Meat Loaf: Die Urgewalt

Zum Tod von Meat Loaf, dem begnadeten Heldentenor der Rock'n'Roll-Operette

Wenn man annimmt, dass der Rock’n’Roll der Tummelplatz der Außenseiter ist, dann war Marvin Lee Aday der ideale Rockstar. Seine Geschichte ist wie ein Märchen, und Adays Doppelgänger Meat Loaf ist eine Märchenfigur, die Erweckung eines Helden aus dem Geist der Kränkung. Es gab eine Zeit, da nahezu jeder Meat Loaf kannte. Vielleicht konnten sie nicht sagen, woher sie ihn kannten und welche Songs er sang, aber sie wussten, wer Meat Loaf war. Er war ein Archetyp: die Urgewalt.

Marvin Lee Aday wurde am 27. September 1947 in Dallas, Texas, geboren. Die Mutter sang im Gospelchor, der Vater war ein alkoholsüchtiger Prügler. Die Legende will es, dass er den übergewichtigen Marvin im Alter von zwei Jahren „Meat“ nannte. Ein Sportlehrer machte später „Meat Loaf“ daraus, als der 13-Jährige ihm auf den Fuß trat. Und Marvin machte eine Karriere daraus.

Er ging 1967 nach Los Angeles, trat verschiedenen Bands bei, sang im Vorprogramm von The Who, Joe Cocker und Iggy Pop, später von Bon Seger, Alice Cooper und Richie Havens. Nebenbei war er, natürlich, Parkplatzwächter. Ausgerechnet das berühmte Soul-Label Motown ermöglichte ihm die erste Platte, die er 1971 mit Stoney aufnahm. Motown erkannte richtig, dass der Mann ein Genie war und sein Gesang Soul. Aber sonst erkannte das kaum jemand. Meat Loaf sang 1973 in einer Inszenierung von „Hair“ am Broadway und bewarb sich für ein Musical des Komponisten Jim Steinman, „More Than You Deserve“. Steinman war beeindruckt. Meat Loaf wurde aber derweil von der „Rocky Horror Picture Show“ engagiert, für die er wieder nach Los Angeles zog. Dann spielte er auch in dem Film, der 1975 in die Kinos kam (und noch immer dort gezeigt wird).

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Jim Steinman hatte eine Oper komponiert, in der er den frühen Rock’n’Roll und Soul Music, Richard Wagner und Horror-Schundfilme zu einem unerhörten Spektakel verband. „Bat Out Of Hell“ brauchte Meat Loaf. Und Meat Loaf, der gerade bei einigen Stücken von Ted Nugent mitgesungen hatte, wurde der Sänger. Cleveland International Records veröffentlichte das Album 1977 ohne großen Erwartungen. Im Laufe des Jahres 1978 – dem besten Jahr der Schallplattenindustrie – explodierte „Bat Out Of Hell“: Bis heute wurden mehr als 40 Millionen Exemplare verkauft. Meat Loaf ging auf Welttournee. Er hatte so lange darauf gewartet, nun genoss er in vollen Zügen. Er stürzte sich in die Konzerte. In Rüschenhemd und Bratenrock inszenierte er Rock’n’Roll als Rokoko. Die Rock-Kritik überschlug sich. „Ein Libretto, das wirkt , als wäre es mit Clearasilstift auf den Badezimmerspiegel geschrieben worden“, so der ROLLING STONE. Und so war es. So großartig.

Nach dem Triumphzug versagte Meat Loaf die Stimme. Jim Steinman arbeitete dennoch an „Bad For Good“ und sang die Songs schließlich selbst. Meat Loaf kam zurück und veröffentlichte 1981 „Dead Ringer“. Nahezu jeder kannte ihn, aber die Platte verkaufte ein Hundertstel von „Bat Out Of Hell“. Und „Midnight At The Lost And Found“ verkaufte 1983 noch weniger. Im Jahr darauf erschien „Bad Attitude“, die Plattenfirma trennte sich von Meat Loaf, er wurde alkoholsüchtig und erlitt einen Nervenzusammenbruch. Und kehrte zurück. „Blind Before I Stop“ ließ er 1986 von dem Boney-M.-Magier Frank Farian produzieren. „Frank hat einige komische Sachen mit den Songs gemacht“, sagte er später. Meat Loaf verschwand aus der Öffentlichkeit.

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Mit Jim Steinman arbeitete er an der Platte, die 1993 das größte Comeback nach Elvis Presley auslöste. „Bat Out Of Hell II: Back Into Hell“ reproduzierte allen Bombast und allen Kitsch des ersten Albums. „I’d Do Anything For Love (But I Won’t Do That)“ setzte ein Denkmal für den Songtitel mit Klammer. Meat Loaf spielte einen Busfahrer in dem Film der Spice Girls, später hatte er einen denkwürdigen Auftritt in der Therapiegruppe in David Finchers „Fight Club“. Er hatte kleine Rollen in „Monk“ und „Dr. House“, in „Glee“ und „Ghost Wars“ und vielen Spielfilmen. Eigentlich, sagt er, sei er eher Schauspieler als Sänger. Die Platten gingen nur noch mäßig.

Im Jahr 2003 brach Meat Loaf bei einem Konzert in der Wembley-Arena zusammen. Er wurde am Herzen operiert, man diagnostizierte das Parkinson-Syndrom. Große Tourneen konnte Meat Loaf nicht mehr unternehmen. Er sang mit einem Philharmonieorchester, der natürliche Klangkörper für seine Songs, und brachte 2006 „Bat Out Of Hell III: The Monster Is Loose“ heraus, geschrieben und arrangiert von Desmond Child und ihm selbst. Aber der Zauber hatte sich aufgelöst. Die „Last At Bat Farewell“ -Tournee 2013 war sein Abschied. Er zog von Kalifornien in seine Heimat Texas zurück und arbeitete 2016 für „Braver Than We Are“ noch einmal mit Jim Steinman zusammen.

Gestern starb Marvin Lee Aday, der begnadete Heldentenor der Rock’n’Roll-Operette, im Alter von 74 Jahren (aber Meat Loaf stirbt natürlich nie).

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