RS-History

50 Jahre „What’s Going On“ von Marvin Gaye: Das erste schwarze Konzeptalbum

Die dramatische Story eines der besten Soul-Alben aller Zeiten - und die Geschichte eines außergewöhnlichen Musikers.

Der Frühsommer 1971 ist in Deutschland mit dem Bestechungs-Skandal in der Fußball-Bundesliga, dem Amtsantritt von Erich Honecker als Erster Sekretär des Staatsrates der DDR und der großen Kampagne gegen das Verbot der Abtreibung verbunden.

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In den USA sind die Rolling Stones mit „Brown Sugar“ Ende Mai, Anfang Juni zwei Wochen lang auf Platz eins der Billboard-Charts. Wenig später folgt ihnen Carole King gleich fünf Wochen lang mit dem Abrechnungs-Liebeslied „It´s Too Late“.

In Vietnam tobt der Stellvertreter-Krieg der Amerikaner gegen den kommunistischen Norden des Landes immer heftiger. Durch die Veröffentlichung der so genannten „Pentagon Papers“ (Geheimdokumente des US-Verteidigungsministeriums zur Vorgeschichte des Konflikts) in der „New York Times“ wird ein düsteres Licht auf die frühe Kriegsführung der Amerikaner in den Sixties geworfen. Die Friedens- und Bürgerrechts-Bewegung in den USA bekommt damit weiteren massiven Zulauf.

„Der übelste Kram!“

Marvyn Gaye, der damals 32-jährige Soul-Superstar der Detroiter Hitfabrik Motown, erinnert sich gegenüber seinem späteren Biografen an jene Zeit: „Um mich herum explodierte die Welt; wie um Himmels Willen sollte ich da weiterhin Liebeslieder schreiben?“

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Resultat dieser Grübelei ist Gayes elftes, am 21. Mai 1971 auf dem Unterlabel Tamla Motown veröffentlichtes Album. Wenn man so will, das erste komplett durcharrangierte Konzeptalbum in der Geschichte der Schwarzen Musik. Gewidmet einem (politischen) Oberthema wird „What’s Going On“ heute in einem Atemzug mit „Pet Sounds“ von den Beach Boys und „Sergeant Pepper’s“ von The Beatles genannt.

Cover von „What’s Going On“

Nachdem Gaye zwischen 1963 und 1969 gleich elf Top-Hits für Motown geschrieben hatte, wollte er nun die Formel ändern, mit der seine Stammadresse stabil viel Geld eingefahren hatte. Die Gedanken eines (fiktiven) Vietnam-Veteranen auf „What’s Going On“, der ohne jede Illusion über das brutale US-Engagement in Südostasien räsonierte, der zudem Umweltzerstörung und Rassismus anprangerte, passte Motown-Firmenboss Berry Gordy Jr. überhaupt nicht in den Kram.

Nach dem ersten Durchhören der Masterbänder soll er verkündet haben, dass heute längst kanonisierte Songs wie „Mercy, Mercy Me“ oder „Right On“ der „übelste Kram“ wären, den er jemals gehört habe. Das Label wollte Single und Album anfangs nicht einmal veröffentlichen. Nur Gayes Drohung, jegliche Zusammenarbeit mit Motown komplett einzustellen, konnte Gordy umstimmen.

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Danach wurde Gaye wieder zum Sänger über die Liebe

Nach zögerlichem Start im Juni/Juli 1971 erreichte „What’s Going On“ immerhin Platz sechs der damaligen US-Billboard-Charts. Die eher zweitrangige Auszeichnung „Trendsetter Award“ folgte 1972 („promoting the cause of ecology through thought-provoking message songs“). Erst später wurde das Album zu einem der größten Longseller der gesamten Motown-Ära.

Gaye selbst kehrte bald zu den Liebes- und Sex-Songs seiner Frühzeit zurück, mit ebenfalls herausragenden Alben wie „Let’s Get It On“ (1973) oder knapp zehn Jahre später auch „Sexual Healing“. Gayes früher Tod – er wurde am 1. April 1984 von seinem eigenen Vater Marvin Gaye Senior erschossen – beendete die Karriere eines der wichtigsten Soul-Künstler überhaupt.

David Corio Redferns

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