach Hause und war einfach nicht mehr fähig, mein Fahrrad die Treppe hochzuschleppen. Ich haßte mein Leben damals und klappte im Treppenhaus zusammen, mit dem Song im Kopfhörer, heulte Rotz und Wasser und tat mir furchtbar leid.

Ihr habt’s gemerkt: In beiden Fällen ist Musik das Vehikel, um sich selbst aufzubauen – was die Geschichte meines ganzen Lebens ist. Musik ist für mich die Kunstform, die spirituell am weitesten entwickelt ist. Und die universellste. EgaL wer du bist, wie gebildet oder wie cool, wie reich oder wie arm: Sie trifft dich im Bauch, sie heilt den Summertime-Blues. Sie bedeutet Leben. Lernt, mit der Hitze zu leben.

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