Matthew E. White – Weißer Anzug, schwarze Seele

Niemand hatte höhere Erwartungen an sein zweites Album als der Sänger, Songwriter und Labelboss Matthew E. White selbst. Seine Vorbilder sind die Beatles, Beethoven und Bacharach - und das sind erst die Bs!

Selbst die Stones sind nur eine weiße Karikatur von Muddy Waters

Mit diesen Leuten, zu denen an vorderster Front etwa der Arrangeur Trey Pollard, der Bassist Cameron Ralston und Pinson Chanselle am Schlagzeug gehören, könne er überall und jederzeit eine tolle Platte machen, sagt White. „Ich glaube nicht, dass ein Studio an sich schon eine Magie verströmt. Nichts wird besser, weil man in ein bestimmtes Studio geht. Platten werden von fähigen Leuten gemacht. Ich bin auch nicht so sehr auf die technischen Aspekte fixiert – klar, man braucht gute Mikrofone, Vorverstärker und Instrumente. Aber die Leute fragen mich immer: ,Wie kriegst du diesen Schlagzeug-Sound hin?‘ Und ich sage dann: ,Diesen Schlagzeug-Sound kriege ich hin, indem ich Pinson Chanselle engagiere.‘ Es geht hier um Leute. Und natürlich gibt es immer noch mystische, unerklärbare Dinge, die eine Aufnahme gut machen – man kann nicht alles berechnen. Aber der Song und die Leute, die ihn spielen, sind die Grundvoraussetzungen.“

Man spürt Whites Wertschätzung für seine Mitmusiker. Er erzählt die Anekdote, wie Steve Cropper, Gitarrist der Stax-Hausband Booker T. & The M.G.’s, einen Besitzanteil an dem legendären Soul-Label aus Memphis forderte. Als er sie nicht bekam, kündigte er und besiegelte damit quasi das Ende von Stax. So etwas dürfe bei Spacebomb nicht passieren, so White. Das Label gehöre den Musikern. Dass er der Chef ist im Studio, steht allerdings außer Frage.

Wie ein Regisseur gibt er seinen Mitstreitern Handlungsanweisungen, die Interpretation überlässt er dann allerdings jeweils ihnen. „Cameron zum Beispiel ist ein viel besserer Bassist als ich, ich würde ihm nie eine konkrete Bassline aufschreiben, wohl aber Sachen wie: ,Dein Part besteht aus langen, tiefen Tönen.‘ Oder: ,Spiel hier wie James Jamerson oder wie Duck Dunn.‘ Oder: ,Ich will kurze, fette Noten wie bei Paul McCartney.‘ Oder: ,Spiel dieses Sly-Stone-Ding.‘ Ich kann das den Musikern, mit denen ich arbeite, genau so sagen, und sie wissen, was ich meine, weil wir uns so lange kennen und so viel gemeinsam gemacht haben. So entwickelt sich eben dieses gemeinsame Vokabular.“

 

Seine Vision habe diesmal darin bestanden, die Talente aller beteiligten Musiker noch mehr einzubringen.
Das neue Album sollte größer und aggressiver klingen als das noch eher gedämpfte „Big Inner“ – „es sollte groovier und lauter sein, aber auch softer, ich wollte mehr Gitarre spielen, mir mehr Zeit mit dem Gesang lassen.“ Auch das Songwrit-ing sollte abenteuerlustiger sein. „Ich wollte die verschiedenen Formen erkunden, die ein Song haben kann – Bezugspunkte waren das ,Weiße Album‘ der Beatles, Burt Bacharach und ,There’s A Riot Goin’ On‘ von Sly Stone. Es sollte eine Platte werden, die die leichten Dinge genauso ernst nimmt wie die schweren und dunklen.“

Das musikalisch ambitionierteste und vermutlich beste Stück auf „Fresh Blood“, das unheimliche, minimalistisch-impressionistische „Tranquility“, ist eine Verbeugung vor dem 2014 verstorbenen Schauspieler Philip Seymour Hoffman, den White verehrt, weil jener sich als großer Künstler weder für den Mainstream noch für die kleinen Produktionen zu schade war und eben genau das beherrschte: das Leichte und das Schwere mit dem gleichen Ernst zu behandeln.

In „Holy Moly“ singt White zu Neil-Young-Gitarren und kreischenden Streichern von Kindesmissbrauch hinter Kirchenmauern, in „Rock & Roll Is Cold“ sagt er augenzwinkernd zu federnden Beats, Uh-la-las und Scha-la-las sein musikalisches Glaubensbekenntnis auf: „You said you found the soul of rock and roll/ Hey, hey/ Rock and roll, it don’t have no soul/ Everybody knows that/ Everyone knows/ Everyone knows that rock and roll is cold.“ Und dann, in der nächsten Strophe: „You said you found the key to R&B/ Hey, hey/ R&B, it don’t have no key/ Everybody sees that/ Everyone sees that R&B is free.“

„Es war wichtig, dass dieser Song leicht und lustig daherkommt, damit die Leute sich nicht beschweren“, sagt White und lacht. „Aber da steckt eine Wahrheit drin. Rock’n’Roll ist ein seltsames Ding, das nicht so besonders gut altert – es schaut zurück statt nach vorn, es ist formelhaft und umständlich. Rock’n’Roll kommt aus der afroamerikanischen Erfahrung, hat sich dann aber schnell davon dis-tanziert. Selbst die Stones, so toll sie sind, sind nur eine weiße Karikatur von Muddy Waters. R&B ist so frisch und lebendig, weil es immer noch nah an dieser afroamerikanischen Erfahrung dran ist. Kendrick Lamars letztes Album zum Beispiel ist vermutlich die beste Platte, die in den vergangenen 15 Jahren erschienen ist.“

„You said you found the trick to gospel licks“, beginnt die dritte Strophe des besagten Songs, und sie endet mit der Pointe „Everybody gets that gospel licks are gifts“, denn obwohl White sich – Missionarseltern hin oder her – nicht als Christ sieht, ist ihm der Gospel doch heilig. „Das ist einfach das perfekte Musikgenre.
Komplex und zugleich direkt, unglaublich flexibel und offen für Improvisation. Ernste Musik, die die leichten und kleinen Dinge des Lebens genauso ernst nimmt wie die dunkle Seite.“

„Fresh Blood“, will er damit wohl sagen, ist ein Gospel-Album.

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